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Es war einmal ein Märchen

Kinder- und Jugendbücher im Wandel der Zeit

Märchen haben, seitdem es sie gibt, mit ihren geheimnisvollen und oft auch schaurigen Inhalten Kinder wie Erwachsene in ihren Bann gezogen. Sie laden zum Träumen ein, zum Lernen, Schauen und Staunen und regen ganz besonders die Fantasie der Leser an, weil sie neue und unbekannte Welten öffnen. Eine wesentliche Rolle fällt den Bilderbüchern für Klein- und Vorschulkinder zu, die durch das Vorlesen und Betrachten der Bilder sowie beim Sprechen darüber in der Familie und im Kindergarten frühzeitig für Bücher und die Kinderliteratur sensibilisiert werden. In vielen Büchern werden typische Situationen aus dem Alltag wie der Wunsch nach Geschwistern, Tieren, Freunden und Verständnis ebenso thematisiert wie ein Geheimnis zu haben, Eifersucht unter Geschwistern oder auch Krankheiten und Armut zu haben. Die weltweit bekannten Märchen der Brüder Grimm und Hans Chris­tian Andersens sowie die Klassiker von Wilhelm Busch, Johanna Spyri und Wilhelm Hauff haben das 19. Jahrhundert maßgeblich geprägt und sind von Ge­neration zu Generation weitergegeben worden. Ab den 1950er Jahren wirbelten dann Abenteuer­geschichten und Erzählungen durch die Zimmer der jüngeren Generation. Winnetou, Die Schatzinsel, Robinson Crusoe, Lederstrumpf, Der Trotzkopf, Nesthäkchen, Pippi Langstrumpf, Mary Poppins und Doktor Doolittle waren beliebte Lektüren im 20. Jahrhundert, bevor im 21. Jahrhundert Comics wie Asterix und Obelix, der Indianerjunge Yakari und der Feuerwehrmann Sam, aber auch andere Buch­serien die Oberhand gewannen. Immer stärker hat sich auch die Filmin­dustrie für Jugend-­Abenteuer interessiert und zahlreiche Spiel- und Trickfilme einem breiteren Publikum in Kinosälen und im Fernsehen vorgeführt. Dann kam die Zeit des Zauberjungen Harry Potter. Diese Bücher von Joanne K. Rowling sorgten auf dem Buchmarkt für eine Revolution und brachten Mil­lionen von Kindern und Jugendlichen, die längere Zeit von Büchern nichts mehr wissen wollten, wieder zum Lesen. Digitale Medien wie Handys, Com­puterspiele, E-Books ließen die Nachfrage nach Büchern plötzlich ins Stocken geraten. Folglich stellten sich viele Eltern die Frage, wie man die digitalen Medien wirksam aus den Kinderzimmern fernhalten könnte und wie man die Jugend wieder zu mehr persönlichen Gesprächen und Lektüre anhalten könnte, um die Kontaktfreudigkeit und die Fantasie der Kinder wieder zu fördern.

Wie sehen der Buchhandel und die Bibliotheken diesen Konkurrenzkampf zwischen Büchern und den digitalen Medien?
Dazu haben wir uns mit der stellvertretenden Filialleitern der Buch­­handlung Athesia von Meran, Sonja Kienzl und mit der Leiterin der Pfarrbibliothek Maria Himmelfahrt in Meran, Bruni Win­terholer, die auch Kindergärtnerin ist und die Vorlieben der kleinen Leser gut kennt, unterhalten.

Wie sehen Sie die Nachfrage nach Kinder- und Jugendlektüre?
Sonja Kienzl: Die Nachfrage nach Büchern für Kinder der Vorschule sowie für Grund- und Mittelschüler ist – besonders wegen des tollen und umfangreichen Angebotes der Verlage – nach wie vor gut, wobei sowohl einheimische Leser auch Feriengäste gerne bei uns einkaufen. An Bilder- und Kinderbüchern wird nach wie vor nicht gespart, weil sowohl Eltern als auch andere Erziehungsberechtigte den Kindern – auch aus pädagogischer Über­legung – vermehrt Bilder- und Kinderbücher zu offiziellen Anlässen schenken. Jugendbücher hingegen werden meist nur noch von echten Leseratten gewünscht und gekauft.

Wie wichtig ist es, dass Kinder und Jugendliche lesen?
Bücher sind nach wie vor wichtig für die persönliche Weiterentwicklung und die Ausprägung eines umfangreichen Wortschatzes. In der Mittelschule lässt die Lust zum Lesen oft nach, und die Pubertierenden gönnen sich eine Lesepause in dieser neuen Lebensphase. Mehr oder weniger interessante Freizeitaktivitäten und der Griff zu den neuen Medien werden mit zunehmendem Alter attraktiver. Wir haben beobachtet, dass Audio-CDs und Hörspiele kaum noch von Interesse sind, weil sich die Jugendlichen die interessantesten Stücke aus dem Internet herunter laden. Die Nachfrage nach E-Books ist gar nicht so groß wie allgemein vermutet, weil die elektronischen Lesegeräte nicht immer anwenderfreundlich sind und sich folglich viele Leser technisch überfordert fühlen. Viele Bücherfreunde kehren daher gerne wieder zum gedruckten Buch zurück.

Welche Bücher sind besonders gefragt?

