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Geschichte eines Bildes

Von der Unterzeichnung des Pariser Abkommens vor 75 Jahren gibt es keine Bilder.

Unsere Vorstellungen von der Vergangenheit sind durch Bilder geprägt. Besondere Persönlichkeiten der Geschichte, Ereignisse, Personen, Orte sind als Bilder zugegen. Eines dieser Bilder ist der Handschlag des österreichischen Außenministers Karl Gruber und des italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi vor 75 Jahren. Das Bild ist im heurigen Jubiläumsjahr allgegenwärtig. Der Vertrag wurde vor 75 Jahren am 5. September in Paris unterzeichnet. Er gilt als Grundbaustein der Autonomie Südtirols. Wenn ein geschichtliches Ereignis eine so große Bedeutung annimmt, wird es zum Gegenstand regelmäßiger Gedenkfeiern. „Und damit wir uns ein solches historisches Ereignis vergegenwärtigen können, brauchen wir Abbildungen, die uns das Ereignis näherbringen, es für uns konkreter und verständlicher machen“, sagt Andrea Di Michele. „Das Pariser Abkommen von 1946 wird häufig mit diesem Bild von Gruber und De Gasperi verbunden. In Wirklichkeit wurde dieses Foto fünfeinhalb Jahre später in Rom aufgenommen, anlässlich der Unterzeichnung des italienisch-österreichischen Kulturabkommens“, so der Historiker und Dozent an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen. Denn: Von der Unterzeichnung des Pariser Abkommens gibt es keine Bilder!
Es war und ist leicht, mit Bildern zu argumentieren und sie nachträglich zu verändern, und noch einfacher scheint dies im digitalen Zeitalter zu sein. Historisch betrachtet sind also Fake-News kein neues Phänomen: Sie stehen in einer Reihe mit irrtümlich oder gezielt verbreiteten „Zeitungsenten“, Gerüchten und Propaganda. Eines der berühmtesten Bilder, das verfälscht wurde, ist die Postkarte von Lenin mit Leo Kamenev und Leo Trotzki auf dem Swerlos-Platz in Moskau. Das Foto entstand anlässlich einer Rede Lenins vor sowjetischen Soldaten am 5. Mai 1920. Als die beiden Abweichler später unter Stalin in Ungnade fielen, wurden sie kurzerhand herausretuschiert. Aus Sicht des Regimes war das ein legitimer, ja geradezu notwendiger Akt: Lenin galt es zu verehren, doch nicht jene Mitstreiter der Revolution, die nunmehr als Verräter galten, aber im Bild durch die Nähe zum Revolutionshelden ebenfalls geehrt worden wären. Zweifellos war dies eine Bildmanipulation, und sie zeigt, wie wichtig dieses Bild genommen wurde und auch noch wird.
Auch wenn sich die technischen Voraussetzungen seit den Zeiten der Sowjetunion stark verändert haben, werden diese Methoden nach wie vor gerne angewandt. Mit Photoshop dauert so etwas nur ein paar Minuten. Nicht verwunderlich also, dass es auch viele aktuelle Beispiele von manipulierten Fotos gibt. Vielleicht sollten wir Bildern und das, was sie (vermeintlich) zeigen und zu beweisen vermögen, mit etwas mehr Vorbehalt begegnen.