Nadine und Sandra – zwei Streetworkerinnen

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Nadine und Sandra – zwei Streetworkerinnen

Zwei junge Frauen, die sich nur scheinbar am Rand der Gesellschaft bewegen; Frauen, die in der Mitte der Gesellschaft sind, denn sie sind dort, wo unsere Jugend ist, und diese ist immer ein Spiegel unserer Gesellschaft. Aber lassen wir sie selbst zu Wort kommen!

Nadine und Sandra, können Sie uns kurz Ihren beruflichen Werdegang schildern?
Nach dem Abschluss des pädagogischen Gymnasiums und der Fachoberschule für Soziales (FOS) haben wir in Brixen das Ba­chelorstudium in „Sozialer Ar­beit“ bzw. Sozialpädagogik gemacht. Die verschiedenen Aufbaustudien und Praktika haben uns schließlich zu dieser Arbeit geführt.

Es gibt eine sehr große Auswahl an Arbeitsmöglichkeiten im sozialen Bereich, warum dann gerade als Streetworker?
Nach verschiedenen Arbeitserfahrungen, z. B. im Dienst für Abhängigkeitserkrankungen, im Sozialsprengel, aber auch mit Klein- und Grundschulkindern, sowie Jugendlichen haben wir uns für die Arbeit als Streetworkerinnen entschieden. Diese Arbeit hat uns insbesondere aus folgenden Gründen angezogen:
• Weil die jungen Menschen dort aufgesucht werden, wo sie sich aufhalten; sie müssen nicht zu uns kommen.
• Weil es eine sehr niederschwellige Arbeit ist und es in erster Linie darum geht, Kontakt herzustellen, Beziehung und Vertrauen aufzubauen.
• Weil es darum geht, denen, die in unserer leistungsorientierten Gesellschaft nichts wert sind, weil sie augenblicklich nichts „leisten“, das Gefühl zu vermitteln, dass sie wertvoll sind, ohne Wenn und Aber.
• Weil unsere Arbeit als Streetworker auf dem Prinzip der Freiwilligkeit aufgebaut ist, d. h. die Jugendlichen entscheiden selbst, ob sie mit uns in Kontakt treten und eine Beziehung aufbauen wollen oder nicht.

Wie lange gibt es die mobile Jugendarbeit, d. h. die Streetworker bereits im Burggrafenamt und gibt es diesen Dienst auch in anderen Gemeinden Südtirols?
Wir in Meran sind für das gesamte Burggrafenamt zuständig, das sind 26 Gemeinden. Die mobile Jugendarbeit untersteht dem Jugenddienst. Seit siebzehn Jahren gibt es in Meran die Streetworker. In Südtirol gibt es Streetwork bzw. mobile Jugendarbeit auch im Vinschgau, Bozen, Leifers und Lana.

Wo begegnet ihr den Jugendlichen?
Dort, wo sie sich treffen, ganz gleich, ob es ein Park ist oder eine Kneipe, irgendwo an der Passer oder …

Um welche Altersstufe und welche Sprachgruppe handelt es sich bei den jungen Menschen, die ihr begleitet?
Grundsätzlich um die Altersstufe zwischen 15 und 27, wobei sich dies auch immer wieder nach unten und oben verschieben kann. Wir sind offen für Jugendliche aller Sprachgruppen, wobei wir immer mehr auch Kontakt zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben – was in der Linie mit der Entwicklung unserer Gesellschaft steht.

Wie begegnet ihr den Jugendlichen?
Für uns ist es ganz wichtig, dass die Jugendlichen von Anfang an spüren, dass wir nicht da sind, um sie zu kontrollieren, sondern dass wir sie respektieren und schätzen. Nur so kann Vertrauen aufgebaut werden. Dass dies nicht von heute auf morgen geschieht und Zeit und Geduld braucht, gehört dazu. Irgendwann ist es dann soweit, dass wir mit dem einen und anderen gemeinsam seine Situation reflektieren und ihnen Alternativen aufzeigen können. Da wir sehr gut mit anderen Anlaufstellen vernetzt sind, können wir auch – wenn es die Jugendlichen selbst wünschen – sie zu anderen Beratungsstellen begleiten. Verschwiegenheit ist für uns das oberste Gebot und es ist für uns auch in Ordnung, wenn die Jugendlichen uns anfangs nur ihren Spitznamen sagen. Mit dem Vertrauen, das langsam wächst, können nach und nach auch Ängste abgebaut werden.

