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Die Gäste kommen

2023 könnte zum Rekordjahr werden. Die Menschen haben Lust aufs Reisen. Schon 2022 zeichnete sich mit fast 8 Millionen Ankünften und knapp 34 Millionen Nächtigungen ein gutes Ergebnis ab. Das grüne Südtirol ist für viele das perfekte Urlaubsziel, verspricht es unverbrauchte Natur, Ruhe und Entspannung, gutes Essen und Unterkünfte auf höchstem Niveau. 13 Prozent des BIP bringt uns das ein. In puncto Nachhaltigkeit steht Südtirol laut den „Sustainable Development Goals“ (SDGs) auch im Spitzenfeld Italiens.
von Josef Prantl

Es ist nicht abzustreiten, der Tourismus zählt zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren in Südtirol und hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben: Mehr als 11.000 Beherbergungsbetriebe bei fast 240.000 Betten. Unser Wohlstand hängt maßgeblich mit dem Tourismus zusammen, viele profitieren davon. Nach dem Corona-Lockdown im Frühling 2020 wurden im vergangenen Jahr bereits bessere Ergebnisse erreicht als vor Corona. Und die Erfolgsgeschichte scheint kein Ende zu finden: „Zu Tode geliebt“ titelt die Süddeutsche Zeitung.
Denn vielen Einheimischen reicht es nun. Die Schattenseiten sind unverkennbar: Overtourismus an den sogenannten „Hotspots“, tägliche Staus auf den Hauptverkehrsadern, immer größere Resorts in der grünen Natur, das langsame „Sterben“ der kleineren Familienbetriebe, höchste Inflationsrate Italiens, unbezahlbare Grundstückpreise und Wohnungen für Einheimische, Teuerung in allen Bereichen, verwaiste Tourismusorte in der toten Saison…

„Begehrtester Lebensraum Europas“
Schön ist es schon bei uns. Südtirol hat eindrucksvolle Naturlandschaften und interessante kulturelle Eigenheiten. Es bedient damit die Sehnsüchte vieler Menschen, vor allem aus dem städtischen Umfeld. Bei einer thematischen Zuordnung der Südtirol-spezifischen Suchanfragen auf Google dominiert mit großem Abstand das Thema landschaftliche Attraktivität. Südtirol, das ist vor allem: Wandern, Bergsteigen, Klettern, Kultur, Feste, Museen, Genuss und regionale Produkte, klassischer Wintersport, Wellness und Gesundheit. Weniger gut schneidet unser Land ab, wenn es um „Internationalität“ geht, barrierefrei und jugendfreundlich sollen wir auch nicht sein. Punkten können wir mit den Weihnachtsmärkten und den vielen Veranstaltungen: das Kastelruther Spatzenfest, der Biathlonweltcup in Antholz, der Skiweltcup in Alta Badia und Gröden, die Radrennen in den Dolomiten, das Meraner Traubenfest, das Weinfestival und natürlich das Törggelen im Herbst. „Unsere Vision ist es, Südtirol zum begehrtesten nachhaltigen Lebensraum Europas zu entwickeln“, hat sich Südtirols Tourismusmarketing IDM neuestens auf die Fahnen geschrieben, wobei zum eigentlich alten Slogan das Adjektiv „nachhaltig“ dazugekommen ist.

