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Wie kann der Staat unsere Zukunft sichern?

Neue Normalität: Digitalisierung, Klimawandel und soziale Gerechtigkeit

Das Virus hat die Welt erschüttert. Es hat Millionen Menschen getötet, Finanzsysteme an ihre Grenzen gebracht, Gesundheitssysteme und Regierungen schwer getroffen. Wir erleben radikale Ver­änderungen, die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft ist real, die Technisierung erfasst alle Lebensbereiche. Wie muss Politik „re(a)gieren“, damit wir Zukunft haben? Die Frage muss gestellt und beantwortet werden! Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war! „Ist es nicht die alte Normalität, die uns den beklagenswerten Zustand, in dem wir stecken, beschert hat?“, fragt Roland Psenner. „Unsere heutige Welt beruht auf einem Geschäftsmodell der Ausbeutung“ und ob uns die Technologie aus der Misere retten könne, wie Politik und Wissenschaft hoffen, dafür gebe es keine Garantie. Der Präsident von Eurac Research nimmt kein Blatt vor den Mund und klagt an: Unser Modell habe versagt!
Was ist zu tun, damit nicht alles zusammenbricht? Und vor allem: Was muss die Politik tun, damit sie nicht gänzlich das Vertrauen der Bürger verliert? Darüber diskutierten kürzlich an der Eurac in Bozen der ehemalige Regionenminister und PD-Politiker Andrea Boccia mit der ehemaligen deutsche Bundesministerin für Justiz sowie Wirtschaft und Energie, Brigitte Zypries, Landehauptmann Arno Kompatscher, Soziallandesrätin Waltraud Deeg und dem Experten für Verwaltungsmanagement Kurt Promberger.

Beginn einer neuen Geschichte
190 Milliarden Euro erhält Italien von der Europäischen Union für den Wiederaufbau. Der Staat steckt noch einige Gelder dazu und so stehen rund 222 Milliarden Euro zur Verfügung. Südtirol kann über 2 Milliarden Euro bekommen. Viel Geld sieht der „Recovery Plan“ für Italien vor. Die Digitalisierung steht an erster Stelle, gefolgt von der ökologischen Transformation. Vom „Beginn einer neuen Geschichte“ sprach Boccia und: „Nie mehr dürfen wir das Gesundheitswesen und die Ausbildung derart vernachlässigen wie in den vergangenen Jahrzehnten!“. Italien stehe vor einem Paradigmenwechsel, die gemeinsame Verschuldung würde Europa stärken und die Nationen zusammenführen.

Schafft Digitalisierung soziale Gerechtigkeit?
Die Digitalisierung betrifft vor allem die öffentliche Verwaltung. Italien stehe nicht so schlecht da, sogar im Vergleich mit Deutschland, Südtirol kann sich noch mehr freuen: Von digitalen Kindergarten- und Schuleinschreibungen sei man in Deutschland noch weit entfernt, bedauerte Zypries. Digitalisierung müsse sich aber rechnen, dem Bürger eine wirkliche Er­leichterung bieten, zu lange seien die Dienstleistungen an den Bürgern vernachlässigt worden, mahnte Prof. Promberger. Landeshauptmann Kompatscher plädierte für mehr Vertrauen untereinander, mehr Subsidiarität, Nachhaltigkeit, soziale Nachhaltigkeit, wie es der ehemalige Minister Boccia noch besser formulierte.

Ungleichheiten, Klimawandel und alternde Gesellschaft
Vielleicht hätten das Publikum im Saal der Eurac und die rund 200 online Zugeschalteten etwas mehr Sensibilisierung für soziale Ungerechtigkeiten erwartet. Umso mehr stellt sich die Frage, warum wir uns darüber nicht alle einig sind. Etwa bei der Frage, warum die Wirtschaft wächst, die Beschäftigung steigt – aber die Löhne stillstehen. Selbst in Ländern, in denen Unternehmen Mühe haben, Mitarbeiter zu finden, bleiben die Einkommenszuwächse bescheiden. Warum eigentlich? Gänzlich ausgespart wurde die Problematik der alternden Gesellschaft: Welche Zu­kunft haben pflegebedürftige Menschen in den kommenden Jahr­zehnten? Wie sieht es mit dem sogenannten Generationenvertrag aus? Das Unbehagen also bleibt, Digitalisierung und schöne Worte zur Nachhaltigkeit können da auch nichts ändern. In der Pandemie erleben wir, wie uns die Digitalisierung durch die Krise hilft. „Uns“ sind aber eben nicht „wir alle“. Wer schon vor der Pandemie dem Digitalen nicht gewachsen war, der ist jetzt umso mehr von der digitalen und damit sozialen Kluft be­droht. Die digitalen Möglichkeiten müssen für jeden Menschen verfügbar, bezahlbar und nutzbar sein. Wir brauchen digitale Infrastrukturen die gemeinwohl-, statt nur gewinnorientiert sind.

Wünsche an die Zukunft
In den kommenden zehn Jahren werden unsere Gesellschaften durch den Klimawandel und die da­durch entstehenden Fragen der Ressourcenverteilung und Gerechtigkeit geprägt werden. Hinzu kommen die anhaltenden Veränderungen durch Digitalisierung, Automatisierung und Künst­liche Intelligenz. Eine wünschenswerte Zukunft wäre eine, in der wir den Balanceakt zwischen dem immer größer werdenden Individualismus mit gemeinschaftlichen Interessen hinbekommen. Eine Zu­kunft, in der wir digitale Medien nutzen, um Empathie zu stärken, statt uns in Blasen abzuschotten. Eine Zukunft, in der wir digitale Technologien nutzen können, um die Ressourcenverteilung fairer zu gestalten, statt, wie es gerade bei Krypto-Währungen der Fall zu sein scheint, neue, kapital-fokussierte Eliten zu stärken.