Nadine Lutz

Sandra Durnwalder

Wenn es sich um Aussteiger und Schulabbrecher handelt, die dann vielleicht in einer Clique ihre Er­satz­familie gefunden haben, wie helft ihr ihnen beim Wiedereinstieg in die Arbeitswelt?
Sobald sie es selbst wollen, geschieht dies in kleinsten und kleinen Schritten, denn dies ist nicht leicht für sie. Wir überlegen mit den Jugendlichen, welche Arbeiten für sie in Frage kommen, was es dafür braucht. Wir unterstützen sie dabei, ihren Lebenslauf zu schreiben, gehen ein Bewerbungs­ge­spräch mit ihnen durch. Sind Jugendliche schon länger aus der Arbeitswelt und dem Schulsystem ausgestiegen, dann müssen oft Pünktlichkeit und Verlässlichkeit wieder gelernt werden. Wir haben hier nebenan in der Otto-Huber-Straße 37 die Arbeitsintegrationswerkstatt (Work-up), wo sie von 9 Uhr bis 12 Uhr oder auch kürzer, falls sie es noch nicht schaf­fen, verschiedene Näh- und handwerkliche Arbeiten verrichten und dafür auch ein Taschengeld erhalten. Bei der Fragsburg haben wir neuerdings auch den „Soulgarden“, einen Garten, wo jene, denen mehr die körperliche Arbeit im Freien liegt, ein tolles Betätigungsfeld erhalten. Dann gibt es auch noch den „social­shop“ in der Aristongalerie, wo unsere Produkte und die anderer sozialer Einrichtungen verkauft werden. Jugendliche, welche bereits im Work-up waren, können hier einen Lehrvertrag erhalten und einen Schritt weiter in die Arbeitswelt wagen.

Wieviel Streetworker seid ihr zurzeit in Meran und wie teilt ihr eure Arbeit ein?
Zurzeit sind wir acht Streetworker und werden durch die Teamleitung unterstützt. Meistens arbeiten wir, wenn andere ihre Freizeit haben oder Feierabend machen, denn dann treffen wir auch die Jugendlichen an. Wir arbeiten alle in Teilzeit und wie man sich denken kann, müssen wir sehr flexibel sein. Grundsätzlich sind wir immer im Zweierteam unterwegs und haben unser Arbeitsgebiet in Zonen aufgeteilt. Dasselbe Zwei­erteam geht immer in dieselbe Zone, damit Vertrauen wachsen kann. Wenn es uns gelingt, jungen Menschen zu helfen, dass sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen, selbst die Verantwortung übernehmen, sind dies für uns die schönsten Erfolgserlebnisse.

Der Socialshop in der Aristongalerie in Meran

Jugendarbeit mobil: „Wir kommen dorthin, wo die Jugend ist“

Wie werdet ihr von der „bürgerlichen Gesellschaft“ gesehen?
Wir werden manchmal gerufen, wenn Jugendliche irgendwo Radau machen, Müll hinterlassen oder allgemein durch ihr Verhalten „stören“. Oft besteht da die Erwartungshaltung, dass durch unsere Anwesenheit unmittelbar Ruhe und Ordnung wiedergestellt wird. Aber dies geht in unserer Arbeit nie durch Knopfdruck. Beziehungsarbeit braucht Zeit. Schafft ein Jugendlicher den Weg der Veränderung, dann kann die gesamte Gesellschaft davon profitieren. Dann gibt es auch Menschen, die unsere Arbeit sehr wertschätzen und große Sensibilität dafür haben – nicht zuletzt die Jugendlichen selbst.

Ihr seid dort, wo Offenheit, Achtung, Vertrauen in das Gute in jedem besonders gefragt sind. Danke dafür! Sicher gäbe es noch viele Fragen. Einstweilen danke für das Gespräch und die vielen neuen Erkenntnisse! Euch und dem gesamten Team noch viel Erfolg für eure schöne und sicher nicht immer einfache Arbeit!