-17 % der Südtiroler Haushalte leben in relativer Armut, ohne Sozialtransfers wären es 25 %. Das Medianeinkommen lag 2022 bei 33.218 Euro brutto pro Jahr, das Durchschnittseinkommen betrug 45.350 Euro brutto, verzerrt durch Top-Verdiener. Rund 1.000 Südtiroler unter 30 Jahren wandern jährlich ins Ausland ab und viele Südtiroler können keine 1000 Euro für eine unerwartete Ausgabe aufbringen.
von Josef Prantl
Niemand zweifelt daran, dass ein gut funktionierendes Sozialsystem Voraussetzung für eine humane Gesellschaft ist. Unser Sozialsystem speist sich aus zwei Quellen: Beiträgen und Steuern. Die Sozialversicherungen finanzieren sich überwiegend durch Beiträge, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber gemeinsam bezahlen. Das Geld für Förder- und Fürsorgeleistungen stammt dagegen aus unseren Steuern.
Wie sozial ist Südtirol?
Wir verfügen zweifelsohne über ein dichtes soziales Netz: Es gibt Sozialhilfe, Pflegegeld, Familiengeld, Wohngeld, Arbeitslosenunterstützung, Mobilitätsgeld, Sozialrente, Zivilinvalidenrente und weitere soziale Unterstützungsmaßnahmen. Allerdings zeigen 2021 veröffentlichte Daten von ASTAT, dass etwa ein Fünftel der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht ist. „Die Preise für die Wohnbevölkerung sind teilweise nicht mehr tragbar, insbesondere in den Städten und in den touristischen Hochburgen“, gibt selbst Landeshauptmann Kompatscher zu. „Jeder sechste Südtiroler lebt an der relativen Armutsgrenze. Dabei handelt es sich um Menschen mit prekären Arbeitsplätzen, mit unterbezahlter Arbeit, mit mangelnder Qualifikation, mit Pech im Leben und gravierenden Schicksalsschlägen,“ sagt Josef Haspinger, Zentralratspräsident der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft. Fakt ist: „Wir stehen vor großen Herausforderungen, bedingt auch durch eine immer höhere Lebenserwartung und eine zunehmende Zahl an chronisch Kranken“, weiß Martin Telser, Präsident des Dachverbandes für Soziales und Gesundheit .
Die soziale Frage ist zurück
Was im Zeitalter der Industriellen Revolution die Arbeiter auf die Straße trieb, flammt heute – in einer neuen Dimension – erneut auf: Reichtum konzentriert sich in den Händen weniger, während Millionen mit prekären Jobs, hoher Inflation und steigenden Wohnkosten kämpfen. Doch diesmal ist das Problem nicht der Mangel an Wohlstand, sondern seine Verteilung. „Im reichen Europa, ja sogar im reichen Südtirol, wächst die soziale Ungleichheit. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit haben so wenige so viel besessen“, mahnt Exsenator Oskar Peterlini. Adam Smith glaubte an die unsichtbare Hand des Marktes, doch spätestens mit der Industriellen Revolution zeigte sich: Der Markt alleine sorgt nicht für Gerechtigkeit. Karl Marx und Friedrich Engels riefen zur Überwindung des Kapitalismus auf, doch auch ihre Ideen wurden oft pervertiert. Nach zwei Weltkriegen brachte John Maynard Keynes die Idee zurück, dass der Staat in Krisenzeiten eingreifen müsse. Die fortschreitende Automatisierung und Digitalisierung (Künstliche Intelligenz) verändern die Arbeitswelt wieder grundlegend und sie wird nahezu alle Erwerbstätigen betreffen – allerdings nicht in gleichem Maße. Menschen in den klassischen Routineberufen werden zunehmend mit wachsender Unsicherheit leben müssen. Gleichzeitig schrumpft durch die alternde Gesellschaft die steuerzahlende Erwerbsbevölkerung, während die Nachfrage nach sozialer Unterstützung wächst.
