„Hoffen kann ich mir nicht mehr leisten“

Lanas Industriezone und das Naherholungsgebiet
19. Dezember 2022
Annullierung von Steuerzahlkarten
19. Dezember 2022
Alle anzeigen

„Hoffen kann ich mir nicht mehr leisten“

Georg Kaser, Klimaforscher sowie Univ. Professor in Ruhestand aus Meran lud gemeinsam mit dem Bildungsausschuss Dorf Tirol unter diesem Motto zum Informationsabend ein. „Klimawandel – Klimakrise – Klimakatastrophe: Die Handlungsfenster schließen sich.“

„Wir laufen immer wieder Gefahr, die Tatsache des Klimawandels zu verdrängen“, meinte Bürgermeister Erich Ratschiller in seinen Grußworten. Der vergangene Sommer habe uns spüren lassen, wie unmittelbar Klimakatastrophen auch unsere Breiten treffen können wiedas „Hochwasser in Ahrntal“ und das „Unglück auf der Marmolata“. Umso wichtiger sei es, sich mit den Zahlen und Fakten der Klimaforschung bekannt zu machen, um – wo immer noch Handlungsfenster offen seien – den Klimawandel best­möglich zu verlangsamen. Dabei sind aber alle gefordert, so Ratschiller, die Bürger wie die Gemeinde. In Zusammenarbeit mit dem Land Südtirol sei man als Verwaltung schon dabei, das Nachhaltigkeitskonzept der UNO und die darin beinhalteten 17 Themen umzusetzen. Vor dem Hintergrund der ansteigenden Energiekosten sieht der Bürgermeister die Chance klimabewusster zu leben. Nach den Grußworten der Vorsitzenden des Tiroler Bildungsausschusses Elisabeth Pircher, zeigte der Univ. Professor für Klima- und Kryosphärenwissenschaften Dr. Georg Kaser den aktuellen Wissensstand zum Klimawandel (Stand: April 2022). Eines stehe laut Georg Kaser außer Frage: „Die Anzahl atmosphärischer Extremereignisse mehren sich!“ Am Beispiel Pakistans hätte man sehen können, wie rasant sich globale Wetterverhältnisse verändern können. Nach einer extremen Trockenperiode folgte dortzulande ein außergewöhnlich heftiger und lange andauernder Monsunregen, der rund 33 Millionen Menschen wenigstens vorübergehend die Lebensgrundlage entzogen hatte. Auch der mittlere jährliche Meeresspiegelanstieg von derzeit 4,4 mm beunruhigt Kaser. Mit immer wahrscheinlicher werdenden Rückkoppelungsprozessen in der Antarktis und in Grönland sei sogar ein Anstieg von über 15 Metern bis zum Jahr 2300 nicht mehr ausgeschlossen. Für das Leben auf der Erde hätte dies verheerende Folgen. Schon heute spüre man den Meeresspiegelanstieg im Versalzen von flachen Küstengegenden und in der Zunahme von Schadensflutwellen. Ein messbares Phänomen des Klimawandels ist der Anstieg der global gemittelten Oberflächentemperatur der Erde der letzten 50 Jahre. Im Jahrzehnt 2011 bis 2020 lag jene bereits 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau (1850 – 1900). Dass das Klimaziel von einem Anstieg der global gemittelten Temperatur von maximal 1,5 Grad noch erreichbar sei, sieht der Klimaforscher skeptisch. Dieses Ziel haben sich die unterzeichneten Länder 2015 im Pariser-Klimaabkommen gesetzt, wohl wissend, dass dies bereits eine große Belastung für die Menschheit bedeute und ein Verfehlen eine noch viel größere Belastung zur Folge hätte. Gleichzeitig verpflichteten sich die Staaten zu konkreten Maßnahmen, um bis 2050 die weltweiten CO2-Emissionen auf netto Null zu verringern. Das Abkommen beinhalte, so Kaser, aber auch, dass bis 2030 der im Jahr 2010 gemessenen Emissionen um 45 % abgebaut werden müssten. Heute seien wir allerdings weit davon entfernt.
Bei allen Bemühungen wäre es aber denkbar, das „Parisziel“ bis 2050 zu erreichen, meint Kaser. Dafür müssen aber, neben massiver Eingrenzung der Emissionen von Treibhausgasen schon heute technische Lösungen entwickelt werden, um auch Negativemissio­nen erzeugen zu können, das bedeutet Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entnehmen. Aktuell gibt es eine Reihe von möglichen Ansätzen, die aber einerseits sehr energieintensiv und teuer sind, andererseits noch nicht im benötigten Maßstab einsetzbar sind. Aber auch auf die sogenannten CO2-Budgets kam Kaser in seiner Präsentation zu sprechen. Damit führte er den Zuhörern eine traurige Bilanz vor Augen. Laut Kaser emittieren Herr und Frau Südtiroler im Jahr nämlich pro Kopf rund 5,3 Tonnen CO2. Wenn diese Tendenz weiter so anhält, hätten wir unser persönliches Emis­sionsbudget bis 2027 verbraucht. Ein Grund mehr, weshalb der Klimaforscher vom Ausbau der privaten E-Mobilität abrät. Bei einer durchschnittlichen Emis­sionsrate von 26 Tonnen, die bei der Herstellung eines Elektroautos zustande kommt, würde man schon beim Kauf sein gesamtes Lebensbudget verbraucht haben. Kasers Devise lautet deshalb: „Noch vorhandene Emissionsbudgets müssen genutzt werden, um damit eine emissionsfreie Zukunft zu bauen!“ Ein Konzept, das weltweit schon heute einige Städte und Regionen verfolgen. Als Vorreiter in Europa nennt Kaser die Stadt Kopenhagen, die in ihrer Städteentwicklung bereits wesentliche Akzente setzt. „Je früher wir beginnen Emissionen zu verringern, umso länger reicht das Klimabudget aus.“, erklärt Kaser.
Um uns im Burggrafenamt in Zukunft vor möglichen Hitzewellen zu schützen, empfiehlt der Klimawissenschaftler pragmatisch 50 % der Auwälder im Etschtal zu renaturieren. Insgesamt müsste aber auch unser aller Energiekonsum auf die Hälfte zurückgeschraubt werden. Das bedeute aber nicht ein Verzicht, sondern die Rückkehr zu einer gesunden Lebensweise. In seinem Fazit bringt Georg Kaser nochmals in aller Deutlichkeit zum Ausdruck: Es brauche in allen gesellschaftlichen Bereichen ein radikales Umdenken. Ein knappes Handlungsfester sei noch offen, um das 1,5°C Ziel zu erreichen. Aufs Gutewohl zu hoffen, das könne er sich als Klimaforscher nicht mehr leisten. Er sei aber davon überzeugt, dass, wenn wir als Gesellschaft die Nachhaltigkeitsziele der WHO ernst nehmen, wir mit ziemlicher Sicherheit langfristig eine globale Besserung bewirken können.