New Deal
18. Februar 2021
Die Unterdrückten
18. Februar 2021
Alle anzeigen

Franz Xaver oder Franz Anton?

Manchmal ist es gar nicht so einfach, über eine Straße zu schreiben. Zwar ist es in den allermeisten Fällen eindeutig, wem die Straße gewidmet wurde – aber eben nur in den allermeisten. Nicht so in diesem Fall. Protokoll einer Spurensuche.

Würde ich vor der Wigald-Boning-Allee stehen, wäre die Frage nach dem Namengeber leicht zu beantworten. Natürlich wäre der deutsche Komödiant gemeint. Viele Wigalde gibt es wahrlich nicht. Eine Maria-Mair-Straße in Südtirol hingegen wäre schon eine Herausforderung. In etwa dazwischen liegt der Franz-Pöder-Weg in Tscherms. Als ich die Recherchen begonnen hatte, gab es keine Zweifel. Doch je mehr Informatio­nen sich zusammentragen ließen, desto unklarer wurde das Bild. Wer war nun dieser Franz Pöder, nach dem man in Tscherms einen Weg benannt hatte? Weder einschlägige Bücher, noch das schein­bar allwissende Internet oder Telefonate mit Tschermsern klärten mich auf. Aber es musste eine Antwort geben. Schauen wir uns zunächst an, wer in Frage kommt.

Kandidat Nr. 1
Am 4. Dezember 1779 wurde Franz Xaver Pöder auf dem Gratschhof in Tscherms geboren. Seine Eltern waren die Bauern Franz Pöder und Rosina Werner. Der Vater starb früh, die Mutter musste neun Kinder alleine aufziehen. Da Franz, der einzige Sohn, die schwächliche Konstitution seines Vaters geerbt hatte, sollte er eine geistliche Laufbahn einschlagen. Nach Studium und Priesterweihe galt der Schule seine Aufmerksamkeit. Als Inspektor war ihm der Lerneifer der Schüler ebenso wichtig wie Förderung und Belohnung engagierter Lehrer, wofür er eigene Fonds eingerichtet hatte. An seinem Ein­satz änderte auch nichts die Ernennung zum Pfarrer von Marling und später von Algund – wo die Mittelschule seinen Namen erhielt. Als die Mutter einen mittellosen Taubstummen aufnahm, brachte er diesem und in Folge vielen anderen das Lesen und Schreiben bei. Die Errichtung der ersten Tiroler Taubstummenschule in Brixen 1830, von ihm mit Nachdruck gefordert, erlebte er nicht mehr. Er war bereits 1826 im Alter von 47 Jahren an der Auszehrung gestorben.

Kandidat Nr. 2
Am 25. Oktober 1842 wurde Franz Anton Pöder in Tscherms geboren. Seine Eltern waren die Wirtsleute Franz Pöder und Anna Leiter. Franz jun. übernahm den Löwenwirt und heiratete 1869 die Wirtstochter Elisabeth Waldner – seine Eltern waren beide schon verstorben. Im Gemeinderat von Marling sammelte er erste politische Erfahrungen. Als 1892 die Trennung von Tscherms und Mar­ling angestrebt wurde, gehörte er zu den treibenden Kräften. Fünf Jahre später war es soweit. 1897 wurde aus der bisherigen Marlinger Fraktion eine selbständige Gemeinde und Franz Pöder zum ersten Bürgermeister von Tscherms. In seiner Amtszeit bis 1903 gab es eine Menge aufzubauen. Gleichzeitig war er auch als Familienvater gefordert. Bei seinem gleichnamigen Sohn wurde „Schwachsinn“ diagnostiziert, ei­ne damals übliche Bezeichnung für Intelligenzminderung, und so musste er erneut die Vormundschaft („Curatel“) übernehmen. 1924 verstarb er vier Tage nach seinem 82. Geburtstag als zweifacher Witwer und wurde an Allerheiligen beigesetzt.

Die Lösung?
Beide Tschermser hätten sich eine Straße verdient: der allseits geschätzte Priester ebenso wie der tatkräftige Gemeindevorsteher. Nach langem Suchen kam, trotz fehlendem Gemeinderatsbeschluss zur Benennung, über drei Ecken endlich etwas Licht ins Dunkel – zugunsten des Bürgermeisters. Dieser hatte sich besonders für den Straßenbau und die Erweiterung des Verkehrsnetzes eingesetzt und war auch nach seiner Zeit als Vorsteher in der Gemeindepolitik aktiv. Zudem schweigt die Chronik der Pfarrei. Hätte man den Weg nach dem Geistlichen benannt, wäre dies sicherlich erwähnt worden. Aber die Straße bleibt ohnehin in der Familie: Franz Anton ist der Groß­neffe 2. Grades von Franz Xaver.

Christian Zelger