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Der Heilige Josef

Sepp ist bei uns in Tirol ein geläufiger Name. Vor nicht so langer Zeit war er auch sehr beliebt. Meist ist er aber ein Kosename, abgleitet von Josef. Schon lange wird bei uns darüber diskutiert, ob der „Josefitag“ am 19. März wieder ein Feiertag werden soll. Spätestens zu Weihnachten begegnen wir Josef jedes Jahr wieder.
von Josef Prantl

Josef hießen mein Onkel (er ist im Krieg gefallen), mein Großvater, mein Urgroßvater. Josef ist ein biblischer Name hebräischen Ursprungs und bedeutet so viel wie „Gott vermehre, Gott lasse wachsen“, abgeleitet vom althebräischen „JHWA“ (gekürzt „jo“) für „Gott“ und „jasaf“ für „hinzufügen, vermehren“. In der Zahlensymbolik steht Josef für Unabhängigkeit und Stärke. In der Bibel gibt es mehr als zehn Personen, die den Namen „Josef“ tragen.

In Tirol werden die meisten Josefs mit „Sepp“ angesprochen, wenn man sie ganz liebhat, auch mit „Seppl“. In der Schweiz ist der „Seppi-Tag“ am 19. März in einigen Kantonen Feiertag und in Neapel wird zum Namenstag die „Zeppola di San Giuseppe“ gebacken. 1870 wurde der hl. Josef zum Schutzpatron der ganzen Kirche, bis 1977 war der Josefitag in Italien ein gesetzlicher Feiertag. Josef ist der Schutzheilige Tirols. 1955 führte Papst Pius XII. auch den 1. Mai als Gedenktag für den heiligen Josef ein, eine Antwort der Kirche auf die Arbeiterbewegung, schließlich ist der heilige Josef auch der Schutzheilige der Arbeiter. Er ist Patron der Ehepaare und der Familien, der Kinder und Jugendlichen, der Erzieher, der Zimmerleute, Holzfäller, Tischler, Handwerker, Arbeiter, Ingenieure, Schutzheiliger in Wohnungsnot, in Versuchungen und verzweifelten Lagen sowie für einen friedlichen Tod. Papst Franziskus schätzt den hl. Josef besonders, das lässt er immer wieder erkennen und machte 2021 zum „Jahr des heiligen Josef“. Der Tiroler Schauspieler Tobias Moretti hat den Heiligen im gleichnamigen Film „Josef von Nazareth“ vor mehr als 20 Jahren actiongeladen dargestellt. Für Herodes baut Josef da Tempeltüren und wird beinahe in einen Aufstand der Zeloten verwickelt. Er schlägt auch schon mal zu, wenn’s einer guten Sache dient.

Im Schatten der Weihnachtsgeschichte
In den Evangelien hat Josef allerdings nur ganz wenige Auftritte. Er ist Ziehvater, Helfer und Ernährer, geht mit der hochschwangeren Maria nach Bethlehem zur Volkszählung, flieht mit ihr und dem Baby nach Ägypten und taucht Jahre später noch einmal kurz beim Osterfest in Jerusalem auf, wo er von seinem „Ziehsohn“ auch noch bloßgestellt wird. Die Quellenlage zu Josef ist also mehr als dürftig. Bei Lukas heißt es: „So zog auch Josef von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt …“ Etwas mehr interessiert sich Matthäus für Josef, viel ist es aber auch bei ihm nicht: drei Träume, ein paar Erwähnungen, das war’s. Und doch ist Josef ein ganz besonderer und starker Vater, ein vorbildhafter, mutiger Mann, der zupackt, der die Mutter und ihr Kind schützt.