Problematische Entwicklungen
Internationale Trends gehen auch bei uns nicht spurlos vorbei: Immer größere Resorts, immer mehr Sterne, Luxus auf höchstem Niveau sprießen die letzten Jahre wie Pilze aus dem Boden. In unseren 4 S(uperior)- und 5-Sterne Häusern (rund 600 sind es landesweit momentan) wird das gesamte touristische Leistungsspektrum angeboten. „Ein Feriengast, der nicht mindestens 200 Euro am Tag in die Kassen spült, wird verdrängt, dafür sorgt ein Vernichtungsprogramm für alle Garnis und Familienbetriebe“, heißt es unter vorgehaltener Hand bei Stammgästen, die sich den Luxus nicht mehr leisten können. Auf der Strecke bleiben die Streuung und Verteilung der Wertschöpfung unter der Bevölkerung. Die Gefahr, dass bei großen Resorts die Eigentümerstruktur nicht mehr lokal verankert bleibt, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Sobald aber Großinvestoren von außen mit Kapital vermehrt bei uns einsteigen, würde das den Tourismus grundsätzlich verändern und die breite Akzeptanz und regionale Verwurzelung gefährden. Der Heimatpflegeverband ist jetzt schon besorgt und fordert ein Umdenken. Früher habe der Tourismus unter den Einheimischen breite Zustimmung genossen. Diese Stimmung habe sich jedoch verändert, sagt Claudia Plaikner, Präsidentin des Heimatpflegeverbandes. Problematisch wird es, wenn nachkommende Generationen nicht mehr bereit sind, den Familienbetrieb weiterzuführen. Kleinere Betriebe sind dem Investitionsdruck und den steigenden Kosten immer häufiger nicht mehr gewachsen. Was mit Beherbergungsbetrieben passiert, welche sich nicht mehr rentabel führen lassen, ist oft nicht klar. Camping- und Outdoorurlaub sind in letzter Zeit besonders attraktiv geworden. Land und Leute auf eigene Faust zu erkunden, ist gefragter denn je. Die Sehnsucht nach natürlicher Wildnis und die romantische Vorstellung des freien Erkundens der Bergwelt hat aber seine Schattenseiten. Immer mehr Wohnmobile strömen zu uns, die „wilden“ Camper sorgen für Unmut. Südtirol brauche einen geregelten Campingtourismus, fordern daher die Landtagsabgeordneten Gert Lanz und Helmut Tauber.

Viele offene Fragen
Einfach haben es die Touristiker wirklich nicht! Müssen sie doch immer wieder als Prügelknaben herhalten, etwa wenn es um Nachhaltigkeit geht. Vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung steht das Skifahren vor einem großen Fragezeichen. Durch den Klimawandel haben zwar die höher gelegenen Skigebiete die besten Zukunftsaussichten, weil es dort noch lange kalt sein und schneien wird. Aber ist das auch nachhaltig? Die Gäste in Südtirol schätzen Gastfreundschaft und Professionalität der Dienstleistung. Ohne Zweifel ist gutes Personal ein Erfolgsfaktor. Dabei spielt die Ausbildung eine wichtige Rolle, aber daneben müssen auch die Arbeitsbedingungen passen. „Wir zahlen sehr gut, weit über Tarif und sind flexibel, was die Arbeitszeiten betrifft“, sagt ein Hotelier aus Tirol. Fest steht auch, dass die Bevölkerung hinter dem Tourismus stehen muss: Der Gast darf nicht als Bedrohung wahrgenommen werden. Es gelinge uns aber zusehends weniger, die vielen Gleichgewichte rund um den Tourismus derart beizubehalten, sodass die ein­hei­mische Bevölkerung, die wenig oder nichts damit zu tun hat, dem Gast mit Offenheit, Respekt und Freundlichkeit begegnet, lautet die Sorge. „Ich persönlich fühle mich nicht mehr wohl in meiner geliebten Heimat. Sommertourismus in Meran usw. ist ok, aber das ganze Jahr durch ist einfach zu viel! Außerdem werden unsere Ressourcen überstrapaziert und wir“, schreibt Annamaria in einem Kommentar der Tageszeitung. Das Landestourismusentwicklungskonzept 2030+ möchte dem Massentourismus zwar Einhalt gebieten. Eine Bettenobergrenze wurde beschlossen, die Bettenanzahl soll auf dem Niveau von 2019 eingefroren werden.