Sozialpolitik ist immer im Wandel
Laut Duden bedeutet der Begriff „sozial“ „die Gesellschaft, Gemeinschaft betreffend“. Der Begriff des Sozialen wird eng mit dem der (sozialen) Gerechtigkeit verstanden und diskutiert. Sozialpolitik umfasst alle staatlichen Maßnahmen, die das Ziel haben, die Lebensbedingungen der Menschen abzusichern und zu verbessern. Sie entsteht aus gesellschaftlichen Wertvorstellungen wie Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit und betrifft alle Bereiche, in denen Menschen in Notlagen geraten können – etwa durch Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter oder Armut. Der Staat greift ein, um soziale Ungleichheit zu verringern, Chancengleichheit zu fördern und Menschen abzusichern. Welche Leistungen der Staat erbringen soll und was in der Verantwortung des Einzelnen oder der Familie liegt, wird politisch entschieden. Sozialpolitik ist immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Grundüberzeugungen. Es gibt verschiedene Gerechtigkeitsmodelle: Manche betonen Eigenverantwortung, andere fordern Solidarität oder staatliche Fürsorge.
Die Politik bestimmt
Es ist die Politik, die bestimmt, wie „sozial“sich ein Land gestaltet. „Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit haben so wenige so viel besessen. Und noch nie zuvor haben wir ein solches Ausmaß an Gier, Arroganz und Verantwortungslosigkeit der herrschenden Klasse erlebt“, sagt der demokratische US-Präsidentschaftskandidat und Senator Bernie Sanders. Ungleichheit ist kein Zufall, sondern Folge politischer Entscheidungen oder Unterlassungen, ist Oskar Peterlini überzeugt. So verstärken Großkonzerne Ungleichheiten, z. B. durch unsichere Arbeitsverträge, die Arbeiter in Armut halten. „Politik bevorzugt oft die Interessen der Reichen, die durch Medienbesitz, Lobbyismus und Parteienfinanzierung stark Einfluss nehmen“, sagt Peterlini. Gesetze werden zu deren Vorteil gemacht. Zulgeich schwindet damit das Vertrauen der ärmeren Bevölkerung in die Demokratie. Eine Arbeitsmarktpolitik, die Löhne niedrig hält und prekäre Arbeitsverhältnisse duldet – zum Beispiel Leiharbeit, befristete Beschäftigung – nimmt große Ungleicheit und Altersarmut in Kauf.
Die „Soziale Mitte der SVP“
Seit heuer tritt der sozialpolitische Flügel der Südtiroler Volkspartei unter dem neuen Namen „Die soziale Mitte der SVP“ auf. Gabriele Morandell wurde kürzlich zur Vorsitzenden gewählt. „Im Zentrum unserer Arbeit stehen die klassischen Themen Lohngerechtigkeit, die Bekämpfung von Armut – insbesondere Altersarmut –, die Bewältigung des demographischen Wandels, Bildung sowie bezahlbares Wohnen“, erklärt die ehemalige Volksanwältin und Nachfolgerin von Landesrätin Magdalena Amhof. „Als Soziale Mitte der Regierungspartei in Südtirol verstehen wir uns als starke Stimme für jene, die sich von selbst nicht in den Vordergrund drängen, sprich die sozial Benachteiligten, aber und vor allem auch für den hart arbeitenden Südtiroler Mittelstand und deren Familien“, heißt es von der sozialpolitischen Vertretung in der Partei.
„Das Wirtschaftswachstum muss endlich auch bei den Arbeitern und Angestellten ankommen“, fordert auch Werner Steiner, Landesvorsitzender des Katholischen Verbandes der Werktätigen. Denn soziale Gerechtigkeit ist kein Luxus – sie ist die Grundlage einer stabilen Demokratie. Der soziale Aufbruch ist notwendig, um den Zusammenhalt zu sichern.
Gabriele Morandell.
Seit Januar 2025 tritt der sozialpolitische Flügel der Südtiroler Volkspartei unter dem neuen Namen „Die soziale Mitte der SVP“ auf. Gabriele Morandell folgte kürzlich auf Landesrätin Magdalena Amhof als neue Vorsitzende des sozialpolitischen Flügels der Partei. Ein Gespräch mit der ehemaligen Volksanwältin und neuen Vorsitzenden der „Sozialen Mitte der SVP“.
