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Der (Alb-)Traum vom Gelddrucken

In der letzten Ausgabe haben wir erfahren, dass man in der Meraner Buchhandlung „C. Jandl“ Literatur zur heute fast vergessenen Welthilfssprache Volapük kaufen konnte. Das war nicht die einzige Besonderheit, mit der die Lauben aufwarteten. Die an die Buchhandlung angeschlossene Druckerei hat in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg Geld gedruckt.
November 1918. Der Erste Weltkrieg, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ wie er auch genannt wird, war vorbei. Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, zu dem Tirol seit Jahrhunderten gehörte, zerfiel und dessen südlicher Teil wurde bei den Friedensverhandlungen in Saint Germain dem Königreich Italien zugesprochen. Ungefähr 220.000 deutsch- und ladinischsprachige Tiroler werden dadurch gegen ihren Willen eine Minderheit in einem neuen Staat. Italien war durch die Folgen des Krieges wirtschaftlich geschwächt und in einer politisch angespannten Lage. Die Unterversorgung der Bevölkerung betraf nicht nur Lebensmittel, sondern auch den Geldverkehr. Dies zeichnete sich schon vor Kriegsende deutlich ab. Da Geldscheine und Münzen fehlten, konnten zum Beispiel Gehälter und Pensionen nicht mehr ausbezahlt werden. Schuld daran war der Krieg und die durch ihn in die Höhe getriebenen Metallpreise. Das Material der Münzen kostete mehr als den aufgedruckten Wert und so wurden Münzen ein knappes Gut. Schon Ende Oktober 1918 sah sich Bozens langjähriger Bürgermeister Julius Perathoner deshalb gezwungen, Notgeld drucken zu lassen, das die Stadtkasse Bozen bei Vorlage einlöste „sobald Geldzeichen derselben vorhanden sind“, wie darauf zu lesen war. Die Scheine in vier Nominalen sollten ursprünglich bis Ende Jänner 1919 gültig sein. Doch es kam anders. In der Zwischenzeit besetzten italienische Truppen Südtirol bis zum Brenner und die zuständige Militärverwaltung untersagte die Ausgabe. Die bereits gedruckten Scheine kamen nie in den Umlauf. Erst im April 1919 war dies für eine kurze Zeit möglich, als die Ablösung der österreichischen Krone durch die italienische Lira bevorstand, aber das Problem der Münzknappheit noch immer nicht gelöst war.

Die Lage in Meran
Weit schlimmer war die Situation in Meran. Es gab keine Filiale der Banca d’Italia, die versucht hatte, den Mangel an Scheinen und Münzen abzufedern. Hinzu kam, dass Bauern im Passeiertal, im Vinschgau und den Nebentälern alles erreichbare Hartgeld verschwinden ließen, um zu einem späteren Zeitpunkt vom hohen Metallwert zu profitieren. Als es dann im April 1919 zum Währungswechsel kam, war der Mangel an Kleingeld dermaßen offensichtlich, dass nicht eine Bank, sondern die Händler selbst begannen, Notgeld auszugeben. Angefangen hatten die Bäcker, die gestempelte Zettelchen mit von Hand notierten Geldwerten, teils in Kronen, teils in Lire, verwendet hatten. Ende des Jahres verschlechterte sich die Lage erneut und so ließen verschiedene Firmen auf eigene Initiative Papiergeld – offiziell Gutscheine – in einer Druckerei herstellen. Und hier kommt die eingangs erwähnte Buchhandlung „Carl Jandl“ mit Sitz in den Meraner Lauben ins Spiel. Sie wurde mit dem Druck beauftragt. Die Scheine waren nur kurz, etwa einen Monat lang, im Umlauf und erleichterten den Handel in der Passerstadt. Meistens standen sie für 10, 20 oder 50 Centesimi. Für die einzelnen Händler wurde verschiedenfarbiges Papier mit unterschiedlichen Oberflächen benutzt. Metzger, Apotheker, Juweliere, Müller, Eisenhändler, Gastronomen u.a. nutzten diese Möglichkeit, darunter heute noch bekannte Namen wie Frühauf, Schreyögg und Pobitzer. 1920 kam dann genügend Hartgeld in die neue italienische Provinz und das privat gedruckte Notgeld musste per Verordnung des Militärkommandos in Trient eingezogen und vernichtet werden. Zu Kleingeldmangel ist es bei uns übrigens nochmals in der 70er Jahren gekommen. Auch damals druckte nicht nur die Zentralbank Geldscheine. Aber das ist eine andere Geschichte.

Christian Zelger