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Die 30.-April-Straße in Meran

Die 30.-April-Straße in Meran erinnert an eine Tragödie zu Kriegsende

Der Algunder Historiker Christian Zelger stellt in dieser Rubrik Straßen und ihre Geschichte vor. Den Beginn macht die 30.-April-Straße. In der ehemaligen Burggrafenstraße schossen am 30. April 1945 SS-Soldaten auf wehrlose Bürger.

Eine Gedenktafel am Stadttheater nennt die vielen Opfer des Massakers von 1945

Hinter mir fließt die Passer, ich lehne mich an das typische gusseiserne Geländer und stehe nicht allzu weit entfernt von der evangelischen Christuskirche, dort, wo 1884 ein Teilstück des bekannten Meraner Flanierweges „Stephanie-Promenade“ getauft wurde. Heute verwendet diese Bezeichnung wohl niemand mehr. Sie ist dem etwas weniger glamourösen Namen „Untere Kurpromenade“ gewichen.
Meran war seit Mitte des 19. Jahrhunderts mondäner Kurort und etablierte sich neben dem böhmischen Karlsbad und dem französischen Nizza als Treffpunkt der Wohlhabenden und Schönen. Adel und Großbürgertum schätzten das milde, mediterrane Klima, die Molkekuren im Frühjahr und die Trauben im Herbst. Erzherzogin Stephanie, Witwe des österreichischen Thronfolgers Rudolf, beehrte Meran immer wieder mit längeren und kürzeren Besuchen und wurde dafür am Lauf der Passer werbewirksam verewigt. „Wenn im Herbste unsere Curgäste wieder kommen[,] werden sie unsere Straßen, Gassen und Plätze völlig umgetauft wieder finden“, schrieb eine Lokalzeitung am 4. Juli 1884.

Wo einst die Burggrafenstraße lag, die sich direkt vor mir befindet, verläuft heute die 30.-April-Straße. Von Bäumen umsäumt und vollgeparkt führt sie über mehrere Kreuzungen, vorbei an der wunderbar restaurierten Musikschule, dem ehemaligen Hotel „Stadt München“, bis zur Meinhardstraße. Auch der Begründer des Landesfürstentums Tirol bekam „seine“ Straße erst 1884. Ein Meinhard, Graf von Tirol, passte einfach besser ins Kurstadtbild als eine simple Klostergasse, wie die Straße vorher hieß.

Das Massaker
Als am 30. April 1945 in Meran das Gerücht die Runde machte, der Albtraum des Krieges sei endlich zu Ende, hängten italienischsprachige Meraner die Tri­kolore aus ihren Fenstern. We­nige Tage zuvor waren die letzten oberitalienischen Städte durch die Partisanen der „Resistenza“ befreit worden. In Meran kam es zu zwei spontanen Umzügen durch das Zentrum. Die Men­schen banden sich die italienischen Farben um den Arm und wollten den langersehnten Frie­den feiern. Doch noch streiften deutsche Soldaten und SS-Män­ner durch die Stadt.
Zu­nächst schauten sie der friedlichen Demonstration nur zu, begannen dann aber – auch aufgehetzt durch Zivilisten auf den Bal­konen der umliegenden Häu­ser – das Feuer zu eröffnen und auf die Unbewaffneten zu schießen. Ob acht, neun, zehn oder sogar dreizehn Menschen getötet wurden, darüber streiten sich die Historiker. Die Gedenk­ta­fel am Meraner Stadttheater, links neben dem Eingang, nennt zehn Namen: unter ihnen Otello Neri und der erst achtjährige Pao­lo Cas­tagna. Als der Junge eine liegen gebliebene Flagge aufhob, wurde auf ihn geschossen und er starb wenig später. Neri hatte die Arme zum Zeichen der Ergebung bereits erhoben. Auch er fand keine Gnade.
Darüber hinaus wurden etwa zwanzig Menschen verletzt, elf davon schwer. Unter ihnen befand sich der damals neunzehnjährige Pietro Lonardi, der am Boden liegend von Passanten weiter misshandelt wurde. Obwohl ihm ein Bein amputiert werden musste, fand er nach dem Krieg den Weg zurück in ein normales Leben, war Familienvater und in der Meraner Gemeindepolitik engagiert. Vor drei Jahren starb er als letzter Überlebender der Ereignisse im Alter von 91 Jahren. Lonardi hegte zeitlebens keine Rachegedanken gegen seine Peiniger: Hass sollte nicht mit Hass vergolten werden.

Christian Zelger