Rosa Franzelin, Otto Saurer, Erich Achmüller, Hubert Frasnelli oder Sepp Kusstatscher waren starke Stimmen des sozialen Flügels in der SVP. Nach ihnen ist es jedoch ruhiger geworden um die Sozialpolitik. Wo stehen wir heute?
Gabriele Morandell: Diese Persönlichkeiten haben soziale Themen mit großer Leidenschaft und Konsequenz vertreten – das bleibt uns Vorbild und Auftrag zugleich. Wir stehen heute an einem Punkt, an dem die soziale Frage wieder ins Zentrum rücken muss: Die Herausforderungen haben sich gewandelt, aber nicht verringert. Wir erleben steigende Lebenshaltungskosten, eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich mit einem Mittelstand, der sich immer weniger leisten kann und eine große Unsicherheit im Alter. Die „Soziale Mitte der SVP“ will diese Fragen nicht nur benennen, sondern konkrete Lösungen auf den Weg bringen.
„Lohngerechtigkeit, die Bekämpfung von Armut – insbesondere Altersarmut –, die Bewältigung des demografischen Wandels, Bildung sowie bezahlbares Wohnen“ nennen Sie als Zentrum Ihres Auftrags. Haben Sie sich da nicht zu viel vorgenommen?
Es stimmt, das sind große und komplexe Themen. Aber sie hängen eng miteinander zusammen und betreffen die Lebensrealität vieler Menschen in unserem Land. Ich sehe darin keinen überladenen Katalog, sondern einen klaren sozialpolitischen Kompass. Wer heute über Altersarmut spricht, muss auch über faire Löhne, über Zugang zu Bildung und leistbaren Wohnraum sprechen. Unsere Aufgabe als sozialpolitischer Flügel ist es, diese Zusammenhänge sichtbar zu machen – und tragfähige, realistische Antworten zu finden.
Als ehemalige Volksanwältin kennen Sie die soziale Situation im Land gut. Ist unsere Sozialpolitik noch gerecht?
Unsere Sozialpolitik hat zweifellos viele Stärken – aber auch blinde Flecken. Besonders benachteiligt sind nach wie vor Menschen mit geringem Einkommen, Alleinerziehende, Menschen mit Beeinträchtigung und viele ältere Frauen. Gerechtigkeit bedeutet nicht Gleichheit für alle, sondern gezielte Unterstützung dort, wo es notwendig ist. Wir müssen genauer hinsehen, bürokratische Hürden abbauen und sicherstellen, dass soziale Leistungen tatsächlich bei den Menschen ankommen, die sie brauchen.
Die Themen „Lohngerechtigkeit“ und „faire Arbeitsbedingungen“ werden immer lauter gefordert. Welche Schritte sind notwendig, um diese Themen ernsthaft anzugehen?
Ein erster Schritt ist Transparenz: Nur wenn Löhne vergleichbar sind, können wir über Gerechtigkeit sprechen. Wir brauchen einen offenen Diskurs über die Entlohnung in sozialen Berufen, in der Pflege, aber auch im Handel und in Dienstleistungsberufen. Arbeit darf nicht nur existenzsichernd sein, sondern muss auch planbar sein und vor allem würdevolle Rahmenbedingungen vorgeben.
Bezahlbares Wohnen ist ein großes Anliegen vieler Südtirolerinnen und Südtiroler. Wie sehen Sie die Rolle der Politik, um den Wohnungsmarkt für alle erschwinglicher zu machen?
Die Politik muss klar eingreifen, wenn der Markt allein keine leistbaren Lösungen mehr schafft. Wir brauchen deshalb eine mutige Wohnbaupolitik mit verstärktem gefördertem Bau, neuen Modellen wie Mietkauf, Genossenschaftswohnungen und gezielten Steueranreizen für leistbare Mieten. Besonders wichtig ist mir aber auch die soziale Durchmischung – wir dürfen kein Wohnen für Reiche und ein anderes für alle anderen zulassen. Überlegen müssen wir uns auch, wie wir mit der großen Anzahl an „Airbnb“-Wohnungen umgehen, die von ausländischen Firmen in Südtirol betrieben werden. Hier müssten wir ansetzen und alles unternehmen, um diese Wohnungen für den einheimischen Wohnungsmarkt zur Verfügung stellen zu können.