Sind wir innovativ genug?
Der demographische Wandel in Europa, vor allem in Deutschland und Italien führt dazu, dass sich die Gesellschaft aus einem wachsenden Anteil von älteren Menschen zusammensetzt. Für die Zukunft wird es von Bedeutung sein, auf diese neuen Gäste vorbereitet zu sein bzw. ihre Bedürfnisstrukturen zu kennen, dass beispielsweise Barrieren für ältere und beeinträchtigte Menschen abgebaut werden. Zweifellos hat Südtirol das Potential, ein begehrter Lebensraum zu sein. „Vielleicht ist es im Sinne des Wahrens von komplexen Gleichgewichten aber einfacher, wenn Südtirol zwar sehr begehrt ist, gleichzeitig aber auch nicht derart begehrt wird, dass diese Begehrlichkeit es irgendwann weniger lebenswert macht“, rät der Tourismus­ex­perte und EURAC-Wissenschaftler Harald Pechlaner in der Studie „Zukunft Tourismus Südtirol 2030“. „Nachhaltigkeit ist für uns nicht nur ein Substantiv, es ist für uns zu einem Leitfaden geworden, der uns bei unseren Entscheidungen führt“, heißt es auf der Webseite eines Hotels in St. Vigil in Enneberg. Seit März können Hotels und Ortschaften „nachhaltig“ zertifiziert werden. „Es geht um regionale Kreis­läufe, sanfte Mobilität, Besucherlenkung, aber auch darum, CO2-Emissionen zu erheben und zu verringern“, sagt Verena Festi, Direktorin von Eggental Tourismus. Das Label entspricht den Kriterien des Global Sustainable Tourism Council (GSTC), einer internationalen Organisation, die einen zertifizierbaren Standard für nachhaltigen Tourismus und nachhaltiges Reisen definiert hat. Um das Nachhaltigkeitslabel zu erhalten, muss ein Gastbetrieb 31 Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. „Viele Südtiroler Betriebe haben sich bisher noch viel zu wenig Gedanken gemacht und schauen noch zu viel auf Nächtigungszahl und Umsatz. Tierwohl, Gemeinwohl, CO2-Verbrauch und soziales Engagement haben noch einen viel zu niedrigen Stellenwert. Nur auf Plastikflaschen zu verzichten und regionale Milch zu kaufen, reicht nun mal nicht, um sich als‚ nachhaltigen Betrieb betiteln zu können,“ kritisiert Lisa Resch vom Bio-Hotel Steineggerhof. Viel zu gering sei die Zusammenarbeit zwischen heimischer Landwirtschaft und Tourismus. Für viele touristische Betriebe spielten regionale Produkte keine so wichtige Rolle, sondern es gehe ihnen vor allem um den günstigen Einkauf, lautet die Kritik.

Das Kreuz mit dem Wasser
„Der Massentourismus verursacht zu viel Verkehr und Müll und verbraucht zu viele Ressourcen wie Wasser“, sagt Madeleine Rohrer. Bestes Beispiel dafür seien die Gemeinden Kastelruth und Hafling. „Man weiß aus Untersuchungen, dass Urlaubsgäste zwei bis fünf Mal so viel Wasser verbrauchen als Personen, die ständig hier wohnen“, so die Geschäftsführerin des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz. Es dürfe nicht so weit kommen, dass sich die Einheimischen einschränken müssen und im Sommer den eigenen Garten nicht gießen dürfen, während der Gast eines Fünf-­Sterne-Hotels weiterhin in einem Schwimmbad planschen darf.
Südtirol müsse sorgsam mit Wasser umgehen, fordert auch der Direktor des Landesamts für nachhaltige Gewässernutzung Thomas Senoner. „Gerade der Tourismus muss Wege finden, damit der Spitzenverbrauch sinkt. Das gilt nicht nur für die Hotellerie, sondern auch für die Pistenbeschneiung. „Wir verlangen mittlerweile ganz hohe Preise. Der Gast bezahlt Luxus. Da können wir nicht ganz große Sprünge machen,“ hält Markus Huber vom Hotel „My Arbor“ oberhalb von Brixen entgegen.

Welche Art von Tourismus wollen wir?
Welche Art von Tourismus wir brauchen und welche Art von Tourismus wir uns noch leisten können, die Diskussion darüber hat längst begonnen. Die Palette der Vorschläge und Ideen reicht von der Kontingentierung und Lenkung der Gästeflüsse bei den touristischen Hotspots; dem Bettenstopp; von Rabatten für Gäste, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen; von der Förderung des Fahrradtourismus, um von den Kurzaufenthalten wegzukommen; von der Stärkung regionaler Kreisläufe durch Vernetzung mit der Landwirtschaft; von grünen Technologien in den Betrieben bis hin zum Brenner-Basistunnel, der echte grüne Mobilität ermöglichen soll. „FuTurismo“ nennt sich ein Buch von Michil Costa: Es ist ein Appell gegen die touristische Monokultur. „Unsere bäuerliche Vergangenheit haben wir verraten. Erst jetzt geht uns auf, dass wir dabei nicht nur gewonnen, sondern auch viel verloren haben,“ sagt Corvaras La-Perla-Hotelier. Und dass unser Tourismus in einer Krise stecke, meint Elide Mussner:„Auf der einen Seite die Touristenströme, auf der anderen Seite die Vision eines exklusiven Reisezieles. Wie passt das zusammen? Nachhaltigkeit ist eine Lebenshaltung, keine Marketingstrategie!“, meint die Abteier Gastwirtin und Grünen-Politikerin.

