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In St. Leonhard

St. Leonhard an der Weggabelung zwischen Timmelsjoch und Jaufenpass ist Dreh- und Angelpunkt des Passeiertals und schließt die Ortschaften Schweinsteg, Mörre, Prantach, Schlattach, Walten und Gomion ein.  

Das Gemeindegebiet um den Hauptort St. Leonhard hat eine lange Siedlungsgeschichte aufzuweisen. Die sogenannten Silexfunde am Jaufenkamm belegen, dass bereits 8000 Jahre vor Christus Jäger und Sammler das Tal durchstreiften. Weitere Siedlungsspuren um 1000 v. Chr. finden sich bei St. Hippolyt auf Glaiten, wo eine alte Kultstätte gewesen sein soll.
Einige Ortsnamen in Passeiertal weisen auf rätoromanische Einflüsse hin. Die erste Erwähnung des Tales als „Pagus Passir“ reicht in das Jahr 1078 zurück. Damals bildete noch der Flussverlauf der Passer die Grenze zwischen der Grafschaft Vinschgau und jener von Bozen. Die Passer war auch Trennlinie zwischen dem Bistum Chur und dem Bistum Trient. Die Pfarrei St. Leonhard wurde 1116 von Bischof Bernhard von Trient eingeweiht und 1219 von Kaiser Friedrich II. dem Deutschen Orden geschenkt.
Unter den Grafen von Tirol wurden die Gebiete im Passeiertal zu einem Gericht vereint. Gerichtsherren waren zunächst die sogenannten „Herren von Passeier“, deren Wappen noch heute die Marktgemeinde ziert. Später wurden die Grafen Fuchs für die gerichtliche Verwaltung des Gebietes eingesetzt. Als Residenz galt ihnen die Ende des 13. Jahrhunderts errichtete Jaufenburg. Von dort aus bestimmten die Grafen Fuchs über fast vier Jahrhunderte die Geschicke des Tales, obwohl das Tal in einem besonderen Verhältnis zu den Grafen von Tirol stand. Davon zeugen 11 Höfe, die 1317 als sogenannte Schildhöfe besondere Privilegien erhielten, wie Steuerfreiheit, Jagd- und Fischereirecht.
Der Sandhof an der Dorfeinfahrt ist der Geburtsort des Südtiroler Freiheitskämpfers und Oberkommandanten Andreas Hofer, der bei den Tiroler Aufständen von 1809 zum Symbol des Widerstandes gegen Napoleon wurde.
Bis heute wird seine Hinrichtung in Mantua am 20. Februar 1810 im ganzen Land begangen, insbesondere im Passeiertal.
Wirtschaftlich war vor allem der Bau der sogenannten „Kunststraße“ 1899 von Meran nach St. Leonhard ein wichtiger Impuls für das gesamte Tal. Dem folgten der Bau der Jaufenstraße in den Jahren 1909 bis 1911 und die Realisierung der Verbindungsstraße über das Timmelsjoch von 1933 bis 1967. Damit war die Gemeinde an alle umliegenden Hauptverbindungen angeschlossen.

Die Jaufenburg und die Heilig-Kreuz-Kirche
An die prachtvollen Bauten der Jaufenburg erinnern heute leider nur noch der Bergfried und einige Mauerreste. Ursprünglich soll die Jaufenburg aus zwei Festsälen  und mehreren Wirtschaftsgebäuden bestanden haben. Mit seiner Auflassung im 18. Jahrhundert wurde die Anlage jedoch völlig dem Verfall preisgegeben. Die älteste Darstellung der Burganlage kann heute noch in der Heilig-Kreuz-Kirche unterhalb der Jaufenburg besichtigt werden. Der Sage nach war die Kirche 1531 von Hildebrand Fuchs errichtet worden, nachdem er bei der Heimreise von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem in Seenot geraten war und das Gelübde abgelegt hatte, dort eine Kapelle zu errichten, wo ihm sein Pferd ein Zeichen geben würde. Als sein Pferd am Fuß der Jaufenburg auf die Knie fiel, war klar, dass hier die Kapelle errichtet wird. Die erhaltene gotische Wandmalerei im Inneren der Kirche erzählt vor allem Szenen aus dem Leben und Leiden von Jesus Christus. Die zuvor erwähnte älteste Darstellung der Jaufenburg ist im Hintergrund einer Szene zu entdecken, in der Frauen den Jüngern von der Auferstehung Jesu berichten.