Der demografische Wandel ist eine große Herausforderung für die Sozialpolitik. Welche langfristigen Lösungen haben Sie, um die Alterssicherung in Südtirol zu sichern?
Der Schlüssel liegt in einer Kombination aus mehreren Maßnahmen: Erstens müssen wir mehr Menschen ermöglichen, länger im Erwerbsleben zu bleiben – durch gesunde Arbeitsbedingungen und flexible Modelle. Zweitens muss die öffentliche Fürsorge durch private Zusatzversicherungen ergänzt werden. Und drittens: Pflege und Betreuung älterer Menschen müssen endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, nicht als private Herausforderung von einzelnen Familien, die plötzlich mit einem Pflegefall in der Familie konfrontiert sind und unter Zeitdruck und oft schwierigsten Situationen nach praktischen Lösungen suchen.
In der politischen Diskussion wird immer wieder der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ verwendet. Was verstehen Sie unter sozialer Gerechtigkeit, und wie wollen Sie dieses Konzept in der Praxis umsetzen?
Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich, dass jede und jeder die gleichen Chancen auf ein gutes Leben hat – unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder sozialem Status. In der Praxis heißt das: barrierefreie Bildung, faire Entlohnung, ein funktionierendes soziales Netz und eine Gesellschaft, die niemanden zurücklässt.
Wie stehen Sie zu der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens? Wäre das ein Modell, das Sie für Südtirol in Betracht ziehen würden?
Ich finde die Debatte spannend und notwendig, gerade im Hinblick auf den Wandel der Arbeitswelt. Ein Grundeinkommen könnte helfen, Existenzängste zu nehmen und Menschen neue Freiheit zu geben – etwa in Übergangsphasen oder bei der Pflege von Angehörigen. Ich plädiere für Pilotprojekte, um in einem überschaubaren Rahmen zu lernen, und wie dies funktionieren könnte.
Oskar Peterlini war während seiner politischen Karriere als Landtagsabgeordneter und Senator das Zusammenleben und der soziale Ausgleich stets ein zentrales Anliegen. Kürzlich hielt der Professor an der Freien Universität Bozen einen Vortrag zum Thema „Aufbruch zu neuer Sozialpolitik“ in Südtirol.
Herr Peterlini, ist unser traditionelles Sozialsystem überhaupt zukunftsfähig?
Oskar Peterlini: Ein Sozialsystem ist zukunftsfähig, wenn es die Lasten nicht einfach auf die zukünftigen Generationen abwälzt. Dies erfolgt zum Beispiel mit der zunehmenden Verschuldung des Staates, die leider aufgrund der Erhöhung der Militärausgaben zunehmen wird. Auch an der großzügigen Geldverteilung mit den Coronageldern (PNRR) werden wir noch lange zu leiden haben. Was als Geschenk ausschaut, ist entweder zurückzuzahlen oder durch Inflation an Wertverlust zu bezahlen. Das gleiche gilt im Rentenwesen. Aufgrund des Geburtenrückganges müssen immer weniger junge Menschen die Last, für die immer länger lebenden alten Menschen tragen. Deshalb habe ich mich so bemüht mit Pensplan und den Rentenfonds (Loborfonds, Plurifonds, Pensplan-Profi usw.) ein zweites Standbein aufzubauen. Ich bin froh, dass das System funktioniert und immer mehr Menschen die Vorteile in Anspruch nehmen.
Und wo fehlt es noch?