 

„Wir brauchen eine neue Kultur des Reisens“

„Nachhaltiger Tourismus in Südtirol“ nennt sich ein Buch von Julia Belli. Die Boznerin hat 2019 ihre Bachelorarbeit am Institut für Geografie an der Universität Innsbruck veröffentlicht. „Tourismus mit Zukunftsperspektive“ lautet der Untertitel. Belli möchte zum Nachdenken anregen und sensibilisieren, denn unser ökologisches Gleichgewicht stehe auf der Kippe, sagt sie. Die BAZ sprach mit ihr.

Julia Belli

Was hat Sie bewogen, Ihre Arbeit über nachhaltigen Tourismus in Südtirol zu veröffentlichen?
Julia Belli: Reisen und dabei die Welt zu entdecken, hat mich schon immer fasziniert. Dabei steht für mich die unberührte Natur und deren atemberaubende Landschaf­ten, die uns unsere Erde bietet, an erster Stelle. Im Laufe meines Geografie-Studiums an der Universität in Innsbruck wollte ich mein Wissen darüber vertiefen und dazu bei­tragen, den Tourismus nachhaltiger und somit zukunftsfähiger zu gestalten und suchte nach möglichen Lösungen, um einen respektvollen, verantwortungsvollen Tourismus mit einer intakten und unberührten Natur zu vereinen. Südtirol profitiert in erster Linie vom Tourismus und damit dieser weiterhin bestehen und womöglich verbessert werden kann und auch die Natur dabei nicht vernachlässigt wird, müsste man Nach­haltigkeit in Erwägung ziehen und diese mit dem Tourismus kombinieren.

„Nachhaltigkeit ist die wichtigste strategische Grundlage für die künftige Entwicklung Südtirols“, sagte Tourismuslandesrat Arnold Schuler bei der Vorstellung des sogenannten „Nachhaltigkeitslabels Südtirol“ kürzlich. Was verstehen Sie unter nachhaltigem Tourismus?
Nachhaltiger Tourismus bedeutet für mich respektvolles Reisen und respektvoller Umgang mit der Natur und mit unserem Planeten. Neben Reisen und Urlaub wird vor allem Naturschutz großgeschrieben. Nachhaltig bedeutet hier aber auch zukünftiges Bestehen des Tourismus im Einklang mit der Natur. Reisen soll verantwortlich sein, mit Ressourcen soll sparsam und nachhaltig umgegangen werden, damit auch zukünftige Generationen die schönen Orte der Welt kennenlernen dürfen. Ein anderes Wort für nachhaltigen Tourismus ist sanfter Tourismus. Auch soziokulturelle Faktoren, wie die Bevölkerung Südtirols, sollen dabei nicht vernachlässigt werden. Natur soll erlebbar, aber zugleich auch geschützt werden.

Der internationale Trend in der Tourismusbranche läuft auf die zunehmende Schaffung von immer größeren, auf ein eingegrenztes Gebiet beschränkte Einheiten (Resorts) hinaus. 4 Superior- und 5-Sterne-Resorts sind auch bei uns im Trend. Welche Gefahren sehen Sie in dieser Entwicklung?
Leider entwickelt sich der internationale Tourismus momentan zu einer Massenbewegung, also in die entgegengesetzte Richtung zur Nachhaltigkeit. Gefahren sehe ich im Sinne von Zerstörung der Natur durch Hotelketten, massive Ressourcennutzung, Landschaftsrodungen und Vernichtung des Lebensraumes von Tieren und Pflanzen, übermäßige Müllproduktion usw. Die Natur und ihre Landschaft werden dabei vernachlässigt und der Tourismus kon­zentriert sich nur innerhalb der Resorts, des Luxus und der „künstlichen“ Welt. Auch die Einheimischen können dadurch nicht vom Tourismus profitieren, da sich alles innerhalb der Resorts konzentriert. Somit wird die Natur nicht „erlebt“, sondern es wird darauf verzichtet.

