Ein Virus verändert die Welt – aber wie?

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Ein Virus verändert die Welt – aber wie?

Nicht einmal ein Jahr ist seit dem ersten Corona-Fall in Südtirol vergangen. Und doch haben diese 11 Monate bereits deutliche Spuren hinterlassen.

Man sieht im Fernsehen zwei Menschen, die sich die Hand geben oder liest in einem Buch von Freunden, die sich treffen – und es wirkt merkwürdig. Allein die Tatsache, dass solche alltäglichen, ganz normalen Dinge auffallen, muss uns zu denken geben. Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde vorschnell das Ende der Spaßgesellschaft verkündet. Wie wird Corona die Bussi-Bussi-Gesellschaft verändern?

Wir erleben derzeit einen historischen Moment. Einen langgezogenen Moment, in dem nicht wenige befürchten, dass der Ausnahmezustand, in dem wir uns befinden, zur neuen Normalität werden könnte. Doch eine Krise, eine Grenzsituation, macht auch Vieles deutlicher und klarer. Ein mit bloßem Auge unsichtbares Virus macht plötzlich sichtbar, was uns bisher wenig bewusst war. Ich möchte exemplarisch auf vier Bereiche eingehen.

1. Den digitalen Medien kommt seit Beginn der Pandemie eine besondere Rolle zu – um sich zu unterhalten, um sich zu informieren, um sich auszutauschen. Gleichzeitig aber merken wir, dass das physische Miteinander, das Face 2 Face, weder von Facebook noch von Instagram ersetzt werden kann. Auch wie wichtig der Unterricht, gemeinsam in einem Raum, ist, spüren wir Tag für Tag. Ausgerechnet der Mensch als Gemeinschaftswesen, das die anderen braucht, um zu leben und zu überleben, soll sich nun in „social distancing“ üben. Und wenn man sich dann trotzdem einmal direkt gegenübersteht und lächelt, wird einem bewusst, dass das der andere vielleicht gar nicht sieht. Wenn Mimik und Gestik wegfallen, füllen Emojis die Bedeutungslücken. Wie wird sich aber unsere alltägliche Kommunikation verändern, wenn uns die Masken noch eine ganze Weile erhalten bleiben?

2. Das ist nicht die einzige Frage, die wir uns stellen müssen. Einerseits orientiert sich die Politik in ihren Entscheidungen an wissenschaftlichem Expertenwissen und viele Menschen sind bereit, unangenehme oder oft auch harte Einschränkungen zu akzeptieren, um einen Beitrag zu leisten. Andererseits beobachten wir, dass in Teilen das Vertrauen in die Wissenschaft sinkt, dass sich viele von einer rationalen und ergebnisoffenen Diskussion verabschieden. Lieber Klopapier horten statt Abstand halten. Lieber Aluhut statt Maske. Dass Menschen und das Zusammenleben nicht auf eine Reihe von Zahlen und Formeln reduziert werden dürfen, ist selbstverständlich; dass aber Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft für Argumente nicht mehr erreichbar sind – und auch das offenbart diese Pandemie nur allzu deutlich –, wird zu einer Herausforderung für die Zukunft werden.

3. Wie im wirtschaftlichen Bereich ist es auch in der Politik schwer abzuschätzen, welche Richtung die Entwicklung nimmt. Grundrechte werden in dieser Krise notgedrungen eingeschränkt. Wir im demokratischen Westen müssen beobachten, dass das demokratische Prozedere ausgehebelt wird und – noch schlimmer – dass Länder, die gar nichts mehr aushebeln müssen, die Situation oft besser in den Griff bekommen. Wird die Erkenntnis, dass eine globalisierte Gesellschaft auch globale Krisen hervorbringt, zu einem erneuten Rückzug ins Nationale und Lokale führen oder doch zur Überzeugung, dass wir nur gemeinsam die Erde als lebenswerten Planeten erhalten können?
4. Noch ein letzter Gedanke. Der private Ort, dort wo Familie, Verwandte und Freunde zusammenkommen, der Ort, der für die meisten von uns positiv besetzt ist, wird von gleich mehreren Seiten korrumpiert. Das Zuhause als Gegensatz zum Club, zur Bar, zum Fußballplatz, zum Jugendzentrum. Verbunden mit dem Gefühl, eingesperrt zu sein – für viele Jugendliche besonders hart. Erschreckend auch die Zunahme von häuslicher Gewalt und psychischen Problemen. Dazu der Ort, an dem sich viele Menschen mit dem Virus anstecken. Und doch: Nur mit und in dieser Gemeinschaft werden wir als Personen halbwegs schadlos durch die Krise kommen. Davon bin ich überzeugt.

Es bleiben Fragen über Fragen. Haben wir das Adjektiv „systemrelevant“ nur gelernt, um es wieder zu vergessen? Werden Staaten ihre Klimaziele auch ohne Pandemie und Lockdowns erreichen können? Wie viele Menschen werden nach Corona alles doppelt und dreifach nachholen? Werden Lehrpersonen jemals wieder Notenkonferenzen in Präsenz verlangen? – Welche Veränderungen werden langfristig bleiben?

Christian Zelger