Psairer Schafwolle wird im „Spinnradl“ kunstvoll verarbeitet.

Die Landwirtschaft
Durch die attraktive Er­reich­bar­keit der unmittelbaren Nähe zum Brenner, dem Ötztal sowie zu Me­ran wurde die Markt­gemein­de St. Leon­hard in den vergangenen Jahr­zenten immer mehr zum interessanten Wirt­schafts­stand­ort. „Wirtschaftsmo­tor Nummer eins ist die Land­wirt­schaft“, erklärt Bür­germeister Konrad Pfit­scher im Ge­spräch. Dafür sprechen auch die über 233 Bau­ernhöfe in St. Leon­hard, die vor allem Milch­wirt­schaft, Obst- und Gemüse­anbau betreiben. Eine Be­son­derheit sind die 10.000 Ziegen und 3500 Schafe, die die Bauern im Pas­sei­ertal mit viel Fleiß bis heute halten.

Attraktives Urlauberziel
Die beiden naheliegenden Passstraßen, die herrliche Bergluft sowie die zahlreichen Wanderwege bringen viele Urlauber nach St. Leonhard. Das zeigt die Zunahme der Übernachtungen von 10 % im vergangenen Jahr. Das Angebot reicht vom Urlaub auf dem Bauernhof bis hin zu 4- und 5-Sterne-Hotels.

Die zwei Gewerbegebiete
Auch das Gewerbe hat den Standort St. Leonhard längst für sich entdeckt. Es konzentriert sich einerseits auf die gemeindeübergreifende Handwerkerzone Lahne der Gemeinden St. Leonhard und der anliegenden Gemeinde St. Martin sowie den gemeindeeigenen Gewerbezonen Lände und Schweinsteg. Die Gewerbezone „Lände“ war ein ehemaliger Ladeplatz der Flößerei (Form des Holz­trans­ports, bei dem die Baumstämme den Fluss entlang getrieben wurden). Auch heute noch bietet die Waldwirtschaft vielen Bauern und Waldbesitzern ein Einkommen. Die Gewerbezone begann ihren Betrieb 1975. Sie beherbergt Tischlereien, Bauunternehmen, einen Baustoffhandelsbetrieb, ein Seilbahnbauunternehmen, mehrere Handwerker und einige Dienstleister. Auch die Landwirtschaftliche Hauptgenossenschaft hat ihren Standort in der „Lände“. Die Gewerbezone „Schweinsteg“ entstand erst 2002 und wurde  zum attraktiven Wirtschaftsstandort für einen Holz­energiebetrieb, ein Bauunternehmen, einen Malermeister sowie ein Montageservice.

Lebensqualität und Freizeitangebote
Neben der frischen Bergluft und dem Trinkwasser aus Bergquellen sprechen mehrere Freizeitangebote für die Lebensqualität in der Gemeinde. So wird das Biotop mit anliegendem Fischerteich gegenüber dem Sandwirt immer wieder gerne als Naherholungszone besucht. Unmittelbar davor befindet sich auch ein Reitstall. Fährt man unterhalb vom Dorfzentrum von St. Leonhard die Umfahrungsstraße entlang weiter Richtung Moos, erreicht man die Sportarena Passeier. Auf dieser modernen Sportanlage befinden sich mehrere Sportangebote: eine große Kletterhalle mit einer Fläche von 400 m2, einem Kletterturm von 16 m Höhe und ein Boulder-Bereich von 130 m2. Auf dem gleichen Areal befinden sich auch vier vollautomatische Funk-Kegelbahnen, ein Granulat-Hallentennisplatz, drei Sand-Tennisplätze im Freien mit Flutlicht-Beleuchtung, ein Beachvolleyball-Feld und ein Erlebnisbad mit mehreren Schwimm­becken, Wasserfällen, Strö­mungssprudel und eine Wasserrutsche.


