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Tirol nach Corona

In Dorf Tirol hat sich seit der Coronakrise einiges geändert. Die Herausforderungen sind größer geworden. Im Tourismus will Dorf Tirol noch mehr auf Nachhaltigkeit setzen. Ein Gespräch mit Bürgermeister Erich Ratschiller.

Herr Bürgermeister, was beschäftigt Sie in Zeiten von Corona am meisten?

Bürgermeister Erich Ratschiller

Ich denke, wir werden uns jetzt alle an eine neue Realität gewöhnen müssen, mit der wir in Zukunft leben werden. Die gegenwärtige Coronakrise hat unser soziales Leben sehr stark verändert, das ist auch bei uns in der Gemeinde so. Im Wesentlichen sind es drei Bereiche, die uns als Verwaltung zurzeit vorwiegend beschäftigen. Das ist zum einen die Unsicherheit darüber, wie sich die aktuelle Lage weiterentwickeln wird und welche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus noch folgen werden. Zweitens leidet die Wirtschaft in Tirol massiv unter den Folgen von Co­rona, nachdem sich der Tourismus in unserer Gemeinde in den vergangenen Jahren als eine solide Säule etabliert hatte. Drittens stellt uns der Bereich der Schule und Kinderbetreuung vor eine große Herausforderung. Der Verein für Kinderspielplätze und Erholung (VKE), der sich bei uns um die Sommerkinderbetreuung kümmert, und die Kindertagesstätte der Tagesmütter haben zum Glück eine Möglichkeit gefunden, die wichtigsten Erfordernisse dennoch weiterführen zu können. Was den geregelten Schulbe­trieb im Herbst anbelangt, können wir aber noch nichts Konkre­tes sagen.

Wie wird die Kinderbetreuung in diesem Sommer sein?
Im Prinzip sieht es so aus, dass die Gruppen in diesem Jahr kleiner und zeitlich versetzt sind. Die Kinderbetreuung war in Tirol immer wieder ein besonderes Erlebnis mit Ausflügen, Schwimmen, Besuch von Höfen usw. In diesem Jahr gilt die Devise, größere Ansammlungen von Kindern zu vermeiden. Das ist nicht ganz einfach, aber ich denke, dass es den Betreuern gelingen wird, das diesjährige Angebot an die neuen Voraussetzungen anzupassen.

In Tirol wurde in den letzten Jahren sehr viel investiert und gebaut. Wie sehen Sie diese Bautätigkeit nun?
Was die Bautätigkeit in der Gemeinde anbelangt, meinen Bürger immer wieder, sie sei von oben gesteuert. Sie haben insofern recht, da der gesetzliche Rahmen be­stimmt, wie viel in Südtirol gebaut werden darf. Durch die hohe Nachfrage in den vergangenen Jahren wurde auch viel gebaut. Angesichts der aktuellen Situation und der Unsicherheit warten nun viele Betriebe zu. Wir haben in Tirol jedoch auch einige Betriebe, die trotz allem bauen möchten.

Was motivierte zum Investieren?
Die Investitionen sind allen voran vom Konkurrenzdenken gesteuert worden, weil jeder versucht hat seinen Betrieb auf das Maximum aufzustocken, um dem Gast dasselbe bieten zu können wie der Nachbar. Hinzu kann ein Betrieb mit einem guten Angebot auch die Preise dementsprechend gestalten. Eine wesentliche Anregung kam aber auch von Seiten der Steuergesetzgebung. Statt Steuern zu zahlen, versuchte man durch Investitionen und entsprechende Abschreibungen Steuerzahlungen zu verringern.

Wie stehen Sie persönlich zu diesem Vorgehen?
Ob diese Vorgehensweise die Maxime sein kann, möchte ich einmal so stehen lassen. Man hat in Tirol schon gesehen, dass es so auf die Dauer nicht mehr weitergehen kann, und nun ist es zu dieser abrupten Bremse gekommen. Als Bürgermeister sehe ich diese Zeit gleichzeitig als Chance, neue Schwerpunkte im Tourismus zu setzen, um in Zukunft wieder mehr Wert auf Nachhaltigkeit und die Stärken und Werte unseres Dorfes zu legen. Im Gegensatz zu Orten, wo wirklich das hausinterne Angebot notwendig ist, um die Gäste zu halten, haben wir in Tirol erstens ein schönes Dorfbild, sehr „rührige“ Vereine und eine besondere Atmosphäre. Hinzu kommt unser Hinterland, der Naturpark Texelgruppe mit der im gesamten Alpenraum höchsten Bergseenplatte. Mit diesen Qualitäten könnte es uns im Tourismus gelingen, diese notwendige Kurskorrektur in Zukunft vorzunehmen.

Inwieweit hat die Gemeinde die Möglichkeit, auf Bautätigkeiten Einfluss zu nehmen?
Als Gemeinde hat man nur ein beschränktes Steuerungsinstrument. Im Tourismus gibt es hierzu das Landes-Tourismusgesetz, das den Rahmen vorgibt. Als Verwaltung können wir dann nur noch kontrollieren, ob das Bauvorhaben diesen Vorgaben entspricht und punktuell Einfluss auf die Bauweise nehmen. Aber das grundsätzliche Baurecht kann einem bauwilligen Bürger Seitens der Gemeinde nicht verwehrt wer­den.