Das Gegenteil eines Patriarchen
Das mit dem einfachen Zimmermann ist vermutlich einem Übersetzungsfehler geschuldet. In der griechischen Übertragung der Heiligen Schrift wird Josefs Beruf als „tecton“, Baumeister oder Architekt, angegeben. Vermutlich lebte Josef in bescheidenen, aber doch gesicherten Verhältnissen. Darauf deutet auch seine Abstammung hin. Wie Maria stammt er aus dem Haus David. Interessant ist, dass das Haus David die einzige Königsdynastie der Israeliten ist. Josef entstammte also gewissermaßen dem Adel. Ein alter Mann war er auch nicht, das können wir aus den Evangelien nicht entnehmen, auch wenn er als Krippenfigur so dargestellt wird. Ein Grund für die Vorstellungen von einem betagten Josef könnte sein, dass er eine bewegte Vergangenheit hatte. Er soll ja schon verheiratet gewesen sein, lernte Maria als Witwer kennen. Selbst wenn Josef bereits verwitwet war, wird er kaum älter als 35 gewesen sein. „Josef, ihr Mann, der gerecht war“ (Mt. 1,19). Über das Innenleben Josefs verrät die Bibel noch weniger. Die Evangelisten beschreiben ihn als gerecht, gehorsam und fromm im Sinn jüdischer Gesetzestreue. Und ausgerechnet dieser Mann geht eine höchst ungewöhnliche, um nicht zu sagen heikle Verbindung zu einer Frau ein, die plötzlich schwanger ist, und das nicht von ihm! Über Josef von Nazareth und dessen Leichtgläubigkeit kann man lachen. Da wird ihm im Traum eingeflüstert, seine Verlobte Maria sei von einem „Heiligen Geist“ heimgesucht worden und sei jetzt schwanger. Er aber sei auserwählt, ihr bei der Erziehung des Gottessohnes, ein solcher sei das ungeborene Kind nämlich, zu helfen. Die meisten von uns würden heute wohl von ihm sagen: „Ein gutmütiger Trottel“. Das ist falsch. „Es ist Zeit für die Rehabilitierung des heiligen Josef“, sagt der bekannte deutsche Journalist und Autor Heribert Prantl. Der Mann, der ein Kind, dessen leiblicher Vater er nicht ist, als seinen Sohn aufzieht, muss ein großes Herz haben. Dabei plagen Josef laut biblischem Bericht auch große Bedenken. Den inneren Konflikt, den die Schwangerschaft Marias bei ihm auslöst, deutet das Matthäusevangelium auch an. Es berichtet, dass Josef an Marias Treue zweifelt und sich von ihr trennen will. Doch dann erscheint ihm ein Engel in einem Traum und Josef vertraut auf das göttliche Zeichen. Es braucht schon viel Mut, dass Josef zu Maria steht. Er gibt sich offiziell als Vater des ungeborenen Kindes aus und folgt im Vertrauen auf Gott seinem Herzen. Gerechtigkeit ist ein zentraler Charakterzug von Josef.

Starker Mann und Vater
Josef hat als Mann keine Probleme gehabt, im Schatten einer Frau zu stehen. Er ist kein Macher. Er bleibt im Hintergrund, in der Krise zeigt er sich aber stark und handelt. „Man könnte sagen, dass wir in ihm den Mann für schwierige Zeiten finden, den konkreten Mann, den Mann, der es versteht, Verantwortung zu übernehmen“, charakterisiert Papst Franziskus den hl. Josef und weiter: „Man könnte sagen, dass die Söhne von heute, die die Väter von morgen werden, sich fragen sollten, welche Väter sie gehabt haben und welche Väter sie werden wollen.“
„Josef ist nicht ein Mann großer Worte; er ist ein Mann der Tat“, schreibt Bischof Ivo Muser. „Er verbindet Zärtlichkeit und Kraft. Und deswegen wird ihm von Gott her das Kostbarste der Heilsgeschichte anvertraut: das Kind und seine Mutter!“ Josef ist auch ein aufrechter Mann, durch und durch verlässlich und integer. „Er urteilt nicht nach dem Augenschein; er ist hellhörig für eine tiefere Wahrheit, die ihn und uns alle übersteigt“, sagt der Bischof. „Wider alle Vernunft vertraut er auf seine Intuition, seine innere Stimme und hält dem Druck von außen entgegen.“

