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11. Dezember 2018
18. Dezember 2018
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Weihnachten

Hand aufs Herz: Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass
Weihnachten zum größten Konsumfest geworden ist? Dazu kommt noch,
dass es wohl keine Zeit im Jahr gibt, die emotional derart aufgeladen ist.
Das Heile-Welt-Idyll ist für viele Menschen nicht leicht zu verkraften.

Hinzu kommt eine Jahres-End-Bilanz. Da kommt vieles auf einmal zusammen. Selten werden Menschen so unmittelbar mit ihrer Einsamkeit konfrontiert wie in diesen Tagen. Manche wollen das Fest gar nicht mehr erleben, ziehen sich zurück. Die Suizidrate steigt erheblich. Nicht jedem ist an Weihnachten und zum Jahreswechsel zum Feiern zumute. Die Trauer um geliebte Personen, Ungeklärtes in der Partnerschaft oder Familie, schmerzhafte Gefühle von Verlassenheit und Enttäuschung, aber auch Zukunftsängste bedrücken in dieser Zeit oft besonders stark. Die Telefonseelsorge der Caritas ist zu Weihnachten rund um die Uhr besetzt. Ein Gespräch kann helfen.

Der Bedarf zu reden ist vor allem in der Advent- und Weihnachtszeit groß.
„Scheiß“ Weihnachten… In vielen Familien ist das so. Man versucht etwas zusammenzuhalten, was es eigentlich nicht mehr gibt. Spielt ein Spiel, das innerlich bereits abge­pfiffen ist. Weihnachten auf der Palliativstation, auf der Intensivstation, am Sterbebett… ist kaum auszuhalten, in so trostlosen Momenten gerade am Fest der Liebe und des Lebens. Weihnachten auf der Straße, ohne Dach über dem Kopf, Weihnachten, wenn man gerade seinen Job, einen geliebten Menschen verloren hat… da kommt alles hoch.

Schon lange vor Weihnachten beginnt ein gigantisches Trommelfeuer der Kon­sum­güter­industrie. Muss es wirklich ein iPad für den Sohn sein und ein 500-Euro-Kaffeevollautomat für die Frau? Von adventlicher Besinnlichkeit ist in den Geschäftsmeilen nichts zu spüren, die Hektik ist mit Händen zu greifen. Von „Weihnachtsstress“ sprechen die Fachleute. Dass die meisten Menschen dabei schlechte Laune bekommen, ist nachvollziehbar. Und dann der 24. Dezember: wenn an diesem mit größter Emotionalität besetzten Tag Dinge hochkochen, die sonst nie besprochen und geklärt worden sind, sind der Festtag und die Tage danach noch schlimmer als die Zeit davor. Wenn wir es nicht besser wüssten, könnte man fast meinen, es stehe eine Naturkatastrophe bevor. Ein Wirbelsturm namens Weihnachten, drei Tage im Stück ohne offene Läden, nur mit der Familie.
Zum Glück gibt es Christkindlmärkte und X-mas-Partys landauf, landab.

Was ist nur los mit Weihnachten? Vielleicht sollten wir Weihnachten anders verstehen lernen: Dann geht es um ein Licht, das in der Dunkelheit erscheint. Nicht ein Licht, das wir uns selbst anzünden, sondern ein Licht, das von außen kommt. Weihnachten erinnert an die Geburt eines verletzlichen Kindes, kein Superstar kommt auf die Welt, sondern ein armes Kind in einer Krippe. Es kommt in den Futtertrog zwischen Ochs und Esel, ist nicht auf Rosen gebettet. Weihnachten war schon damals kein Idyll, die Fa­milie war kein Idyll. In den ganzen „Scheiß“ dieser Welt hinein hat Gott seinen Sohn gelegt. Es ist die Geschichte von der Ge­burt Jesu und nicht eine Holly­wood-Kitsch-Romanze eines Ideals fernab vom Durcheinander unseres Lebens.

 

„Eine geweihte Nacht für uns“

Christine Gostner, Theologin

Die „BAZ“ sprach mit der Theologin und Oberschullehrerin Christine Gostner Tirler über die Bedeutung von Weihnachten, die Konsumkultur und was jeder selbst dazu beitragen kann, damit Weihnachten zur „geweihten Nacht“ für ihn selbst wird.
Weihnachten ist eines der größten Feste im Jahreskalender. Dazu muss man gar nicht religiös sein. Werden wir heute aber dem eigentlichen Sinn des Festes noch gerecht?
Christine Gostner Tirler: Ich glaube, Feste können nur gefeiert werden, wenn sie ins Leben integriert sind – und das heißt auch, dass sie sich und ihren Sinn mit unserem Leben ändern können. Ich bin sicher, dass jeder von uns, der sich ernsthaft fragen lässt, seinen weihnachtlichen Sinn für heuer finden kann, und damit kann von einer Ankunft des Eigentlichen sehr wohl die Rede sein.