Was müssen wir tun, damit wir die Umwelt bewahren und unser Land zu einem Vorreiter für nachhaltigen Tourismus machen?
Es sollte mehr sensibilisiert werden. Meiner Meinung nach ist die Information das wichtigste Mittel, um den Menschen nachhaltiges Reisen vor Augen zu führen. Außerdem sollte mehr nachhaltiges Reisen angeboten werden in Form von organisierten Ausflügen mit Informationscharakter für Touristen (z. B. Wanderungen mit Bergführungen, die Informationen zur Nachhaltigkeit weitergeben), oder Transporte, die zum Umweltschutz beitragen, wie Fahrradtouren usw. Vor allem in der Nebensaison sollten attraktive nachhaltige Reisen angeboten werden.

Veranstaltungen wie die Weihnachtsmärkte, das Meraner Weinfestival oder das Kastelruther Spatzenfest bringen Tausende Gäste ins Land. Die Olympischen Winterspiele 2026 in Antholz stehen vor der Tür. Wie denken Sie über solche Großveranstaltungen?
Großveranstaltungen sind eine Form von Massentourismus, bei denen die Natur eher vernachlässigt wird, weil im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit die Veranstaltung steht. Ich denke sofort an eine Überlastung des Verkehrs. Anstatt Großveranstaltungen sollten mehrere kleinere und naturverbundene Veranstaltungen (wenn möglich, mit Informations­charakter) veranstaltet und vermarktet werden.

Camping- und Outdoorurlaub auf eigene Faust sind in. Welche Regeln braucht es, damit Umwelt, Natur und einheimische Bevölkerung nicht unter die Räder kommen?
Die wichtigste Regel bedeutet meiner Meinung nach Respekt. Wenn die Natur respektiert wird, wird der Müll wieder mit nach Hause genommen. Die Umwelt sollte beobachtet (und es sollte versucht werden, sie zu verstehen), anstatt verändert werden und man sollte sich vorher über das Land, in das gereist wird, informieren. Es sollte, wenn möglich, auf lange Flugzeugreisen verzichtet und stattdessen nahegelegene Urlaubsorte bevorzugt werden. Es sollte lokal eingekauft und gegessen werden, um somit auch der einheimischen Bevölkerung zu unterstützen.

Durch den Klimawandel haben die höchst gelegenen Skigebiete die besten Zukunftsaussichten. Weil es dort noch lange kalt sein und schneien wird. Aber ist das auch nachhaltig?
Sobald ein Ort zu viele Feriengäste anlockt (in Form von Massentourismus), wie hoch gelegene Skigebiete, kann er von Grund auf nicht mehr nachhaltig sein. Massentourismus ist meiner Meinung nach mit Nachhaltigkeit nicht vereinbar.

Südtirol soll der begehrteste nachhaltige Lebensraum Europas werden: Das hat sich unser Tourismusmarketing auf die Fahnen geschrieben. Können bzw. sollen wir das überhaupt?
Dies wäre auf jeden Fall erstrebenswert. Aber nicht nur Südtirol sollte sich dies als Ziel setzen, sondern auch andere Länder, ansonsten wird Südtirol als DAS begehrteste nachhaltigste Land wiederum mehr Touristen anlocken, in Form von Massentourismus, und wird deshalb irgendwann keine Nachhaltigkeit mehr garantieren können. Der internationale Tourismus sollte allgemein in diese Richtung gehen, doch ob dies zukünftig möglich ist, ist eine interessante Frage. Südtirol ist jedenfalls auf gutem Weg!