Dasselbe Vorsorgesystem hatten Prof. Cerea und ich auch für die Pflege ausgearbeitet. Man hat es damals, vor nunmehr 20 Jahren, einfach vom Tisch gefegt und geglaubt, das könne auch ohne Pflegefonds funktionieren. Leider erkennt man jetzt den Fehler. Mir hat man damals billig geantwortet, das könnte die Region schaffen, ohne zu bedenken, dass das immer die junge Generation ist, die für die zunehmende Anfälligkeit von immer älter werdenden Menschen aufkommen muss. Auch Land und Region verwalten nur Steuergelder von den arbeitenden Menschen, die immer weniger werden. Wir hatten 1965 ca. 9000 Geburten, jetzt sind es nicht mehr 4900 im Jahr.
Oskar Peterlini.
Was sagen Sie zur Aussage, dass unser Sozialsystem zu Lasten der Einheimischen geht?
Das ist billige politische Propaganda, zu Lasten der vielen Hilfskräfte, ohne die unser Sozial- und Wirtschaftssystem zusammenbrechen würde. Wir haben eine Fruchtbarkeitsrate von 1,4 Kindern pro Frau, die höchste in Italien, aber um die Bevölkerung zumindest gleich zu halten, müsste man 2,1 Kinder pro Frau haben.
Das Problem sind die straffälligen Ausländer. Diese ruinieren das Klima für die vielen fleißigen Hände, die unsere alten Leute pflegen, die Teller waschen, die Toiletten putzen, aber auch hochwertige Arbeiten verrichten, die Arbeiten machen, die uns zu schäbig sind. Deshalb bin ich für eine Verschärfung der Strafgesetze und der Durchführung derselben. Notwendig wäre ein stärkerer Einsatz in Afrika, ein an Ressourcen reiches Land. Das Land könnte die Garantie für Unternehmen übernehmen, die dort investieren. Wir schauen zu, wie die Chinesen den armen Bauern billig die Gründe abkaufen und diese noch ärmer machen. Die Einwanderung könnte man stark reduzieren und dieselbe geordnet gestalten. Die Botschaften könnten die Menschen auch sprachlich und beruflich vorbereiten und auswählen, statt zu warten, wie es geschehen ist, dass der Kochtopf explodiert, das Mittelmeer zum Massengrab geworden und wir einer unkontrollierten Migration ausgesetzt sind.
Hat sich die soziale Einstellung der Bevölkerung in den letzten Jahren verändert?
Die Menschen beklagen zu Recht das niedrige Lohnniveau. Wir leiden an gesamtstaatlichen Kollektivverträgen, die einfach nicht dem hohen Kostenniveau in Südtirol Rechnung tragen. Hier gilt, wie bei den Wohnungen, dass durch eine, auch vom Tourismus geschürte hohe Nachfrage, die Preise steigen. In den benachbarten deutschsprachigen Ländern verdient man von 30 bis 40 Prozent mehr, bis zu mehr als dem Doppelten in der Schweiz. Die jungen Menschen wandern aus, ganze 20 Prozent von jedem Jahrgang, das sind von den nicht einmal mehr 5000 Geburten rund 1000 netto (also Rückwanderungen abgezogen) im Jahr. Gleichzeitig wandern immer mehr Menschen vom Süden zu. Das hat sich auch bei der Volkszählung dramatisch ausgewirkt.
Was besagen die Ergebnisse der Volkszählung?
Laut Volkzählung von 2024 ist die deutschsprachige Bevölkerung von 65,3 % im Jahre 1991 auf
57,5 % zurückgegangen, die Ladiner im gleichen Zeitraum von 4,2 % auf 3,7 %. Aufgrund der Einwanderung haben zwar auch die Italiener im gleichen Zeitraum prozentmäßig leicht abgenommen (von 26,5 auf 22,6 %), haben aber in den jüngsten 13 Jahren (seit der jüngsten VZ 2011) in absoluten Zahlen zugenommen (von 118.120 auf 121.520), während die deutsche Bevölkerung von 314.604 auf 309.000 abgenommenen hat.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Sozialpolitik der Landesregierung?
In vielen Bereichen vorbildhaft, für Behinderte, Kranke, Kinder und Jugendliche, im Bereich der Gehälter und Renten einen glatten Skandal. Wie kann man alte Menschen mit knappen Renten von 700 Euro Renten allein am Abgrund stehen lassen? Da ist auch eine angepeilte Erhöhung auf 1000 € nur ein Tropfen auf heißem Stein. Aber auch Familien im Mittelstand leiden unter immer höheren Kosten.