Kein Statist der Weihnachtskrippe
Die Verehrung des hl. Josef lässt sich in der Ostkirche früher nachweisen als im Abendland. Bereits im 9. Jahrhundert wurde ein Gedenktag festgelegt in der Absicht, das Fest der Minerva, der römischen Göttin der Handwerker, zu ersetzen. Die Kirchenväter der Ostkirche glaubten auch, dass die vier Brüder von Jesus – Jakobus, Josef, Simon und Judas, dazu mehrere Schwestern – Kinder aus einer ersten Ehe Josefs waren. Gregor XI. erklärte 1621 den 19. März zum gebotenen Feiertag.
Wenn wir in den kommenden Tagen die Krippen herausholen, dann begegnen wir dem hl. Josef wieder. Neben Maria, dem Jesuskind, den Hirten, Ochs und Esel, den Schafen und Heiligen Drei Königen hat auch er seinen Platz in der Krippe. In den Augen moderner Theologen ist der hl. Josef der erste moderne Mann, der Windeln wechselt, Süppchen kocht und im Hintergrund einer Patchworkfamilie steht. Die Weihnachtsgeschichte ist also auch eine tröstliche Geschichte für all die Menschen, die in komplexen Familienstrukturen leben. Schon für das Kind in der Krippe sind die Verhältnisse kompliziert. „Es bräuchte eine Vermehrung der Josefs in dieser Welt; dann würde sie menschlicher,“ schreibt Heribert Prantl. „Denn Josef ist der Antityp zum patriarchalen Männerbild.“ Wenn wir jetzt wieder unsere Weihnachtskrippen aufstellen, vielleicht sehen wir die Figur des hl. Josef mit etwas anderen Augen.

Josef, ein Vorbild für den Mann von heute?

Maria Theresia Ploner ist an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen Professorin für das Neue Testament. Die Ult­nerin hat vor ihrem Theologiestudium die Kunstlehranstalt in St. Ulrich besucht und 2007 an der Universität Innsbruck in Theologie promoviert. 2016 wurde sie zur ordentlichen Professorin ernannt. Seitdem ist sie auch die geistliche Assistentin der Katholischen Frauenbewegung der Diö­zese Bozen-Brixen. Sie ist Mitautorin eines Buches über „Maria Magdalena – Auf den Spuren einer besonderen Frau in Südtirol“.

Die Baz sprach mit ihr über den Heiligen Josef und das Bild des Mannes in unserer Zeit:

Maria Theresia Ploner

Wir alle kennen Josef in der Krippe neben Maria und Jesus. Was wissen wir eigentlich vom biblischen Josef?
Maria Theresia Ploner: Historisch Gesichertes können wir über Josef kaum etwas sagen, da die sogenannten „Kindheitserzählungen“ in den Evangelien, in denen er auftritt, stark legendenhaften Charakter und damit einen sehr geringen historischen Wert haben. Wir müssen ohnehin bei biblischen Figuren immer unterscheiden zwischen der historischen Gestalt, die mitunter in den Texten kaum mehr greifbar ist und deren literarischer Verarbeitung, also der „erzählten“ Figur. Letztere dient u. a. dazu Einstellungen, Haltungen und Glaubensüberzeugungen zu kommunizieren.

