Wer über den Gratscher Friedhof schlendert, stößt auf einige imposante Familiengräber. Auf einem steht ein Name, der nicht in die Gegend zu passen scheint. Dabei hat die Familie von Kaan-Albest in Tirol nachhaltige Spuren hinterlassen. Eine führt uns in die Sparkassenstraße in Meran, die im 19. Jahrhundert noch Marktgasse hieß.
Es war der 20. Juni 1914. Dass eine gute Woche später Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie von Hohenberg in Sarajevo ermordet werden, ahnte noch niemand. Die beiden Brüder und begeisterten Naturliebhaber Viktor und Norbert von Kaan waren deshalb zu einer Tour in die Dolomiten aufgebrochen. Zunächst verlief alles nach Plan. Sie wanderten über verschneite Jochpassagen von Hütte zu Hütte. Etwas später gesellte sich in Cortina ihr Schwager Alfredo Untersteiner hinzu. Die letzte Nacht verbrachten sie auf der Schlüterhütte in Villnöss. Am 30. Juni machten sie sich auf den Rückweg und wanderten talwärts, um mit der Kutsche nach Bozen zu gelangen. Doch beim Überqueren einer Sperre passierte ein Unglück. Der Wagen rutschte rapide nach vorne, glitt wie auf Glatteis nach rechts und kippte um. Das Pferd ging in vollem Galopp durch, der am Bock neben dem Kutscher sitzende Viktor geriet unter den Wagen und erlitt dabei so schwere innere Verletzungen, dass er ihnen auf dem Weg nach Bozen erlag. Er wurde 47 Jahre alt.
Viktors Vater Raimund von Kaan-Albest wurde 1837 in Wien geboren. Er entstammte einer Familie jüdischer Wollgroßhändler aus Ungarn. Sein Großvater Samuel Kaan ließ sich 1824 taufen und wurde zwei Jahre später in den Adelsstand erhoben. Dessen Sohn war Geiger und Komponist, schlug letztlich aber eine militärische Karriere ein. Raimund studierte Medizin in München und Wien und wurde für eine kurze Zeit Gemeindearzt in Hopfgarten. Danach trat er in den Staatsdienst ein und bekleidete die Stelle eines Bezirksarztes in Kufstein, wo er sich 1866 der Pflege und Behandlung verwundeter Soldaten widmete. Im Juni 1878 wechselte er dann in die Passerstadt, wo er in der Marktgasse als k.k. Oberbezirksarzt tätig war. Verheiratet war er mit der aus Böhmen stammenden Auguste von Neuwirth, mit der er vier Kinder hatte: Norbert, Viktor, Rosa und Raimund. Norbert wurde ebenfalls Arzt und erwarb Anfang der 1890er Jahre die Villa Maurer in Gratsch, die er zur heute weithin bekannten Heilanstalt Martinsbrunn umbauen ließ. Seine therapeutischen Erfolge als Neurologe waren mitverantwortlich für den hervorragenden Ruf Merans als Winterstation für Nervenkranke. Neben der Erstbesteigung der Äußeren Wetterspitze (3070 m) in den Stubaier Alpen, tritt er noch als großzügiger Spender eines Apparats für Funkentelegraphie für das Meraner Gymnasium in Erscheinung. Sein Bruder, der oben erwähnte Viktor, war k.u.k. Militärintendant der 8. Infanterie-Division im Kriegsministerium. Die Schwester Rosa war mit dem aus Rovereto stammenden Rechtsanwalt Alfredo Untersteiner verheiratet und starb noch vor ihrem 29. Geburtstag in der Villa Kaan in Pertisau. Auch dem jüngsten Sohn Raimund war kein allzu langes Leben vergönnt. Der Oberleutnant der Reserve arbeitete als Verwaltungsleiter der Berg- und Hüttenwerke in Oberschlesien. Im 34. Lebensjahr starb er nach einem längerem Hirnleiden in Gleiwitz.
Dreieinhalb Monate zuvor war sein gleichnamiger Vater Raimund nach dreijähriger Krankheit in Martinsbrunn, der Klinik seines Sohnes Norbert, verstorben. Am 6. August 1905 wurde er unter großer Anteilnahme der Gemeindeführung, der Musikkapelle und Feuerwehr sowie der Ärzteschaft von Meran und Mais zu Grabe getragen. Es regnete in Strömen und stürmte, so dass der Leichenzug auf dem ohnehin beschwerlichen Weg mehrmals Unterstand suchen musste. Die Errichtung eines neuen Friedhofes war zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossene Sache. So wurde er zunächst auf dem Gottesacker von St. Peter beerdigt, um im Jahr darauf auf dem neuen Gratscher Friedhof in der Familiengruft die letzte Ruhe zu finden.
Christian Zelger