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Mutter und Kind(er)

Kaum ein Erlebnis ist so aufregend und fordernd wie die Geburt eines Kindes. Sprich­wörtlich heißt es, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Hierbei geht es nicht ausschließlich um den Erziehungsauftrag, sondern auch um Hilfe für die Eltern. Außerfamiliäre Angebote etablieren sich, um eine niederschwellige Unterstützung anzubieten.
Von Jasmin Maringgele

Die Ankunft eines neuen Familienmitgliedes stellt naturgemäß erstmal alles auf den Kopf. Bis sich alle in ihre neuen Rollen eingefunden haben, dauert es seine Zeit. Vor allem in der ersten Zeit ist ein Baby vor allem auf die Mut­ter geprägt – was aber nicht heißt, dass Väter oder andere Bezugspersonen weniger wichtig wären. Gerade auch in Hinblick auf die Unterstützung, welche eine Mutter nach der Geburt eines Kindes benötigt. In den ersten sechs Monaten läuft ein „intuitives Elternprogramm“ ab, das Mütter und Vä­ter durchlaufen. In unserer Wissensgesellschaft fällt es vielen Eltern schwer, ihrem natürlichen Gefühl zu vertrauen. Eine ausgewogene Kombination aus Intuition, Erfahrungsaustausch und Wissen kann über erste Unsicherheiten hinweghelfen. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist einzigartig und aus evolutionsbiologischer Sicht sogar überlebensnotwendig. Was „eine gute Mutter“ ausmacht, ist allerdings nicht einfach festgelegt. Elternschaft ist nicht kündbar und jede Lebensphase des Kindes bringt neue Herausforderungen mit sich. Daher ist es für Mütter besonders wichtig, sich ihre Kräfte einzuteilen und sich nicht zu überfordern. Als zentraler Begriff gilt die „Feinfühligkeit“ im Umgang mit dem Kind, um sich in unserer komplexen Welt zurechtzufinden. Grundlegende Entwicklungsprozesse sind gut erforscht und das Wissen darüber kann helfen, sein Kind – und dessen Verhalten – besser zu verstehen, ohne zu verkrampft alles richtig machen zu wollen. Anstatt einer Flut ungefragter Ratschläge oder Geschenke, wissen viele Eltern kleine Hilfsangebote von Familie und Freunden mehr zu schätzen: Eine Kleinigkeit zu essen, aufmunternde Worte, etwas Zeit für die Eltern oder Ge­schwis­terkinder – es hilft, auf die konkreten Wünsche einzugehen.

Sozialarbeiterin Nadine Lutz

Nadine Lutz ist Sozialarbeiterin mit Zusatzausbildung zur systemischen Arbeit mit Familien und aufbauendem Masterstudium. Sie ist Fachkraft für Family Support im Eltern-Kind-Zentrum Meran und beantwortet für die BAZ Fragen zum Thema „Mutter & Kind“.

Mütter, vor allem beim ersten Kind, machen sich meist sehr viele Gedanken um den „richtigen Umgang“ mit ihrem Kind. Viele lesen Ratgeber, sprechen mit Freundinnen, Ärzten oder Pädagogen. Dementsprechend viele Ratschläge erhalten sie. Was raten Sie Neu-Müttern – mehr Intuition?
Nadine Lutz: Der Alltag mit einem Baby ist ein Full-Time-Job, in dem wahrscheinlich nicht immer alles so glatt läuft, wie man sich es vorgestellt hat: wenig Schlaf, alltägliche Anforderungen wie Kochen, Duschen, Haushalt werden zu einer Herausforderung. Zudem spielen die Hormone nach der Geburt verrückt. Neu-Eltern müssen sich in dieser neuen Situation und Rolle erst einmal zurechtfinden. Unsicherheiten gehören hier dazu und sind vollkommen normal. Sehr oft ist der eigene Anspruch an sich selbst sehr hoch. Hinzu kommen gut gemeinte Ratschläge von außen, die das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit verstärken können. Eltern dürfen sich mehr vor Augen halten, dass es das Wichtigste ist, für das Baby da zu sein und auf es einzugehen. Dadurch lernen sie die Bedürfnisse des Babys kennen und können darauf vertrauen, dass sie ihr Baby am besten kennen. Sie dürfen auch den Mut haben, sich für seine Bedürfnisse – aber auch die eigenen – einzusetzen. Trotzdem haben Erziehungsratgeber, Beratung bei Fachkräften und Tipps von Freunden ihre Be­rechtigung. Dabei ist es wichtig, dass Ratschläge von außen nicht als absolute Tatsachen und fertige Rezepte aufgenommen werden. Vielmehr sollten sie Anregungen für uns selbst sein, um Informationen zu erhalten, diese abzuwägen und unser eigenes Verhalten zu reflektieren. Also auch an uns alle als Freunde/Bekannte von Neu-Eltern das Fazit: Unterstützen wir Neu-Eltern mit aktivem Zuhören und da sein – das hilft mehr. Geben wir unsere Ratschläge nur dann, wenn sie auch tatsächlich gefragt werden.