Wie zeigen uns die Evangelisten Josef und mit welcher Absicht zeigen sie ihn so?
Die Evangelisten zeigen uns Josef eigentlich auch ganz ungeniert als Vater von Jesus (Vgl. Lk 2,48; Joh 1,45; 6,42) und zwar unabhängig von der Glaubensrede der Gottessohnschaft Jesu. An sich würde die Annahme einer natürlichen Vaterschaft die Bedeutung Jesu für die Glaubenden ja nicht schmä­lern. Denn dass Jesus ein Mensch war, das war für seine Zeitgenossen ja kein Problem. Mit der bildhaften Rede von der „Got­tes­sohnschaft“ Jesu bringt die Jesusgemeinde aber die Erfahrung zum Ausdruck, dass für sie im Menschen Jesus von Nazareth die heilende Zuwendung Gottes spürbar geworden ist. Und das ist eine Glaubensaussage, nicht eine biographische Information über Jesus. Die Vater-Sohn- bzw. Gottes-Sohn-Metaphorik war schon in der Königsideologie Israels fest verankert (vgl. Ps 2,7), die ihrerseits auf ägyptische Königsvorstellungen zurückgeht und sie gehört in frühjüdischer Zeit damit auch zu den messianischen Heilsverheißungen. Es ist dann klar, dass auf diesem Bildfeld der leibliche Vater in den Hintergrund treten muss. Ähnliches kennen wir von der Vita des Kaisers Augustus, dessen Zeugung dem Gott Apoll zugeschrieben wurde. Leider wurden diese bildhaften Aussagen im Hinblick auf die Bedeutung Jesu mit der Zeit als historische Notizen gelesen. So hat man ab dem 3. Jh. der dogmatischen Lehrentwicklung Rechnung tragen wollen, und in manchen Bibelhandschriften den Vater- bzw. Elternbegriff (vgl. Lk 2,27.41.48) im Zusammenhang mit Josef getilgt oder ersetzt.

Wer war dann der „historische“ Josef?
Josef war vermutlich „Bauhandwerker“, also nicht – wie die spätere Tradition sagt – Zimmermann und Jesus selbst hat wohl auch diesen Beruf eine Zeit lang ausgeübt (vgl. Mk 6,3). Ob Josef – wie die sich teilweise stark widersprechenden Stammbäume Jesu nahelegen – davidischer Abstammung war – kann weder sicher bestätigt noch ausgeschlossen werden (vgl. Röm 1,3; Mk 1,1-17; Lk ).

Ist Josef nicht der Mann im Schatten Marias?
Nur, wenn man ausschließlich die Kindheitsgeschichte des Lukas­evangeliums vor Augen hat. Die Erzählbühne betritt Josef als „erzählte“ Figur allein in den „Kindheitsgeschichten“ des Matthäus (Mt 1–2) und des Lukas (Lk 1–2). Das Markusevangelium kennt keine entsprechende Überlieferung. Überhaupt zeigt das Markus­evangelium eher ein distanziertes Verhältnis Jesu zu seiner Familie (Mutter, Brüder und Schwestern) auf (vgl. Mk 3,20f.31-35). Dieser Familienzwist wurde in der Tradition lange verdrängt und Josef tritt dort als „erzählte“ Figur gar nicht auf.
In der der Weihnachtsgeschichte von Matthäus nimmt Josef eine nicht so unbedeutende Rolle ein.
In der Kindheitsgeschichte des Matthäus ist Josef – und eben nicht Maria – der eigentliche Protagonist. Er wird mit der Situa­tion konfrontiert, dass Maria schwanger ist, und er will sie – nicht öffentlich diskreditieren – sondern in Stille entlassen, um sie letztlich vor dem öffentlichen Shit­storm zu schützen. Josef ist dann der Adressat mehrerer Traum- bzw. Engel­erscheinungen und göttlicher Anweisungen, die er ohne viel Umschweife ausführt. Dabei wird dem Josef zwar kein einziges Wort in den Mund gelegt, doch wird er vom Erzähler ausdrücklich als „gerecht“ bezeichnet.

Und bei Lukas?
In der Kindheitsgeschichte des Lukas steht Josef wirklich im Schatten der Maria; da ist Maria die Protagonistin und Adressatin der Geburtsankündigung. Sie wird – eigentlich ähnlich wie Josef im Matthäusevangelium – gezeichnet als eine, die offen ist für die Zuwendung Gottes zum Menschen. Hier merkt man deutlich, wie sehr die Figurendarstellungen nicht historische Gegebenheiten spiegeln wollen, sondern eine Identifikationsfläche bieten und Glaubenshaltungen bewerben möchten.