Ein großes Problem und eine Belastung für Gäste und Einheimische stellt der Verkehr dar. Was aber tun dagegen?
Dies ist ein sehr großes Problem, das ich jeden Sommer am Gardasee, wo ich derzeit lebe, bemerke. Die Straßen sind nicht auf einen derartigen Verkehr vorbereitet und somit überlastet. Es wäre wahrscheinlich nötig, radikale Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise die Besucheranzahl in einem bestimmten Ort zu limitieren oder in Form von allgemein höheren Preisen für Touristen (z. B. die Ortstaxe erhöhen, usw.). Gleichzeitig sollte man mehr auf nachhaltige (und öffentliche) Transportmittel setzen. Baut man die Straßen aus, zieht man somit nur noch mehr Ferien­gäste an.

Das Urlaubsziel Südtirol wird häufig kritisiert, es sei nicht innovativ genug. Zurecht?
Meiner Meinung nach wird Südtirol immer innovativer. Es kommt natürlich darauf an, mit welchem Land es verglichen wird. Südtirol ist dabei, in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen und sollte auf jeden Fall offen für kulturelle, architektonische und produkt- sowie marktbezogene Experimente sein, um auf zukünftige Herausforderungen im Tourismus noch besser vorbereitet zu sein. Ein Beispiel dafür ist die Digitalisierung, die im Tourismus immer mehr an Bedeutung gewinnt, z. B. in Form von touristischer Ausbildung im Hinblick auf Informations- und Kommunikationstechnologie und Online-Services.

Wie sieht Ihre Zukunftsperspektive für Südtirols Tourismus aus?
Ich denke und hoffe, dass ein Gleichgewicht zwischen Tourismus und Nachhaltigkeit gefunden wird und dass immer mehr Feriengäste Wert auf einen naturverbundenen Urlaub legen werden. Der Trend zeigt, dass es in diese Richtung geht. Es sind nachhaltige Mobilitätskonzepte erforderlich. Aber dadurch besteht auch das Risiko, dass Südtirol zu einem „Freizeitpark für gestresste Großstädter“ wird. Somit würde es zu einem Identitätsverlust kommen. Es wird immer wichtiger, ein Gleichgewicht zwischen „Nützen“ und „Schützen“ der Umwelt herzustellen. Feriengäste achten immer mehr auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz und möchten ihren Urlaub ohne schlechtes Gewissen verbringen. Die Alpenregion könnte zu einem Vorbild in Nachhaltigkeit innerhalb Europas werden. Auch die Digitalisierung im Tourismus gewinnt immer mehr an Bedeutung bzgl. Informations- und Kommunikationstechnologie und Online-Services, gut zugänglichen Informationen auf Webseiten, Online-Angeboten und die online Buchbarkeit.

 

„Unser Land lebt von der Wirtschaftskraft des Tourismus“

Hansi Pichler ist ein bekanntes Gesicht. Der Schenner Hotelier ist Bezirksobmann des HGV und IDM-Präsident. „Ich halte nichts von Schwarzweißmalerei“, sagt Pichler.

Herr Pichler, wie geht es heute einem Schenner Hotelier und Gastwirt?
Hansi Pichler: Wie alle Gastwirte unseres Bezirkes habe ich mich auf den Beginn der Frühjahrssaison vorbereitet und freue mich, in unserem Familienbetrieb die ersten Gäste begrüßen zu können. Damit öffnen auch wieder unsere Ausflugslokale, von denen wir in unserer Gemeinde doch eine Vielzahl haben, und die auch von Einheimischen gerne aufgesucht werden.

Hansi Pichler

Immer mehr, immer größer: 4- und 5-Sterne-Resorts sind im Trend. Geht uns nicht irgendwann der Atem aus?
Immer mehr, immer größer, das stimmt so nicht. Im zehnjährigen Trend ist eine Abnahme der gastgewerblichen Beherbergungsbetriebe zu verzeichnen, während nichtgewerbliche Betriebsformen zunehmen. Wir haben dann eine ganze Reihe von Betrieben, welche die derzeitige Betriebsgröße beibehalten, aber versuchen, damit eine gute Leistung und einen tollen Service zu bieten. Diese Betriebe sind in unserem Bezirk immer noch die große Mehrheit und haben nicht die mediale Aufmerksamkeit wie Betriebe, an die Sie denken. Hinzu kommt eine von der Politik verordnete Deckelung der Betriebsgröße. Anderseits ist Südtirol bei Gästen sehr gefragt. Das liegt am guten Angebot unserer Betriebe, die genau wissen, was der Gast sucht.

