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Mehr Frauen zur Orientierung

Am heurigen Weltfrauentag, der seit über 100 Jahren am 8. März begangen wird, wurde an der Universität Bozen eine Broschüre vorgestellt, deren Ursprünge bereits vor zwei Jahren in eine BAZ-Straßengeschichte Eingang gefunden hatten. Nun liegt sie für eine interessierte Öffentlichkeit vor.

42 der bisher in dieser Rubrik vorgestellten 60 Straßen wurden nach Männern benannt, 14 nach Orten, Gebäuden oder Daten und nur vier nach Frauen. Das sind gerade einmal 6,6 % – und entspricht zufälligerweise genau jenem Wert, den eine Studie für die Hauptstädte der italienischen Re­gionen und autonomen Provinzen ermittelt hat. Andererseits haben Wissenschaftler des Population Reference Bureau vor kurzem errechnet, dass bisher 117 Milliarden Menschen auf der Erde gelebt haben. Wenn man davon ausgeht, dass die Hälfte davon Frauen waren, so scheint die spärliche Quote bei Straßenbenennungen nicht auf mangelnde Auswahl zurückzuführen zu sein. Der Grund liegt eher in einem fehlenden Bewusstsein. Abhilfe soll hier die von Siglinde Clementi vom Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte herausgegebene Online-Broschüre „Frauenbiografien und Straßennamen“ schaffen. In dem „Leitfaden zur Benennung von Straßen und Plätzen in Südtirol“, so der Untertitel, werden 200 Frauenpersönlichkeiten auf gut doppelt so vielen Seiten vorgestellt, zwei Drittel davon mit Lokalbezug.

Wer Marie Curie, Hannah Arendt und Maria Theresia von Österreich waren und welches Erbe sie hinterlassen haben, dürfte wohl zur Allgemeinbildung zählen. Der Wert der Handreichung zeigt sich aber darin, dass Frauen, deren Leistungen bisher kaum von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, ins Licht gerückt werden. Ob in den Natur- wie auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften, ob als Kämpferinnen um Gleichberechtigung, als bildende Künstlerinnen, Schriftstellerinnen oder Musikerinnen, um nur einige Bereiche zu nennen – es gibt genügend Gründe, bei zukünftigen Straßenwidmungen aus dem reichen Schatz des Kompendiums zu schöpfen. Dabei sind die Kriterien für eine Aufnahme, die sich Siglinde Clementi und Franziska Cont selbst auferlegt haben, streng. Für die Sammlung wurden nur bereits verstorbene Persönlichkeiten ausgewählt. Ihre gesellschaftliche Relevanz müsse klar ersichtlich sein. Die Erfüllung der beruflichen Verpflichtung alleine rechtfertige noch keine Benennung. Auch ein besonderer Bezug zum Ort sei Bedingung. Jede Form von Nähe zu totalitären Ideologien oder Gewalthandlungen hingegen führten automatisch zum Ausschluss.

Für das Burggrafenamt – als Geburts- oder Wirkungsort – finden sich unter den ein- bis zweiseitigen Kurzbiographien zahlreiche interessante Vorschläge, so zum Beispiel über die Schulstifterinnen Maria Mitterhofer sowie Rosa und Maria Garber, die Gründerin des Meraner Frauenmuseums Evelyn Ortner, die Oberin des Pflegeheimes in Lana Sr. Elisabeth Marginter, die Malerin Anni Égösi, die Bildhauerin Gina Klaber Thusek, die Schriftstellerinnen Henriette Schrott-­Pelzel und Anita Pichler, die Lyrikerin Gabriele von Pidoll, die Fremdenverkehrspionierin Maria Schrott, die Komponistin und Pianistin Natalia Pravosudovič, die Frauenrechtsaktivistin Clara Schreiber … alle aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Beitrages deutlich sprengen.

Woran wir uns als Menschen erinnern, so liest man in der Einleitung zur Broschüre, ist das Ergebnis eines subjektiven Auswahlprozesses, bedingt durch den zeitlichen Kontext.
Auch wie wir uns das Vergangene ins Gedächtnis rufen, sagt etwas über unsere Gesellschaft und unsere Werte aus. Insofern sind Straßennamen, die auf historische Persönlichkeiten verweisen, ein Teil des kulturellen Gedächtnisses, das in der Gegenwart zeigt, wie wir die Vergangenheit und uns selbst sehen.
Christian Zelger