Sonja Kienzl von der Buchhandlung Athesia in den Meraner Lauben

Sehr gut verkauften sich in diesem Jahr die Bücher „Mein kleines Südtirol-Buch“. Hier werden Traditionen, Geschichte und Alltagsleben in Südtirol beschrieben. Es gibt eine Variante für Kleinkinder bzw. Kindergärten und eine für die gesamte Familie mit Kindern im Grundschulalter. Ein entsprechendes Bastel- und Malbuch sowie ein Puzzle ergänzen dieses Angebot. Klassiker wie Max und Moritz, Struwwelpeter, Die Kleine Raupe Nimmersatt und die Geschichten um den Kleinen Maulwurf sind immer noch beliebte Geschenke. Jugendliche vertiefen sich lieber in romanhafte Reihen wie Ostwind, Die wilde Horde, Die wilden Hühner, Fünf Freunde, Die Drei Fragezeichen, Gregs Tagebuch oder folgenreiche Bücher aus der Welt der Schule und des Internats. Ein beliebtes Segment sind Comic-artige Bücher mit Sprechblasen und Bildern für jene, die weniger lesen, dabei jedoch auch gerne schmunzeln und die treffenden Bilder betrachten wollen, wie Asterix und Obelix, Tom Gates, Dork Diaries oder Mein Lotta Leben. Die Harry-­Potter-Welle läutete mit Magiern und Zauberern, Elfen und Fabelwesen eine neue Ära der Fantasy-Literatur ein, wobei das Gute immer noch gegen das Böse kämpft.

Gibt es neue Trends?
Das Internet beeinflusst das Kaufverhalten der Leser. Daher suchen besonders Jugendliche nach Themen, die „en vogue“ sind. Dazu zählen Bücher, die von „Influencern“ beworben werden. Für die Werbung sind sie gewinnbringende Persönlichkeiten, weil sie teilweise Millionen von sogenannten „followern“ haben, die sich für alles interessieren, was diese meist selbsternannten Stars unternehmen. Den Marktwert der „Influencer“ haben die Buchverlage längst erkannt und bieten den Online-Stars mittlerweile lukrative Buchverträge, um am großen Kuchen mitnaschen zu können und eine neue Zielgruppe in die Buchhandlung locken zu können. Die Themenpalette reicht dabei von Schönheitstipps, Fitness, Motivationsratschlägen bis hin zu speziellen Kreativbüchern, in denen jeder Gedanke und jede Situation des Lebens vermerkt und ausgewertet werden kann. Der bekannteste Titel aus diesem Segment ist „Spring in eine Pfütze“.

Frau Bruni Winterholer, Sie sind Leiterin der Pfarrbibliothek Maria Himmelfahrt und Kindergärtnerin. Wie sehen Sie die Nachfrage in der Pfarrbibliothek und das Vorlesen für die Kleinen?

Bruni Winterholer, Leiterin der Pfarrbibliothek Maria Himmelfahrt

Vor- und Grundschulkinder kom­men gerne in die Bibliothek, da sie zahlreiche Bilder- und Kinderbücher bei uns ausleihen können. Ab der Mittelschule lässt die Nachfrage nach. Für Projekte suchen Jugendliche schuleigenen Bibliotheken auf, zum Teil aber widmen sie sich gerne, andere Mitschüler nachahmend, Medien wie Handy und Internet.

Welche Bücher bevorzugen die jungen Leser?
Vorschulkinder schauen am liebsten Bilderbücher an, und ihre Auswahl wird meist durch die anschauliche Außengestaltung der Bilderbücher beeinflusst. Grundschüler lesen gerne Bücher mit einfachen Texten oder jene, wo einfache Texte durch Abbildungen ersetzt wurden und sie dann den Text mit Worten vervollständigen können. Buben leihen gerne Technik- und Sachbücher aus, während Mädchen leichte Erzählungen, die sich mit Pferden oder anderen Tieren befassen, bevorzugen.

Hat das Vorlesen im Kindergarten noch einen Stellenwert?
In den meisten Kindergärten gibt es eine kleine Bilder- und Märchenbücherei. Ab und zu besuchen Kindergartengruppen auch die Bibliothek. Nicht alle Kinder mögen es, wenn ihnen vorgelesen wird, also passt sich die jeweilige Kindergärtnerin der Situation an. Musik-CDs werden besonders in der Adventszeit noch gerne ausgeliehen, zumal die Klein­kinder danach auch tanzen können. Ansonsten sind Hörbücher im Kindergarten nicht mehr so gefragt.

Was ist der Grund für den Rückgang beim Lesen?
Die Freizeit ist für Kinder und Jugendliche knapper geworden, weil viele außerschulische Tä­tigkeiten geboten werden und der heutigen Jugend, wie auch den Erwachsenen, die innere Ruhe fehlt. „Es gibt mehr Schätze in Büchern als Piratenbeute auf einer Schatzinsel, wobei das Beste dabei ist, dass man diesen Reichtum jeden Tag seines Lebens in einem Buch genießen kann“, so sagte einst Walt Disney, der Schöpfer unzähliger beliebter und weltbekannter Zeichentrick- und Kinderfilme. Das Lesen von Kinder- und Jugendbüchern ist trotz „Digitaler Medienwelt“ immer noch zeitgemäß, es braucht aber dazu die Unterstützung der Eltern und Erzieher. Zudem bieten Buchhandlungen und Bibliotheken viele literarische Kostbarkeiten an, auch für Jugendliche und Kin­der, durch Leseabende mit Buch­autoren, Vorträge und Buchvorstellungen, um ihr Interesse am Lesen zu wecken.

von Wilfried Mayr