Und die Kleinen sterben. Haben Sie keine Bedenken, dass sich diese Entwicklung zum Luxus irgendwann rächt?
Mehrere Sektoren in Südtirol haben mit dem Strukturwandel zu kämpfen. Das gilt für die Landwirtschaft, den Handel, aber auch für das Gastgewerbe. Die Ursachen im Gastgewerbe sind genau so vielfältig wie in den anderen Sektoren. Im Gastgewerbe sind steigende Ansprüche nur einer von vielen Gründen. Für mich ist aber klar: Unser touristisches Angebot lebt von der Vielfalt, den kleinen Pensionen und Gastbetrieben genauso wie vom Luxushotel. Wenn wir weiterhin erfolgreich sein wollen, dann müssen wir auf die Vielfalt des touristischen Angebotes achten.

Früher habe der Tourismus unter den Einheimischen breite Zustimmung genossen. Diese Stimmung habe sich jedoch verändert, sagt Claudia Plaikner, Präsidentin des Heimatpflegeverbandes. Zurecht?
Behauptungen können schnell mal aufgestellt werden. Ich kenne Untersuchungen, welche besagen, dass die Bevölkerung durchaus den Stellenwert des Tourismus für Südtirol erkennt und mit großer Mehrheit positiv zum Tourismus steht. Dass es einige Kehrseiten des Tourismus gibt, das bestreite ich nicht und dass diese Kehrseiten von einem Teil der Bevölkerung stärker als bisher wahrgenommen werden, bestreite ich auch nicht. Es mag sein, dass mehr Menschen als bisher glauben, vom Tourismus nicht zu profitieren. Insgesamt lebt aber unser Land von der Wirtschaftskraft, die der Tourismus hat. Viele leben direkt oder indirekt davon. Dennoch ist es wichtig, den Zuspruch der Bevölkerung nicht zu verlieren.

Südtirol fehle eine Tourismussteuer, während die Kosten für die Umwelt- und Verkehrsbelastung das Land und damit die Gesamtheit der Steuerzahler tragen. Berechtigte Kritik?
Eine Tourismussteuer haben wir in Form der Ortstaxe. Diese wird zu einem Großteil für die Initiativen der Tourismusorganisationen vor Ort eingesetzt, welche auch wieder den Einheimischen zugutekommen. Statt weitere Steuern einzuführen, sollten wir uns Gedanken machen, wie es gelingt, die Verkehrsbelastung und andere Be­lastungen zu verringern. Nachdem diese Belastungen nicht nur auf die Gäste zurückzuführen sind, muss es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, hier mit viel Kreativität und Einfallsreichtum Initiativen umzusetzen. Als Unternehmer bin ich dafür, Anreize zu schaffen, anstatt Steuern und Abgaben einzuführen.

Die Tourismuswerbung gehöre einzubremsen und zu privatisieren. Warum soll die Allgemeinheit zum Beispiel die Vermarktung über die IDM zahlen?
Die derzeit diskutierte Reform der Ortstaxe, die von den Landesverbänden des Tourismus gemeinsam mit dem zuständigen Ressort entschieden wurde, geht genau in diese Richtung. Das Budget für die touristische Südtirol-Werbung wird dabei nicht erheblich erhöht, es ändert sich nur die Finanzierungsquelle. Das heißt also für den Tourismus: Der Steuerzahler wird entlastet, der Gast finanziert über die Ortstaxe mehr.

„Nachhaltigkeit ist die wichtigste strategische Grundlage für die künftige Entwicklung Südtirols“, sagt Tourismuslandesrat Schuler. Alles nur Marketingstrategie oder doch echtes Umdenken?
Ganz sicher keine Marketingstrategie. Nachhaltigkeit ist die Voraussetzung dafür, dass unser Land lebenswert und wettbewerbsfähig bleibt. Es ist essenziell, dass wir Südtiroler weiterhin über einen attraktiven, gesunden Lebensraum verfügen und uns dort wohlfühlen. Das erreichen wir nur dadurch, dass wir unsere Ressourcen schonen und sensible Ökosysteme nachhaltig schützen. Dafür brauchen wir einen Tourismus, der nachhaltig ist. Wir von IDM wollen Nachhaltigkeit aber ganzheitlich für ganz Südtirol voranbringen; deshalb wird das Nachhaltigkeitsprogramm, das wir für den Tourismus gestartet haben, auch auf andere Sektoren ausgeweitet, wie Handwerk, Industrie und Handel. Alle Sektoren im Land sollen den nachhaltigen Weg mitgehen.

