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Das Johanneum

Eine Kultstätte der geistlichen Bildung in Südtirol und erhaltenswertes Baudenkmal der Jahrhundertwende dämmert verlassen in Dorf Tirol im Zeitenschlaf.

Wie hemmungslos sich der vorauseilende Zeitgeist unserer Jahrzehnte auf ein charismatisches Bildungswerk auswirken kann, können wir an diesem Kultobjekt mit Unverständnis verfolgen. Wie ein schlafender Monolith liegt das monumentale Bauwerk des ehemaligen Priesterseminars Johanneum da – sich selbst überlassen seit bald zwei Jahrzehnten, ohne Inhalt, ohne Leben – die ländliche Umgebung von Dorf Tirol immer noch prägend durch seine Silhouette, wie seit über 100 Jahren.

Msgr. Peter Holzner, Gründer des Johanneums in Dorf Tirol 1928

Die löblichen Ursprünge
Am Beginn stand das Seraphische Liebeswerk, das Kinderhilfswerk des Gesamttiroler Kapuzinerordens. Einer ihrer wichtigen Mentoren, der bayrische Kapuzinerpater Cyprian Fröhlich, der in seinem segensreichen Dasein zahlreiche Kinder-Liebeswerke im deutschen Sprachraum entstehen ließ, war der Initiator dieses umfangreichen Bauwerks für den guten Zweck namens St.-FidelisHaus in Tirol. Aufgrund reichlicher Spenden von Kaiser und Klerus konnten die führenden Baumeister Musch und Lun, bekannt durch namhafte Großbauten wie das Meraner Kurhaus, Grandhotels Emma und Karerpass, damit betraut werden. In drei Jahren Bauzeit, mit zeitweisem Großeinsatz von 130 bis 180 Bauarbeitern vor Ort, wurde das großzügige viergeschossige Bauvolumen im Stil des späten Historismus samt geräumiger Kirche fertiggestellt und 1911 übergeben.
Das Liebeswerk bot 150 bedürftigen Kindern und Lehrlingen Schule, Ausbildung und ein Zuhause, betreut von über 20 Kreuzschwestern. Jedoch hatte das Kinderhilfswerk nicht lange Bestand. Durch Kriegswirren und Umwidmung durch die Weltkriege und Faschismus wurde der geordnete Ablauf im St.-Fidelis-Haus empfindlich gestört. 50 Räume mussten für verwundete Soldaten als Notlazarett herhalten, am Boden in der Kirche reihten sich die Strohsäcke für das Notlager. Die Kinder in Obhut wurden meist in Familienpflege bei guten Bekannten oder in anderen Heimen untergebracht. Um 1928 drohte gar die Auflösung des Tiroler Liebeswerkes in seiner ursprünglichen Form, worauf die bischöfliche Diözese auf Befürwortung des Fürstbischofs Endrici von Trient das Liebeswerk in Tirol in Pacht übernahm, mit dem Ziel der Errichtung eines bischöflichen Pries­terseminars samt Konvikt und kirchlicher Privatschule. Ermöglicht wurde dies aufgrund der Lateranverträge, und 1949 ging das Tiroler Liebeswerk im Zuge von Besitzregelungen ins Eigentum der Diözese über. Es wurde fortan zum bischöflichen Seminar Johanneum Tirol – im Ehrengedenken an Fürstbischof Johann Nepomuk von Tschiderer, welcher bereits 1840 in Bozen und später in Meran Priesterseminare gleichen Namens gegründet hatte.

Die Bedeutung der geistlichen Konvikte für die Bildung
Neben dem vorrangigen Ziel der Theologieausbildung haben die geistlichen Seminare und Schulen im Lande zweifellos für das Bildungswesen in Südtirol im 20. Jh. Bedeutendes geleistet. Augustiner, Benedikiner, Franziskaner, Kapuziner, Deutschorden und Klosterschwestern haben stets selbstlos neben ihrem Glauben auch Bildung und Pflege ganzer Generationen vorangebracht – ihnen sei Gottes Dank. So kann das Bischöfliche Seminar Johanneum Tirol über 70 Jahre lang als schulische Erziehungs-Kultstätte benannt werden, wo über Tausend junge Menschen gelebt und gelernt haben. Bis zu 250 Jugendliche wurden Jahr für Jahr auf ein Leben in Eigenständigkeit vorbereitet. Dutzende spätere führende Persönlichkeiten in Gesellschaft oder Politik haben hier ihre Wur­zeln erhalten. Eine Reihe legendärer geistlicher wie weltlicher Pädagogen im Johanneum haben darauf nachdrücklich eingewirkt. Das Seminar hat sich in schulischen, erzieherischen Richtlinien wie auch in der Heimordnung im Lauf der Jahrzehnte angepasst; diverse Um- und Zubauten waren vonnöten wie der Professorentrakt, Versammlungsräume, Turn-­ und Theatersaal, der Sportplatz mit Fußballfeld, die Kirchenrenovierung, Garagen. 1968 erfolgte die staatliche Anerkennung der Studienabschlüsse für Einheitsmittelschule und Humanistisches Gymnasium im Johanneum, dessen Seminarbelegung voll ausgelastet ist. 10 Jahre später die 50-Jahr-Feier mit verhaltenem Jubel, zumal die Schülerzahlen von Jahr zu Jahr rückläufig sind. Gleichzeitig die Gründung der Johanniter, eine Vereinigung von Absolventen, 360 an der Zahl, deren Anliegen der kulturelle Aus­tausch untereinander – insbesondere aber der persönliche Einsatz, auch mittels Spendenerhebung, für den Fortbestand des Johanneums ist.

Seminarschließung und Verkauf
1997 beschloss die Bischöfliche Diözesanleitung die Schließung der kirchlichen Mittel- und Oberschule im Johanneum – aus Ratio­nalitätsgründen. Als Bischöfliches Knabenseminar blieb das Heim noch vier Jahre bestehen – selbst der beherzte Einsatz der Johanniter konnte den Exodus 2001 nicht abwenden. Leider fand sich auch in den Folgejahren keine für das besondere Objekt passende öffentliche Verwendung mit sozialem Hintergrund, welcher ebenso wie Erhaltung des denkmalgeschützten Bauwerks festgeschrieben ist. Aufgrund der Planvorlage zur Umgestaltung des Johanneumgebäudes in ein Seniorenwohnheim stimmte das Ökonomat der Diözese 2009 dem Verkauf des Kulturobjektes an private Bauträger zu – wohl ein verhängnisvoller Akt.
Seither herrscht eingezäunter Still­stand – es riecht nach Bauspekulation – das ehrwürdige Kulturdenkmal verfällt zusehends zum Leidwesen vieler Menschen.

von Jörg Bauer