Inwiefern taugt Josef als Vorbild für die Väter von heute?
Das ist eine interessante Frage, weil gerade in jüngster Zeit die Männlichkeitsforschung in der Bibelauslegung verstärkt Eingang gefunden hat. Sie identifiziert un­ter­schied­li­che Männ­lich­keits­bilder, die praktisch als Leitbilder von Kulturen und Gesellschaften dienen. In der Antike ist das anstrebenswerteste Leitbild die hegemoniale Männlichkeit, die von Macht, Selbstkontrolle, Dominanz, Potenz, Verletzungsmacht und Stärke gekennzeichnet ist. Das Gegenteil davon ist die marginalisierte oder auch untergeordnete Männlichkeit, die von Macht­lo­sig­keit, Verletzlichkeit, Fremdkontrol­le und Schwäche, ja gar „Verweiblichung“ geprägt ist. Im Hinblick auf Josef würde ich daher vor allem von einer fürsorgenden Männlichkeit sprechen. Gerade hierin ist Josef anschlussfähig für die heutige Gesellschaft, in der erwartet wird, dass Männer auch an der Care-Arbeit (Kindererziehung, Pflege von Angehörigen usw.) teilhaben.

Wofür könnte Josef noch sinnbildhaft stehen?
Die verstorbene Neutestamentlerin Luise Schottroff erinnert an das im Kontext der Niederschlagung der jüdischen Aufstände durch die römische Besatzungsmacht auch praktizierte Kriegsmittel der sexuellen Gewalt. Während in der Auslegungstradition als „Entlassungsgrund“ für Josef immer nur der Ehebruch oder ein sexuelles Vergehen seiner gefreiten Frau kolportiert wird, hält Schottroff es für möglich, dass mit der „göttlichen“ Anweisung zur Annahme der schwan­geren Maria durch Josef an die jüdischen Männer der Appell ergeht, zu ihren im Krieg geschändeten Frauen zu stehen, die nach jüdischem Gesetz den Ehebrecherinnen gleichgestellt wurden. Nach dieser Deutung würde der gerechte Josef für die Zeitgenossen des Evangelisten Matthäus nochmal eine ganz be­sondere Vorbildbrisanz in Sachen Männlichkeit erhalten. Eine solche Interpretation würde den Befund der fürsorglichen Männ­lichkeit im Hinblick auf Josef nur unterstreichen.

Andererseits wurde Josef in der christlichen Tradition völlig ent­sexualisiert. Nicht ohne Grund wird er als alter Mann dargestellt.
Genau. Erinnert sei hier an die Lilie als Attribut des Josef in Darstellungen der Kunst, welche Jungfräulichkeit, Enthaltsamkeit und Reinheit verkörpert. Ich bezweifle, dass ein solches entsexualisiertes Männlichkeitsbild anschlussfähig für die Mehrheit der Männer in unserer Zeit ist.

Männer sollen laut unseren Kinohelden stark, durchsetzungsfähig, zielorientiert, gerne auch Einzelkämpfer sein. Kann ein demütiger Heiliger Josef überhaupt ein Vorbild für den Mann von heute sein? 
Was in der Männlichkeitsforschung neu diskutiert wird, ist vor allem die Vulnerabilität, die Verletzlichkeit, und zwar nicht als ein Defizit gesehen, sondern als Stärke, im Sinne einer heilsamen und notwenigen männlichen Empathie-Fähigkeit nicht nur anderen, sondern auch sich selbst gegenüber. Josef wird in der Kindheitsgeschichte als gerecht bezeichnet, weil er das Gespür dafür verkörpert, was in diesem Moment für seine ebenso verletzliche Frau das Leben Stärkende und Tragende ist. Er setzt damit bereits vorweg jene Haltung einer barmherzigen – eben nicht aufrechnenden – Gerechtigkeit um, die der Evangelist Matthäus Jesus in der Bergpredigt einfordern lässt (Mt 5-7). Es geht letztlich auch darum, „sich nicht zu schade zu sein“, sprich: um Status- und Dominanzverzicht. Jo­sefs „Demut“ lässt sich durch­wegs nicht nur als Anti-Männlichkeits-Diskurs der damaligen Zeit lesen, sondern auch als Impuls für heute, im Sinne von Mt 6,1: „Gebt Acht, dass ihr eure Gerechtigkeit nicht tut vor den Menschen – ihnen zum Theater“.