Der Kurzzeittourismus ist das Ge­genteil von Nachhaltigkeit. Aber wie kommen wir davon weg?
Ich weiß nicht, ob Ihre These stimmt. Wenn der Gast etwa mit der Bahn anreist, sich in Südtirol mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewegt, dann kann dies nicht das Gegenteil von Nachhaltigkeit sein. Egal, wie lange er sich bei uns aufhält. Die IDM spricht in der Tourismuswerbung gezielt Kunden an, die sich Zeit nehmen, um dieses Land und seine Menschen kennenzulernen, und die auch un­sere Wertehaltung teilen, also verstehen, wohin wir mit unseren Nachhaltigkeitsbestrebungen wollen und uns dabei auch unterstützen, indem sie z. B. die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen.

Südtirol soll der begehrteste Le­bensraum Europas werden, hat sich die IDM auf die Fahnen geschrieben. Nicht völlig daneben vor dem Hintergrund, dass wir den Verkehr nicht mehr im Griff haben, das Wasser uns ausgeht, die Landschaft zugebaut wird, Massentourismus und Personalmangel nicht mehr zu bewältigen sind?
Die Vision ist sehr ambitioniert, aber wir glauben fest daran. Das bedeutet, dass wir proaktiv daraufhin hinarbeiten, uns aber gleichzeitig den Herausforderungen stellen, die sich für Südtirol ergeben. Hier ist es wichtig, weitsichtig zu denken und neue Akzente zu setzen. Der Tourismus ist wichtig für Südtirol, er schafft viele Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung, gerade auch in der ländlichen Gegend. Gleichzeitig soll der übermäßigen Konzentrierung der Gäste während einiger Wochen des Jahres entgegengewirkt werden, mit gezielten Marketingmaßnahmen, mit innovativen digitalen Mitteln, mit Besucherlenkung und der Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs.

Alternde Gesellschaft, Industrie 4.0: Trägt Südtirols Tourismus der Zukunft überhaupt Rechnung?
Natürlich trägt Südtirols Tourismus den gesellschaftlichen Änderungen Rechnung, mehr als Sie glauben. Die Babyboomer-Generation tritt in den Ruhestand. Damit entsteht eine Gästeschicht, die einerseits sehr reiseaffin und andererseits körperlich sehr fit ist. Diese Menschen haben Lust, Neues zu entdecken oder Altes wiederzuentdecken. Sie interessieren sich für Natur, Kultur, Brauchtum, Kulinarik und vieles mehr. Industrie 4.0 bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie. Wir im Gastgewerbe haben den großen Vorteil, mit Menschen für Menschen zu arbeiten.
Allerdings: Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie hat die Kommunikation in unseren Betrieben längst schon revolutioniert. Aber nicht nur in diesem Bereich gibt es viel Innovation. Dennoch: Unser USP, das Alleinstellungsmerkmal ist und bleibt die Gastfreundschaft und die Gastlichkeit.

Wie sieht Ihre persönliche Perspektive für Südtirols Tourismus aus ?
In Südtirols Tourismus arbeiten sehr viele sehr engagierte Familien, die mit viel Herzblut für Einheimische und Urlaubsgäste da sind. Unsere familiengeführten Betriebe bilden das Rückgrat unseres breiten touristischen Angebotes. Unsere Familien, ob nun die Elterngeneration oder unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger, sind vor Ort verwurzelt, in vielen Vereinen aktiv und weisen einen gesunden Unternehmergeist auf. Zudem wurden und werden auf Betriebs-, aber auch auf Destinationsebene wichtige strategische Schritte im Bereich der Nachhaltigkeit und Digitalisierung gesetzt. Deshalb blicke ich mit Zuversicht in die Zukunft.