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Kirche mal anders

Leere Kirchenbänke vielerorts sprechen eine deutliche Sprache. Junge Menschen stehen der Kirche kritisch, wenn nicht gar gleichgültig gegenüber. Schlichtes Desinteresse ist vielfach die Einstellung. Die Institution Kirche scheint in der Krise zu sein, auf die tiefere Dimension des Glaubens, die Spiritualität treffe das aber nicht zu. Davon ist Michele Dalla Serra überzeugt.
von Josef Prantl

Der Bozner ist seit kurzem der neue Referent für Kinder- und Jugendpastoral für alle drei Sprachgruppen in der Diözese. Nebenbei unterrichtet Dalla Serra an einer Oberschule Religion. Schon immer engagierte er sich in der kirchlichen Jugendarbeit. „Es ist eine Berufung“, sagt der 29-Jährige, der genau weiß, dass es schwierig ist, junge Menschen für Kirche und Glauben zu begeistern. Die Institution Kirche schreckt ab, gibt Dalla Serra zu, umso wichtiger sei es, jungen Menschen Erlebnisse zu ermöglichen, die einen anderen Zugang zur kirchlichen Glaubensgemeinschaft ermöglichen. „Die Kirche der Zukunft ist keine Volkskirche mehr, aber sie hat eine beachtliche Zahl an Mitgliedern, die aus persönlicher Überzeugung den Glauben leben und gestalten“, sagt Dalla Serra.

Jugendpastoralreferent Michele Dalla Serra

Jugendpastoral
Den christlichen Glauben jungen Menschen als eine wirkliche Lebensquelle erfahrbar zu machen, haben sich die kirchlichen Jugendverbände zur Aufgabe gemacht. Die Jugenddienste, die Katholische Jungschar und Jugend, die Pfadfinder, Kolpingjugend, die Ministranten usw. leisten Pionierarbeit, mit viel Kreativität und Ideenreichtum. „Es ist so wichtig, in der Kinder- und Jugendarbeit Menschen zu haben, die Leidenschaft ausstrahlen, zu ihrem Glauben stehen und überzeugend sind“, weiß Dalla Serra aus eigener Erfahrung. „Und Gruppenerlebnisse, denn viele Kinder und Jugendliche sind alleingelassen, verletzlich, brauchen Schutz, Orte und Räume, wo sie sie selbst sein dürfen.“

Südtirols Jugendkirche
Einen solcher Ort möchte der Treff „Jugendkirche Meran“ sein. Filip Latschrauner gehört zum Team, das die erste und bisher einzige Jugendkirche Südtirols gerade aufbaut: „Nicht nur für, sondern vor allem mit jungen Menschen“, sagt der 20-Jährige. Nicht alle finden es gut, dass die ehemalige Herz-Jesu-Kirche am Sandplatz so „verunstaltet“ werde. Das ehemalige Kloster der „Englischen Fräulein“ gehört heute dem Land, der Jugenddienst Meran hat Kirche und Klostergarten zur Nutzung erhalten. „Jeden Dienstag und Donnerstag von 16 bis 19 Uhr sind wir offen“, sagt Filip, und jeder ist willkommen. Eine lebendige und begeisterte Kirche von Jugendlichen wünscht sich Oliver Schrott. Merans Jugenddienst-Leiter liegt das Projekt Jugendkirche am Herzen: „Wir möchten diese Kirche speziell für Jugendliche nutzen, mit ihren Ideen füllen und beleben, Angebote schaffen, Raum ermöglichen für Kontakt und Gespräche, Kirche anders erlebbar machen“.

Neues wagen
Dass junge Menschen Kirche anders entdecken können, findet Filip Latschrauner wichtig. Der Dorf Tiroler ist schon lange in der kirchlichen Jugendarbeit tätig. „Fragen zu stellen, die sonst unangebracht scheinen und darauf zu antworten, das macht Spaß“, sagt er. Der Begriff „Jugendkirche“, sagt Filip, schrecke Jugendliche im ersten Moment zwar oft ab, aber wer einmal bei uns mitgemacht hat, sieht Kirche dann auf einmal anders. Es brauche den Mut Neues zu wagen, fordert er von der Institution Kirche. Und die Erfahrungen geben ihm recht. Auch wenn es nicht immer ganz viele sind, die den Treff aufsuchen, die aber kommen und mitmachen, sind begeistert. Etwa beim morgendlichen „Back-to-school“-Frühstück, der „Oll-Night-Long“-Osternacht, der „Herzblatt-Show“ am Valentinstag, der „Silent Party“, beim gemeinsamen Filmabend, Kochen, Basteln, Spielen, Essen, Feiern… das alles in der Kirche oder im ehemaligen Klostergarten.

