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Zweierlei Maß

Vor einem Jahr nahm die Grundschullehrerin Ilaria Salis an einer Gegendemonstration zu einem rechtsextremen SS-Gedenkmarsch teil, der alljährlich Neonazis aus halb Europa in die ungarische Hauptstadt lockt. Dabei wurde Ilaria Salis verhaftet. Ihr wird vorgeworfen, an einem Angriff auf Neonazis beteiligt gewesen zu sein. Sie muss sich deshalb wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Außerdem wird ihr die Mitgliedschaft in der linksextremen deutschen Hammerbande vorgeworfen. Ilaria Salis bestreitet beide Vorwürf, dennoch sitzt sie seit einem Jahr in Untersuchungshaft und muss mit einer, von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe, von bis zu 11 Jahren rechnen. Schon das ist völlig unverhältnismäßig und widerspricht dem Verständnis eines Rechtssystem in einem demokratischen Staat. Doch damit nicht genug. Die bisher unbescholtene Frau sitzt seit ihrer Festnahme in einem Hoch­sicherheitsgefängnis. In den ersten sieben Monaten durfte sie nicht einmal mit ihren Eltern sprechen. Nachdem sie mit ihrem Vater sprechen konnte, berichtete sie, dass sie erst nach fünf Wochen frische Kleidung erhalten habe. In der ersten Woche der Ein­zel­haft habe sie nicht einmal die Möglichkeit gehabt, sich zu waschen. Sie habe ihre Einzelzelle mit Bettwanzen und Ratten geteilt. Am vergangenen Montag begann der Prozess: Ilaria Salis wurde an einer Kette in den Gerichtssaal ge­führt, an Händen und Füssen gefesselt. Die Bilder der jungen Frau in Fuß- und Handschellen haben die italienische Öffentlichkeit erschüttert. Die Oppositionsparteien forderten die Regierung zum sofortigen Eingreifen auf. Insbesondere Ministerpräsidentin Meloni solle ihre historische Freundschaft mit dem ungarischen Premierminister Orbán nutzen und der italienischen Staatsbürgerin zu Hilfe eilen. Meloni erklärte daraufhin im italienischen Fernsehen, sie habe mit Orbán gesprochen und eine Behandlung mit „Würde und Respekt“, sowie ein schnelles Verfahren für Salis gefordert. „Postfaschistin setzt sich für Antifaschistin“ ein, lauteten daraufhin spöttische Schlagzeilen. Immerhin hat Meloni, im Gegensatz zu ihrem Vize Salvini, Handlungsbedarf gesehen. Dieser hatte nichts Besseres zu tun, als über die inhaftierte Antifaschistin zu attackieren und es als Skandal zu bezeichnen, dass sie in Italien unterrichtet habe. Sowohl Meloni, als auch ihr Vize erklärten die ungarische Justiz sei unabhängig und die Politik dürfe sich nicht einmischen. Dabei hat die EU erst kürzlich einen langwierigen Streit mit Orbán über die Unabhängigkeit der ungarischen Justiz beigelegt. Außerdem scheinen die beiden Sovranisten ihren lautstarken Einsatz, für andere im Ausland inhaftierte StaatsbürgerInnen vergessen zu haben. Und das, obwohl die Anschuldigungen und sogar Verurteilungen viel schwerwiegender sind. Bei der Antifaschistin Salis und Orbán scheint ein anderes Maß zu gelten.