Ist die neue Wohnbaureform sozial?
Ich anerkenne das Bemühen, neuen Wohnraum den Einheimischen vorzubehalten. Das ist sicher ein erster wichtiger Schritt. Die Maßnahmen müssen sich aber am Markt orientieren. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. In den 1970 und 1980er Jahren konnten auch einfache Arbeiterfamilien mit eigenen Opfern und langfristigen Krediten ein Reihenhaus bauen, jetzt kann sich ein junges Paar mit der Landeshilfe nicht einmal mehr eine kleine Wohnung kaufen. Die Preise in Südtirol sind hoch, da die Nachfrage höher ist als das Angebot. Mit Beiträgen allein löst man das Problem nicht, sondern erhöht die Nachfrage und den Preis. Wir brauchen ein höheres Angebot!
Und wie soll das geschehen?
Einmal, indem man das Vermieten attraktiver gestaltet. Die Mieterschutzmaßnahmen haben das Gegenteil erreicht. Viele Eigentümer lassen die Wohnung lieber leer stehen, weil sie fürchten, die Mieter nicht mehr loszuwerden, wenn sie die Miete nicht zahlen oder die Wohnung beschädigen. Hier könnte ein Solidaritätsfond zum Schutz der Vermieter Abhilfe schaffen. Auf Staatsebene sollte über die Parlamentarier darauf hingewirkt werden, dass die Verfahren bei Verletzung der Mietverträge und die Freiwerdung der Wohnung vereinfacht und beschleunigt werden. Nur so werden freistehende Wohnungen vermietet und das ist sozialpolitisch viel effizienter als ein veralteter Mieterschutz. Weiters muss das Vermieten an Einheimische erheblich attraktiver gestaltet werden als an Gäste. Hier muss das Land mit dem Steuerhebel eine radikale Wende einleiten.
Das alles betrifft die bestehende Bausubstanz
Richtig, und das genügt nicht! Es muss auch neues Bauvolumen geschaffen werden. Um zu verhindern, dass weiter Grund und Boden verbraucht werden, sollte man vorher die bestehende Baukubatur in den Siedlungen erhöhen, mit strenger sozialer Zweckbindung. Die Menschen verstehen nicht, dass Hotels in der grünen Wiese, mitten im Wald bauen dürfen, und sie als Private um jeden Kubikmeter kämpfen müssen. Der Energiebonus war ein guter Anfang, ebenso die Maßnahmen für Wintergärten und Dachböden, aber seien wir doch mutiger, was macht es schon aus, innerhalb gewisser Höhen ein zwei Stockwerke darauf zu bauen? Ich bedauere so sehr, dass bei uns, angefangen von den landwirtschaftlichen Gebäuden, immer wieder außerhalb der Siedlungsgrenzen gebaut wird. Wir haben ein zersiedeltes Landschaftsbild. Wenn man über Österreich und Deutschland nach Norden fliegt, sieht man schön geschlossene Ansiedlungen, und dann wieder alles Grün.
Ist der Einfluss wirtschaftlicher Lobbygruppen bei uns zu stark?
Die sozialen Kräfte haben einfach keine Stimme mehr in der Politik. Das große Wort führen Organisationen, die einen kleinen Bruchteil der Bevölkerung vertreten. Das führt zu einem verzerrten Einsatz der Mittel und der Schwerpunkte in der Politik! Die Sozialverbände sind zum Teil selbst schuld. Bei Wahlen halten sich die vielen Sozialvereine, die wertvollen katholischen Verbände, die Gewerkschaften zurück, glauben sich nicht einmischen zu dürfen und überlassen das Feld einigen wenigen Lobbys, in dessen Dienst sich dann auch viele Kandidaten stellen, weil sie von diesen massiv unterstützt werden und mit einem Wahlerfolg rechnen können. Bei den Sozialverbänden sieht man mögliche Bewerber sogar schief an, statt sie zu unterstützen. Das muss sich radikal ändern.