Die Geburt eines Kindes ist für die meisten Eltern ein sehr schönes, aber auch einschneidendes Erlebnis. Vor allem die erste Zeit kann sehr intensiv und fordernd sein. Die Initiative „Family Support“ möchte eine praktische, kostenlose Unterstützung nach der Geburt anbieten. Können Sie etwas darüber erzählen?
Eine freiwillige Person sucht eine Familie für eine bestimmt Zeit – ca. 1x pro Woche – für einige Stunden auf und ist für die Familie da: über den Schlaf des Babys wachen, mit Geschwisterkindern spielen, ge­meinsam den Einkauf erledigen, einfach präsent sein… Worin die Unterstützung genau besteht, wird gemeinsam mit der Familie bestimmt. Durch Family Support will man Eltern Zeit schenken, damit sie die eigenen Kräfte auftanken können, nicht allein sind und mehr Ruhe und Gelassenheit im Alltag erleben können. Dadurch soll Überforderung und Isolation in dieser besonderen Anpassungsphase vorgebeugt werden.

Inwieweit profitieren kleine Kinder vom Umgang mit Gleichaltrigen – sei es in der Kita, innerhalb der Kernfamilie oder anderweitig?
Der Mensch ist ein soziales Wesen und das schon seit seiner Geburt. Im Kontakt mit Gleichaltrigen erleben Kleinkinder eine Beziehung zu jemandem mit denselben Fähigkeiten bzw. Entwicklungsstand. Es findet noch nicht das statt, was wir unter „Miteinander Spielen“ und Kommunizieren verstehen. In dieser Altersphase geht es um eine andere Form der Interaktion, insbesondere das Nach­ahmen und das nebeneinander Spielen (Parallelspiel). Dadurch lernen sich Kinder „am Anderen“ besser kennen, probieren aus und erleben frühe Formen der Kooperation.

Mutter und Kind: eine besondere Beziehung

Sie haben in Ihrem Berufsalltag mit mannigfaltigen Familien und deren Geschichten zu tun. Gibt es Anliegen, an die Politik oder Gesellschaft generell , welche häufig geäußert werden?
Eltern sind in der heutigen Gesellschaft in der Aufgabe der Elternschaft oft auf sich allein gestellt. Individuelle Unterstützungsnetze sind meist nicht sehr groß. Gleichzeitig besteht viel Druck alles richtig und gut zu machen. Mehr Verständnis und Sensibilität in der Gesellschaft wären wichtig. Eltern wünschen sich oft flexible Unterstützungsformen: Jemand, der Kinder vom Kindergarten abholt, mal einspringen kann, etwas Konkretes abnimmt – wissen aber nicht wohin damit. Ein immer wiederkehrendes Thema ist auch die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf. Insbesondere die (Wieder-)Aufnahme der Berufstätigkeit der Mutter wird stark von äußeren Faktoren beeinflusst (Kosten-Nutzen, Betreuungsmög­lichkeiten und -zeiten). Im Allgemeinen finde ich es wichtig, dass in die Präventionsarbeit ab Geburt investiert wird. Der Auf- und Ausbau des Frühe-Hilfen-Systems ist ein Schritt in eine gute Richtung. Die frühkindliche Phase ist bedeutsam für die spätere Entwicklung. Werden Eltern frühzeitig mit ihren Anliegen und Bedürfnissen aufgefangen, dann hat dies langfristig positive Auswirkungen auf das Aufwachsen der Kinder. Zudem finde ich es wichtig, dass man in dieser Lebensphase vermehrt auf niederschwellige, flexible und aufsuchende Angebote setzt.