Der religiöse Gedanke gleich mehrerer Feste verschwindet zusehends. So wurden aus Allerheiligen Halloween, aus dem Nikolaustag die Krampusläufe, aus dem Osterfest eine Woche zum Schnell-mal-Wegfliegen. Was besagt das über unsere Zeit und Gesellschaft?
In meinen Augen heißt das, dass versucht wird, aus allem und jedem wirtschaftlichen Profit herauszuschlagen. Es liegt an jedem von uns persönlich, ob wir uns das gefallen lassen oder nicht.

Manche Menschen fürchten sich vor den großen Festtagen. Die Suizidrate steigt zu Weihnachten signifikant. Was läuft da falsch?
Viele Menschen haben ihren sozialen Halt verloren. Das merken sie besonders zu den „Familienfesten“. Das Problem liegt nicht am Fest Weihnachten, sondern im ganzen Jahr daran, dass wir gerne an anderen Menschen vorbei gehen und uns in unserer Geschäftigkeit ablenken. Zu den großen Festen fallen dann einige auf einmal in ein großes, emotionales Loch.

Im Weihnachtsevangelium ist von der Geburt Jesu in einer Notunterkunft die Rede, von armen Leuten, von einer Flucht ins Ausland, von Verfolgung und Asyl. Sehr aktuell ist diese biblische Botschaft zu Weihnachten, aber verstehen wir sie denn noch?
Klarer als in den Weihnachtserzählungen kann diese Botschaft nicht sein. Es liegt an uns, hinzuhören. Belügen kann man sich immer.

„Weihnachten ist als eine Befreiungsbotschaft für das Leben der Menschen zu verstehen, Weihnachtsfreude ist die stärkste Medizin gegen den Virus des Na­tionalismus, der Fremden­feindlichkeit und des re­ligiösen Fanatismus“, sagt der Theologe und Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford Strom. Sehen Sie das auch so?
Ja, das sehe ich auch so. Jemand, der in der Menschennähe Gottes Freude findet, ist meiner Meinung nach gegen alle Viren der Einsamkeit geimpft – ob das jetzt Fremdenhass oder Verbitterung oder Selbstzweifel sind!

Weihnachten ist für viele anstrengend, eine Quelle des Stresses. Und man schwört sich, dass es das letzte Mal so sein wird. „Nächstes Weihnachten fliege ich weg…“ Wie kann man diesem Druck, der auf einem liegt, entkommen?
Indem man bewusst die Zeit des Wartens im Advent begeht. Warten heißt Innehalten. Es wäre gut, sich jeden Tag eine viertel Stunde Zeit zu nehmen, um alle Aktivitäten einzustellen, sich einfach hinzusetzen, sich mit einem Text oder einer Kerze zu beschäftigen und die Fragen aufkommen zu lassen, die auftauchen. Wenn man viel zu tun hat, sollte es eine halbe Stunde sein…

Worum geht es also bei Weihnachten? Wie haben wir heute Weihnachten zu verstehen? Was kann es uns im Durcheinander des Lebens noch geben?
Es geht um uns. Es ist eine geweihte Nacht für uns. Es ist für mich manchmal ein wertvoller Gedanke, wenn ich mich in dieser besonderen Heiligen Nacht frage, was uns Menschen – jeden von uns – heilig macht.

 

„Viele haben Angst vor Weihnachten“

Silvia Moser von der Telefonseelsorge

Ein Gespräch mit der Leiterin der Caritas-Telefonseelsorge Silvia Moser
Die Telefonseelsorge der Caritas ist für Menschen in Krisen und belastenden Lebenssituationen da. Am Telefon oder online können sich Betroffene ihren Kummer von der Seele reden oder schreiben. Das befreit. Die rund 75 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas stehen zur Seite, wenn es darum geht, Wege aus oft schwierigen Situationen zu finden. Anonymität hat höchste Priorität, und absolute Verschwiegenheit gehört zu den Grundpfeilern des Dienstes. Silvia Moser leitet die Caritas Telefonseelsorge. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit und die Weihnachtszeit, die vielen Menschen Angst macht.

Frau Moser, warum braucht es die Telefonseelsorge?
Silvia Moser: Krisen und Konflikte halten sich nicht an Bürozeiten öffentlicher oder privater Einrichtungen, sondern treten vielfach gerade nachts, an Wochenenden und emotionsgeladenen Feiertagen, wie es eben auch Weihnachten und Jahreswechsel sind, auf. Durch unsere Erreichbarkeit rund um die Uhr, an jedem Tag des Jahres, können wir genau diese Lücke füllen. Wir sind da. Immer. Und dank Telefon oder Computer bzw. Smartphone sind wir zudem auch ohne organisatorischen Aufwand von jedem Ort aus erreichbar – und völlig anonym. Anrufende müssen ihren Namen nicht nennen, Ratsuchende, die sich online melden, tun dies über ein geschütztes Webportal unter Zuhilfenahme eines Benutzernamens und persönlichen Passwortes.