Die Corona-Testreihen, die in Tirol stattgefunden haben, waren ein großer Erfolg. Mehr als 1500 Bürger hatten sich daran beteiligt. Dabei ist herausgekommen, dass weniger als 1% der Bevölkerung in Kontakt mit Corona war.
Auch wenn nun viele glauben, Corona sei überstanden, ist die Realität der Pandemie nach wie vor ernst zu nehmen. Wir haben die Serologischen Tests deshalb veranlasst, da sich im Dorf viele Gerüchte und Theorien um Corona verbreitet hatten. Man ging in Tirol von 6 oder 8 % der Bevölkerung aus, die mit dem Virus in Kontakt waren. Um die eigentliche Zahl tappte man komplett im Dunkeln. Das primäre Ziel der Testreihen war es, eine fundierte Ist-Situation zu erhalten. Nachdem auch unsere Ärzte von einer Schätzung zwischen 5 und 8 % ausgegangen waren, war man über das Endergebnis doch sehr überrascht. Genau diese 1 % der Bevölkerung standen beim Lockdown unter Quarantäne.

Welche Bedeutung hat dieses Ergebnis für das Image des Dorfes?
Nachdem vor allem im Tourismus viele Gäste Angst haben, sich beim Urlaub in Italien anzustecken, können wir als Gemeinde beruhigt sagen, dass von uns aus keine akute Ansteckungsgefahr ausgeht. Es sei denn, das Virus wird aus dem Ausland ins Dorf getragen.

Wie sieht die Buchungslage aktuell für den Sommer 2020 aus?
Im Moment sieht der Sommer noch sehr schwach aus, allerdings höre ich, dass die Buchungslage unterschiedlich ist. Recht gut sollen zurzeit die Betriebe mit Urlaub auf dem Bauernhof und Appartements gebucht sein. Größere Hotels tun sich schwer. Das liegt zum einen daran, dass eine große Anzahl an Gästen heuer einfach wegfällt, zum anderen, dass Betriebe mit einer größeren Kapazität nicht öffnen können, wenn nicht eine gewisse Mindestanzahl an Fixbuchungen und Deckung garantiert ist.

Sie kandidieren im September wieder für das Bürgermeisteramt. Wie haben Sie die vergangenen 5 Jahre erlebt?
Die letzten 5 Jahre haben mir gezeigt, dass man als Bürgermeister sehr viel bewegen kann. Als Verwaltung haben wir viele bedeutende Aktionen getätigt, insbesondere in der Kultur. Dabei ist hervorzuheben, dass wir in dieser Zeit keine neuen Darlehen aufgenommen haben. Außerdem habe ich noch sehr viele interessante Vorhaben im Kopf, die für die Zukunft wegweisend sein können. Eines davon ist es Strukturen zu schaffen, durch die es uns gelingen kann, uns als Urlaubs­ziel in Zukunft besser zu positio­nieren.

Welche Gegenkandidaten werden im Herbst gegen Sie antreten? Zurzeit gibt es keine andere Kandidaten. Das gibt mir auf der einen Seite Sicherheit, auf der anderen würde ein Wettbewerb den Gemeinderatswahlen gut tun. Wir werden sehen.

Wie steht es um das ehemalige „Johanneum“?
Rein technisch ist das „Johanneum“ eine öffentliche Zone mit privatem Interesse, das bedeutet, dass sich die Eigentümer immer mit der Gemeinde über die Zukunft des historisch wertvollen Baus absprechen müssen, und diese ist laut Vertrag klar definiert. Das Einzige, was man heute sagen kann, ist, dass das ursprünglich geplante Projekt mangels Interessenten nicht realisiert werden konnte. Aktuell ist die Situation jene, dass es einen neuen Interessenten gibt und der Abschluss bevorsteht. Im Zuge dessen soll die Immobilie auch übertragen werden. Näheres dazu darf ich noch nicht sagen. Es ist jedenfalls ein sehr vielversprechendes Vorhaben, das in den nächsten Monaten vorgestellt wird. Es geht immer noch um Altenbetreuung, jedoch wird es ein Zusatzangebot geben, das für die Gemeinde Tirol durchwegs einen Mehrwert bieten kann.

Hätte man vorhersehen können, dass das ursprüngliche Konzept eines luxuriösen Altenwohnheimes unrealistisch war?
Ich denke, man ist vor 10 Jahren schlichtweg von ganz anderen Voraussetzungen ausgegangen. Ein großes Handicap des Projektes war und ist eine sehr hohe Investitionssumme, die dafür bereitgestellt werden muss. Diese muss sich dann aber auch mit entsprechenden Einnahmen decken. Es gibt immer noch Befürworter einer, wie ursprünglich vorgesehen luxuriösen Altenbetreuungseinrichtung. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass es diese Zielgruppe mehr in die Stadt zieht, wo sie weniger abgelegen und nicht an private oder öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.

Ein weiteres Thema ist der Ausbau des Radnetzes und die Förderung von grüner Mobilität. Was wurde in Tirol bislang unternommen?
In punkto grüne Mobilität haben wir zwei Radrouten ausgewiesen, die bereits in Betrieb sind. Das sind zum einen die Route über den Gnaidweg, zum anderen die Strecke über Zenoburg-Segenbühel. Außerdem werden wir nun eine Studie in Auftrag geben, um zu klären, wie wir uns an das übergemeindliche Radnetz anschließen können. Wir haben als Gemeinde schon eine Idee, die technisch überprüft werden muss. Sobald wir dafür grünes Licht haben, werden wir dieses Projekt umsetzen. Wir haben auch die Gestaltung einer neuen Elektroladestation in Auftrag gegeben. Sollte es in Zukunft zur Realisierung der Standseilbahn nach Dorf Tirol kommen, wären im Dorf insbesondere ausschließlich Elektrobusse angedacht, welche die gesamte Mobilität abwickeln sollen. An der Bergstation wäre außerdem ein Radverleih geplant, sodass man künftig mit Bahn, Bus, zu Fuß oder dem Rad ins Dorf gelangen kann.

von Philipp Genetti