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Drei Straßen, eine Familie

Straßen erhalten ihre Namen u. a. nach bekannten Persönlichkeiten (Johann Wolfgang von Goethe, Claudia de Medici), historischen Daten (30. April, 4. November) oder Orten (Meran, Bozen). Auch Gebäude mit besonderer Bedeutung dienen gerne als Namengeber. So zum Beispiel der Ansitz Gaudententurm in Partschins.

Ein Straßenplan kann als historisches Dokument gelesen werden, das aus verschiedenen Schichten besteht, entstanden aus Entscheidungen der vergangenen Jahrhunderte. Straßennamen folgen immer auch den Moden der Zeit und, wie schon früher an dieser Stelle ausgeführt, lassen durchblicken, wer gerade vor Ort das Sagen hat. Herrscher und Verwalter hinterlassen ihre Spuren, nicht nur im Stadtbild, auch im Straßenbild. Trotz allem kann man im Wirrwarr der Straßennamen mitunter auch ein System erkennen. Wer in Meran in der Nähe des Krankenhauses einen Spaziergang macht und Freude an der Musik hat, der trifft eine Reihe guter Freunde: Rossini, Mozart, Haydn, Puccini, Donizetti. Auch in Sinich dürfte es wohl kein Zufall sein, dass die drei bekanntesten Irredentisten Cesare Battisti, Damiano Chiesa und Fabio Filzi als Straßennamen nahe beieinander liegen. Ein weiteres schönes Beispiel dafür, dass Namen auch inhaltlich zusammenpassen können, finden wir in Partschins. Die Max-von-Isser-Straße, die Dr.-Friedrich-von-Sölder-Gasse und die Gaudententurmstraße bilden eine Art Dreieck, das vermuten lässt, dass die Namengebungen ganz bewusst erfolgten. Als „Der Burggräfler“ am 18. Oktober 1919 eine Todesanzeige veröffentlicht – halbseitig –, finden wir alle drei genannten Namen in einer einzigen Person vereint. Die „innigstgeliebte Mutter, Schwiegermutter und Großmutter“, die kurz vor ihrem 80. Geburtstag verstorben war, hieß Bertha von Sölder zu Prakenstein geb. Isser von Gaudententhurm. Sie wurde 1839 als Tochter des Magistratsrat Anton von Isser und seiner Frau Elisabeth Putz geboren und war die Enkelin des Meraner Stadtschreibers Anton Isser. 1794 erwarb dieser den Ansitz und wurde vier Jahre später mit dem Prädikat „von Gaudenten­thurm“ geadelt. Der Ansitz Gaudententurm existiert seit dem 14. Jahrhundert. 1348 wurde von Meinhard, Edler von Gaudenz, ein Wohnturm erbaut, der im Laufe der Zeit starke bauliche Veränderungen erfahren hat. Die heutige Gestalt mit Erker, Ochsenaugen, Sonnenuhr und Wappen geht im Wesentlichen auf das 17. Jahrhundert zurück. Überhaupt ist die Geschichte des Ansitzes eine sehr wechselhafte. Auf die Edlen von Gaudenz folgten die Hendl und die Stachlburg und noch sechs weitere Familien, bevor gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Isser auftauchten. Unter den Nachkommen des genannten Stadtschreibers finden wir nicht nur die schon erwähnte Bertha, sondern auch deren Cousin Max von Isser und ihren Sohn Friedrich von Sölder. Beide haben auf ihren Gebieten Großes geleistet. Nach dem Besuch der Bergmannschule in Klagenfurt und der Berg­akademie in Leoben war Max von Isser (1851 – 1928) als Ingenieur tätig. Ob Kupfer in Prettau, Kohle in Fünfkirchen, Gold in Siebenbürgen, Blei und Zink in Nassereith oder Bitumenschiefer in Tirol – er stellte sein Wissen zur Verfügung und steuerte zudem wertvolle Beiträge zur Geschichte des Bergwesens bei. Nicht weniger imposant ist Friedrich von Sölder (1867 – 1943). Nach dem Studium der Medizin in Innsbruck und Graz spezialisierte er sich auf die Psychiatrie und wirkte als Gerichtsgutachter beim Landesgericht in der österreichischen Hauptstadt.
Dort war er von 1908 bis zu seinem Ruhestand 1932 Direktor und Chef­­arzt der Nervenheilanstalt Ro­sen­hügel. Bei der Errichtung der Anstalt zeigte sich sein besonderes Talent für Bauplanung und Organisation. Auch wissenschaftlich war er tätig. U. a. entdeckte er einen bis dahin unbekannten Reflex im Auge. Neben der Medizin gehörten auch Geschichte und Kunstgeschichte zu seinen Leidenschaften. Nach seiner Pensionierung ging er nach Meran zurück und beschäftigte sich mit heimatgeschichtlichen Themen. So entdeckte er beispielsweise eine Wallburg am Saxnerknott oberhalb von Plars. Und der Gaudententurm? Ab 1872 besaßen ihn vier Schwestern. 1919 ging er dann durch Erbschaft und Kauf auf Friedrich über und ist seither im Besitz der Familie von Sölder. Christian Zelger