Die Sprache der Jugend
„#kirchemalanders“ nennt sich eine Arbeitsgruppe und zugleich eine Webseite von Jugenddiensten, SKJ, Young Caritas, AGJD und dem Amt für Ehe und Familie der Diözese. Die neue Webseite soll einen Überblick über kirchliche Initiativen und Angebote der „jungen, innovativen und coolen Kirche“ Südtirols geben. Und das sind beileibe viele! „Denn Gottesdienste in traditioneller Form sprechen oft nicht die Sprache der Jugend und feiern an der Lebenswirklichkeit der jungen Menschen vorbei“, heißt es auf der Webseite. Dass es neue Konzepte brauche, die versuchen, näher an der heutigen Lebenswelt der jungen Menschen zu sein, ist sich Südtirols Referent für Kinder- und Jugendpastoral, Michele Dalla Serra bewusst. Digitale Formate können hilfreich sein, um besonders junge Menschen zu erreichen. #osternmalanders, #fastenmalanders, aber auch die Facebook- und Instagram-Seiten der Jugendkirche Meran sind Beispiele kirchlicher Online-Formate.

Glauben erlebbar machen
Bei allem geht es niemals um Missionierung. „Zu uns kann jeder kommen“, sagt Filip Latschrauner, ob Moslem, Transgender oder Katholik, alle sind willkommen. Und so gibt es in der Jugendkirche am Sandplatz neben einer Bibelausstellung auch eine Gender-Ausstellung und eine Ausstellung zu den Weltreligionen zu sehen. „Das Konzept Kirche ist zum Glück nicht mehr so starr, wie es einmal war“, sagt Filip. Traditionelle und altehrwürdige Kirchengebäude werden anders genutzt. Er findet das gut. Junge Menschen für christliche Werte zu begeistern und den Glauben zu leben, ist auch so möglich: „Denn der Glaube ist das Letzte, das bleibt, wenn alles verloren erscheint“, sagt Filip.

Jugendtreffleiter Filip Latschrauner

Orte der Begegnung
„Junge Menschen brauchen Orte, wo sie sich ausprobieren können, wie sie das möchten“, sagt Katharina Weger. Zusammen mit Sonja Pircher, Hannah Pföstl, Oliver Schrott und Filip Latschrauner bilden sie das KIA-Team des Meraner Jugenddienstes. Sie begleiten und unterstützen die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit im Dekanat, dazu gehören z. B. die „Lange Nacht der Kirchen“, die Taizè-Gebetstreffen in der Pfarrkirche von Algund und bei den Salvatorianerinnen in Obermais, die „Passi di Pace“… „Viele kirchliche Positionen sind gut und richtig, müssen aber neu erklärt und in die heutige Lebenswelt junger Menschen übersetzt werden“, sagt Katharina Weger. Und junge Menschen haben ein Interesse an Spiritualität und Sensibilität für Glaubensfragen. „Das erleben wir in unseren Gruppenstunden, das zeigen aber auch Jugendstudien. Wenn junge Menschen mit ihren Fragen kommen, sprechen wir darüber. Aber erst einmal werden sie so angenommen, wie sie sind“, sagt die KIA-Projektleiterin.

Emotionale Erlebnisse schaffen
Eigentlich läuft es immer auf dasselbe hinaus: Der Glaube an sich ist bei jungen Menschen nicht unwichtig, aber die Kirche schon, weil sie festgefahren ist, weil sie in altmodischen Regeln steckt, weil sie sich einfach nicht mit den Menschen weiterentwickelt. Für die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit stellt es eine große Herausforderung dar, das Image aufzubessern. Der Schlüssel dazu ist das Gemeinschaftserlebnis. Junge Menschen sehnen sich nach Erlebnissen, nach Emotionen. Wenn kirchliche Kinder- und Jugendarbeit emotionale Erlebnisse schafft, dann öffnen sich junge Menschen für Glauben und Kirche. Kirche muss natürlich auch zeitgemäßer werden, offener für die Glaubensweisen und Ausdrucksformen junger Menschen. Junge Menschen brauchen gerade nach Corona auch psychische Erholung, Zeit für sich. Kirchliche Jugendarbeit kann durch ihre spezielle Wert­orientierung das Zusammenleben in gegenseitiger Achtung, Toleranz und Wertschätzung fördern. Der Kirche muss es daher ein Anliegen sein, solche Gemeinschaftserfahrungen in kirchlichen Räumen und Orten zu ermöglichen. „Gerade jetzt kann Kirche zeigen, dass sie für Kinder und Jugendliche Freiräume schafft“, sagt Michele Dalla Serra.