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Der lange Weg vom Bahnhof zur Freiheit

Die Meraner Lauben gibt es seit dem 13. Jahrhundert. Andere Gassen und Straßen in der Kurstadt hingegen sind wesentlich jünger und haben zudem eine wechselhafte Namensgeschichte hinter sich – zum Beispiel die heutige Freiheitsstraße.

„Breiten Sie dem Tier doch einen Kotzen [= Pferdedecke] unter, dann wird es sich leicht erheben können“, empfahl ein junger Mann an der Seite seiner Frau den Fuhrleuten am Meraner Rennweg, als ein Pferd gestürzt war. Eine Begebenheit, die wohl nicht weiter erwähnenswert wäre, handelte es sich bei dem Paar nicht um Erzherzog Karl von Habsburg-Lothringen und Prinzessin Zita von Bourbon-Parma. Zugetragen hatte sich dies am 9. November 1911, so berichtet eine Lokalzeitung. Karl und Zita hatten zwei Wochen zuvor im Schloss Schwarzau am Steinfeld die Vermählung gefeiert und befanden sich nun auf ihrer Hochzeitsreise. Der öster­reichi­sche Historiker Erich Feigl nannte die Eheschließung die „letzte große Hochzeit Europas“ – Beobachter royaler Medieninszenierung werden heute vielleicht anderer Meinung sein. Das Mahl war jedenfalls opulent. Es gab Wildhasenpüree nach St.-Hubertus-­Art, Renaissance-Lammbraten, Languste nach Pariser Art, Ana­nas- und Erdbeereis u.a.m., serviert auf goldenen Tellern. Über Toblach und Brixen kamen die Jung­ver­mählten in einem Hof­salonwagen nach Meran, wo sie am Bahnhof von Bezirkshauptmann Franz von Galli begrüßt wurden. Einen offiziellen Empfang hatte man sich verbeten. Der Bahnhof wurde erst fünf Jahre zuvor an jene Stelle verlegt, an der er noch heute zu sehen ist. Ursprünglich befand er sich ungefähr dort, wo nun der Mazzini-­Platz liegt und wo er 1881 in Betrieb genommen worden war. Von hier aus führte die Bahnhofsstraße ins Zentrum der Kurstadt. Lange befand sich die Bezeichnung aber nicht auf den Tafeln. Schon 1884 wurde die Straße umgewidmet und trug von da an den Namen des kaiserlich-königlichen Herrscherhauses. Aus der na­men­t­lich schlichten Bahnhofsstraße wurde die ehrwürdige Habsburgerstraße. Die Meraner Stadtverwaltung hatte bei Kaiser Franz Joseph ein entsprechendes Gesuch gestellt.
Doch zurück zu Karl und Zita. Sie fuhren kurz nach ihrer Ankunft zum „Grandhotel und Meranerhof“ und besichtigten am Tag darauf die Stadt mit ihren weithin geschätzten Kuranlagen. Meist waren sie zu Fuß unterwegs, auf dem Rennweg kam es zur eingangs geschilderten Szene. Lange dauerte ihr Aufenthalt in Meran allerdings nicht. Schon wenige Stunden später erschienen sie am Bahnhof, erneut zu Fuß, und verließen mit dem Zug die Passerstadt – um exakt 11.04 Uhr, so die Ge­schichtsschreibung und sofern die Züge damals pünktlich waren. Die Habsburgerstraße erinnerte noch bis zum Untergang des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn an die europaprägende Dynastie.
Dabei war man in Meran mit dem am Habsburgerplatz entstandenen Viertel zunächst nicht besonders glücklich. So beklagte ein Journalist im April 1887 in der „Meraner Zeitung“, dass es durchaus größerer Anstrengungen bedürfe, das Aussehen mit seinem „erhabenen Namen“ in Harmonie zu bringen. Eine deutliche Aufwertung erführe die Gegend, wenn man die nahegelegenen Baugründe endlich in eine Parkanlage verwandelte. Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich dann einiges. 1921, ein Dreivierteljahr nach der Annexion Südtirols durch Italien, erhielt die Habsburgerstraße den Namen Goethestraße und der Habsburgerplatz wurde zum Schillerplatz. Die Politik weicht der Literatur. Mit der Machtübernahme der Faschisten kam es zu weiteren Umbenennungen. Goethe musste zuerst Principe Umberto und später Armando Diaz Platz machen, um dann ab 1944 zumindest für kurze Zeit Walther von der Vogelweide eine Bühne zu geben. Seit Ende des Krieges und dem Sieg über den Faschismus prangt der Name „Freiheitsstraße“ auf den Tafeln. Karl, 2004 seliggesprochen, wäre wohl damit einverstanden gewesen, hatte er doch bei seiner Thronbesteigung erklärt, dass es sein unablässiges Bemühen sein werde, das Wohl seiner Völker und die Freiheit zu beschützen.
Christian Zelger