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Auf dem Weg von Ioannina nach Kakavia

Wenn es einen Ort im Burggrafenamt gibt, an dem sich besonders viele Straßennamen sammeln, die einen militärischen Hintergrund besitzen, dann ist dies wohl Sinich. Cesare Battisti und Damiano Chiesa dürften vielen bekannt sein, weniger prominent ist hingegen Enrico Tellini, dessen Todestag sich heuer zum hundertsten Mal jährt.
Korfu gehört zu den Urlaubsorten, die in keinem Reiseführer für Griechenland fehlen dürfen. Schon im späten 18. Jahrhundert wurde die Insel nahe Albanien von Reisenden als Ziel entdeckt. Und gerade diese Nähe zum Nachbarland sorgte 1923 für eine diplomatische und kriegerische Auseinandersetzung. Seit 1832 war das Königreich Griechenland als Staat anerkannt, etwa dreißig Jahre später traten ihm mehrere Inseln bei, darunter auch Korfu.
Die Idee eines großen Reiches, in dem alle mehrheitlich von Griechen besiedelten Gebiete vereint werden, gewann immer mehr Anhänger. Nach dem Ersten Weltkrieg kämpf­te Griechenland deshalb gegen das geschwächte Osmanische Reich – Vorläufer der heutigen Türkei –, verlor aber trotzdem. Mehrere Hunderttausend Tote und noch mehr Vertriebene waren die Folge. Hinzu kam noch Benito Mussolini, der seine eigene Staatsvergrößerung plante.

Als es zu Grenz­streitigkeiten zwischen Griechenland und Albanien kam, wurde auf der Botschafterkonferenz in Paris eine internationale Kommission mit der Grenzziehung betraut. Ihr Vorsitzender war der italienische General Enrico Tellini. Doch die Zusammenarbeit mit den Griechen erwies sich als schwierig und führte sogar zum Vorwurf, dieser würde sich zu sehr auf die Seite Albaniens stellen.
Enrico Tellini wurde 1871 in Castelnuovo di Garfagnana in der Toskana als Sohn des Richters Angelo Tellini und seiner Frau Egidia Masini geboren. Schon im Alter von 13 Jahren kam er an die Militärschule in Florenz und besuchte später die Akademie. Ab 1901 diente er dann in Rom im Generalstab des Heeres und nahm 1911 am Italienisch-Türkischen Krieg teil. Danach wurde er als Militärattaché an die italienische Botschaft in Wien versetzt.

Während des Ersten Weltkriegs kämpfte er bei mehreren Isonzo-Schlachten, wurde verwundet und mit der Silbermedaille für militärische Tapferkeit ausgezeichnet. Als Brigadegeneral in Albanien, das großteils in italienischer Hand war, stand er, wie erwähnt, der Kommission zur Festlegung der Grenzen vor. Tellini traf sich mit deren anderen Mitgliedern in Paris und Florenz und begann seine Arbeit vor Ort im März 1922. Die Situation war heikel, es gab zu viele verschiedenen Interessen, die unter einen Hut zu bringen waren. Zudem häuften sich im Sommer 1923 die Überfälle albanischer Banden auf griechisches Gebiet, was die Beziehungen zwischen den beiden Ländern noch schwieriger machte.

Am 27. August 1923 war die italienische Delegation auf dem Weg von ihrem Hauptquartier in Ioan­nina nach Kakavia nahe der griechischen Grenze. General Tellini, seine beiden Berater Major Luigi Corti und Leutnant Mario Bonacini sowie ihr albanischer Dolmetscher Thanassi Gheziri und der Fahrer Remigio Farnetti gerieten in einen Hinterhalt und wurden kaltblütig ermordet. Albanien beschuldigte Griechenland und umgekehrt, doch Italiens Ultimatum zwei Tage später galt den Griechen, die die Forderungen nur teilweise erfüllen wollten. Mussolini erklärte das Verhalten als inakzeptabel und entsprach damit der allgemeinen italienischen Stimmung.

Am letzten Augusttag bombardierten italienische Geschwader die Insel Korfu. Eine zweistellige Anzahl an Opfern, allesamt Zivilisten, darunter Kinder, und die Besetzung der Insel waren das Ergebnis. Die Krise war die erste große Bewährungsprobe für den jungen Völkerbund – und der versagte. Die Schlichtung kam wieder in Paris bei der Botschafterkonferenz zustande, u. a. musste Griechenland die Morde vom 27. August untersuchen und sich dazu unter die Aufsicht einer internationalen Kommission stellen. Mussolini konnte einen Erfolg verbuchen und stützte seine innenpolitische Stellung. Tellini wurde in Florenz auf dem Friedhof von Trespiano in einem eigens zu seinem Gedenken errichteten Mausoleum beigesetzt.
Christian Zelger