Unsere Demokratie
7. Juni 2022
Fliegt Flamingos, fliegt!
7. Juni 2022
Alle anzeigen

Manchmal braucht es mehrere Anläufe

Alois Kneissl: Freude am Bauen und Schreiben

Als sich 1982 vor der Meraner St.-Nikolaus-Kirche Kinder für ein gemeinsames Foto nach ihrer Erstkommunion aufstellten, stand Kooperator Alois Kneissl neben ihnen. Doch nach diesem Geistlichen sind die Straßen in Marling und Tscherms nicht benannt – auch wenn der tatsächliche Namengeber zufälligerweise derselben Berufung gefolgt war.

Sonntag, 6. Oktober 1929. Der Trientner Erzbischof Celestino Endrici war bereits am Tag zuvor angereist, um feierlich die neue Kirche von Tscherms einzuweihen. Die Arbeiten daran waren zwar weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein, aber die alte Kirche befand sich in einem derart schlechten Zustand und war ohnehin zu klein, dass die Einweihung bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgte. Treibende Kraft hinter dem Neubau war Kooperator Alois Kneissl, der schon kurz nach Antritt seiner Stelle in das Komitee des Kirchenbaus berufen wurde. Unermüdlich sammelte er Spenden, schrieb Bettelbriefe und ging von Haus zu Haus. Dabei sollte es nicht sein einziges Bauvorhaben bleiben. Nach der Pfarrkirche von Tscherms widmete er sich der Restaurierung des Benefiziatenhauses in Truden, half beim Bau des Kirchleins in Kaltenbrunn, bei den Vorarbeiten für die neue Kirche in Seis am Schlern und bei der Inneneinrichtung der Kuratiekirche in Gfrill oberhalb Tisens.

Von den Kirchen zum Buch
Alois Kneissl und Aloisia Gamper hatten es wohl sehr eilig. Als ihr Sohn am 1. August 1898 um 14 Uhr am 1700 m hoch gelegenen Schroflhof in Katharinaberg auf die Welt kam, verging nur eine Stunde bis zu dessen Taufe. Er sollte, so hatten die Eltern entschieden, Alois heißen wie sein Vater. Als dieser starb war Alois junior, das älteste von sieben Kindern, erst 13 Jahre alt. Die ganze Last blieb bei der Mutter. Aloisia überlebte ihren Mann um 45 Jahre. Auf ihrem Sterbebild finden wir die Zeilen: „Priestermutter – erhabne Würde! Neunzig Jahre – gesegnete Bürde!“ Doch bis zum Priesteramt war es für Alois ein weiter Weg: Benediktiner-Gymnasium in Meran, Tiroler Kaiserschützen im Ersten Weltkrieg, italienische Kriegsgefangenschaft. Am 29. Juni 1922 wurde er in Brixen zum Priester geweiht, zusammen mit Josef Schwarz aus Mölten, Bartholomäus Terzer aus Niederlana und zwanzig anderen. Die Primiz in seinem Heimatort war „ein Freudenfest, wie es diese kleine Pfarrgemeinde seit 120 Jahren nie mehr gesehen“ hatte, schreibt „Der Tiroler“. Ein glänzendes Fest mit Kirchenchor und Musikkapelle, Triumphbögen, im Wind flatternden Fahnen und feierlich dröhnenden Böllern. Der Andrang der Gläubigen war so groß, dass die Primizpredigt im Freien gehalten werden musste. Sogar das Wetter spielte mit – ein gutes Zeichen. Danach wirkte Kneissl in verschiedenen Orten, als Kooperator in Unser Frau in Schnals, Tscherms, Tschars und Auer, als Benefiziat in Truden, als Kurat in Gfrill und ab 1947 schließlich – krankheitsbedingt – als Frühmesser in Marling. Neben seiner Tätigkeit als Seelsorger schrieb er Zeitungsbeiträge und verfasste das erste Marlinger Dorf­buch. Um kostbares Volksgut vor der Vergessenheit zu retten, begann er in mühsamer Kleinarbeit mit dem Sammeln von Erinnerungen aus dem Dorfleben, dokumentierte Volks- und Brauch­tum, Sagen und Anekdoten, soweit sich solche mündlichen Überlieferungen noch erhalten hatten. 1959 erschien das mit über 100 Bildern ausgestattete Werk und wurde zum Preis von 1500 Lire verkauft. 1972 feierte er sein goldenes Priesterjubiläum. Über 40 Jahre lang stand ihm Katharina Weger als Widumhäuserin zur Seite, ein „heutzutage seltenes Beispiel von Dienstbotentreue“, wie es die „Dolomiten“ formulierten. Alois Kneissl starb 74-jährig und fast erblindet am 1. März 1973 in Marling.

Vom Menschen zu den Straßen
1997 sollte die Zufahrtsstraße zur Zone Trojenweg in Tscherms nach Kneissl benannt werden. Und 2001 brachte Alois Unter­thurner, damaliges Ausschussmitglied des Heimatpflegevereins Marling, erstmals den Vorschlag in den Gemeinderat ein, den langjährigen Frühmesser und Dorfbuch-Autor mit einer Straße zu ehren. 2016 appellierten die Heimatpfleger an die Gemeinderatsmitglieder, den Namen „Dorfanger“ für die neue Wohnbauzone zu überdenken. Das Straßenschild kennt die Antwort. Manchmal braucht es eben mehrere An­läufe.
Christian Zelger