Wenn Sie auf Ihre Arbeit zurückblicken: Wie hat sich die Telefonseelsorge im Laufe der Zeit weiterentwickelt?
Waren es im ersten Jahr unseres Bestehens genau 1000 Anrufe, die uns damals erreicht haben, so waren es in den letzten Jahren an die 10.000 Kontakte im Jahr. Neben dem zunehmend steigenden Bekanntheitsgrad unseres Dienstes hängt es aus unserer Sicht auch mit den gewachsenen Herausforderungen, die das Leben an den Einzelnen stellt, zusammen. So artikulieren Menschen heute stärker als in den ersten Jahren Situa­tionen von Überforderung, Sinn­verlust, Existenzangst oder sprechen auch Belastungen durch psychische Erkrankungen an. Einen großen Schritt haben wir vor erst wenigen Wochen getan: Mit unserem neuen Angebot der Telefonseelsorge-Onlineberatung sind wir nun auch gern schriftlich für all jene Menschen da, die uns lieber schreiben, als uns anrufen wollen.

Wer ruft bei der Telefonseelsorge an?
Es sind Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen, die sich an uns wenden. Dabei fällt auf, dass es zu etwa 70 % Menschen im mittleren Lebensalter, schätzungsweise zwischen 35 und 60 Jahren sind. Davon waren im vergangenen Jahr 65 % Frauen und 35 % Männer, wobei in den Jahren zuvor auch schon mal fast gleich viele Männer wie Frauen angerufen haben. Vor allem aber sind es mutige Menschen, die sich eingestehen, dass die Inanspruchnahme von Begleitung in einer schwierigen Lebenslage eine Chan­ce sein kann.

Welche besonderen Probleme und Fragen thematisieren Menschen?
Hauptthema in der Telefonseelsorge und roter Faden seit unserem Bestehen ist das große Thema der Einsamkeit, das oft sehr schwer in Worte zu fassen ist. Und es sind nicht nur die Menschen, die äußerlich alleine leben, sondern gerade auch jene Menschen, die sich mitten im Leben „daneben“, unverstanden und einsam fühlen. Aber auch Beziehungskrisen, Trauer nach Tod und Verlust von lieben Menschen oder auch Lebenssituationen oder psychische Erkrankung spielen eine große Rolle in unseren Gesprächen. Unsere ersten Erfahrungen in der Onlineberatung zeigen, dass sich dort auch viele Menschen melden, die sich ihre Belastungen durch Gewalt und auch Missbrauch von der Seele schreiben, und Menschen, die uns ihre Suizidgedanken anvertrauen, um einen Ausweg zu finden.

Wie verläuft ein Gespräch?
Das Wichtigste ist für uns: Wir sind da! Und zwar ganz. Wir versuchen, aufmerksam und auch mit all dem, was wir in unserer Ausbildung gelernt haben, hinzuhören auf das, was der Anrufende uns anvertraut. All das geschieht in der Haltung einer großen Achtsamkeit und im unbedingten Respekt vor der Würde eines jeden Menschen. In dieser zugewandten Begleitung können sich dann neue Wege oder nächste Schritte auftun. Oder es werden in Situationen von Überforderung mehr Klarheit, Entlastung oder auch einfach ein Durchatmen möglich, die Kraft bringen, um den Alltag wieder besser angehen zu können.

Stimmt es, dass zu Weihnachten die brisantesten Anrufe Sie erreichen?
Diese Tage vor und rund um Weihnachten sind tatsächlich eine Zeit, in der sich Menschen verstärkt an uns wenden. Es sind dies häufig Menschen, die sich in ganz grundlegenden Orientierungskrisen befinden, die gerade eine Trennungssituation durchleben oder einen lieben Menschen durch Tod verabschieden mussten oder die auf Grund einer körperlichen oder seelischen Krank­heit fürchten, einer ungewissen Zukunft entgegensehen zu müssen. Je glitzernder und „wunderschöner“ Weihnachten – auch medial – vermarktet wird, desto mehr fühlen sie sich vom Leben ausgeschlossen und enden nicht selten in Gefühlen von Versagen, Minderwertigkeit und Verzweiflung. Die emotionale Aufgeladenheit dieser Tage – aus meiner Sicht fern der eigentlichen Botschaft von Weihnachten – birgt weiters auch ein hohes Konfliktpotenzial innerhalb von Familien und Beziehungen. Ungelöste Konflikte, der hohe Erwartungsdruck an das Fest, das Wegfallen des Halt gebenden Alltags führen auch dazu, dass Menschen sich an uns wenden, die Rat in einer Streit- oder Konfliktsituation suchen. Und immer wieder bestätigt es sich: Reden hilft.

Caritas-Telefonseelsorge
Unter der Grünen Nummer
840 000481 ist rund um die Uhr (auch an Sonn- und Feiertagen) oder online unter www.telefonseelsorge-online.bz.it (Erstantwort innerhalb von 48 Stunden) ein fundiert ausgebildeter Gesprächs- oder Schreibpartner erreichbar.

 

von Josef Prantl