Kampfsport in St. Leonhard
Der Kampfsport hat in St. Leonhard in Passeier eine lange Tradition. Bekannt sind vor allem das Kickboxen und das traditionelle „Rangln“. Die Hofburg der Passeirer Rangler befindet sich allerdings im nahegelegenen St. Martin, wo Burschen im Alter von 6 bis 30 Jahren ein- bis zweimal in der Woche trainieren und sich regelmäßig auf nationale und internationale Wettkämpfe vorbereiten. Gerangelt wird in vier offenen Kampfklassen – und zwar barfuß. Die Sportler tragen eine weiße Leinenhose mit Riemen und ein weißes Leinenhemd. Die Paare treffen im Wettkampf zumeist durch Auslosung aufeinander. Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Studien über das „Rangeln“ veröffentlicht wurden, bekam die Sportart ein offizielles Regelwerk. Gewinner ist jener „Rangler“, der seinen Konkurrenten so zu Fall bringt, dass dieser mit beiden Schultern den Boden berührt. Bekannte Kampfmethoden sind dabei das Knüpfen, Fatschen, Hufen, Stirnen oder Kreuzwerfen.

Der neue Schluchtenweg
Wanderer und Radfahrer kommen in St. Leonhard ganz besonders auf ihre Kosten. Dazu sind vor allem die beiden Passstraßen (Jaufenpass und Timmelsjoch) geeignet, die von Rennradfahrern oder Mountainbikern immer wieder gerne befahren werden. Gemütlicheres Radfahren bietet der Radweg „Passeiertal“, der entlang des Passerufers von St. Leonhard bis nach Meran führt. Die über 125 ausgeschilderten Wanderwege des Passeiertales laden dazu ein, die umliegende Berggegend zu erforschen. Zwei besondere Highlights sind der Meraner Höhenweg sowie der „Passerschluchtenweg“. Letzterer wurde erst vor wenigen Jahren neu errichtet und führt durch die Passerschlucht von St. Leonhard bis nach Moos in Passeier. Dabei wurde mithilfe von mehreren Metallkonstruktionen eine Wanderroute erschlossen, welche die Kraft des Passerflusses hautnah erlebbar macht.

Meisterliche Küchen von Gottfried Pichler.

Die Filmkulisse
Mit dem Film „Bergblut“ des Passeirer Regisseurs und Drehbuchautors Philipp J. Pamer wurde St. Leonhard 2010 auch als Filmkulisse bekannt. Der mehrfach preisgekrönte Historienfilm erzählt die Geschichte einer jungen Arzttochter aus Bayern, die 1809 mit ihrem Mann nach Tirol fliehen muss und dort die Volksaufstände um Andreas Hofer miterlebt. 2012 erhielt der Film – neben vielen anderen Auszeichnungen – auch von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden das Prädikat „besonders wertvoll“.

Persönlichkeiten
Neben dem wohl berühmtesten Südtiroler Helden Andreas Hofer gibt es weitere Persönlichkeiten,  etwa den Barockmaler Joseph Haller (1737 – 1773), Nikolaus Auer und Johann Benedikt Auer. Joseph Haller war Teil der bekannten Passeirer Malerschule, die ab 1719 über 100 Jahre lang in Passeier bestand und im gesamten Tirol viele barocke Fres­ken- und Fassadenmalereien hinterließ. Der Name der Mittel­schu­le von St. Leonhard erinnert an Johann Ja­kob Staffler. Der bekannte Süd­tiroler Topograf wurde am 18. Dezember 1783 beim Frickwirt in St. Leonhard geboren und ist bis heute bekannt für seine fünfbändige Landes­be­schrei­bung, die unter dem Titel „Tirol und Vor­arl­berg, statistisch und topographisch mit geschicht­lichen Be­mer­kungen“ von 1839 bis 1846 in Innsbruck veröffentlicht wurde. Auf 1188 Seiten zeichnet er darin ein Bild von Land und Leuten, Wirtschaft und Kulturleben der alten Heimat. Einzigartig ist dabei vor allem die wissenschaftliche Genauigkeit  und Sach­kennt­nis. Ein reiches Geschichts­ver­ständnis gehört bis heute zu St. Leonhard. Dafür zeu­gen auch die vielen Publizisten, unter ihnen Monika Ma­der, die erst vor kurzem den zwei­ten Band der Ta­ge­buch-Sam­mlung des Feldkaplans und späteren Dekans von St. Leonhard Karl Gö­gele veröffentlichte. Das Buch „Raues Leben, großes Ster­ben“ beinhaltet zahlreiche Aus­züge der Kriegs­ta­ge­bücher Gö­geles aus den Jahren 1915 bis 1918 sowie Fotografien, die das karge Leben damals in Ga­lizien dokumentiert. Die Pu­bli­kation entstand in Zu­sam­men­arbeit mit dem Deut­schen Orden, der noch heute die seelsorgerliche Be­treu­ung der Gemeinde innehat.

von Philipp Genetti