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Der Bürgerhaushaushalt

Erstmals 1989 in der brasilianischen Stadt Porto Alegre realisiert, hat sich der Bürgerhaushalt mittlerweile weltweit zu einem Instrument von Bürgerbeteiligung entwickelt. In Südtirol hat bisher nur eine Gemeinde den Schritt gewagt: Mals.

Hunderte von Gemeinden, darunter auch einige Großstädte, machen heute in Europa von dieser Möglichkeit direkter Bürger­be­teiligung Gebrauch. Bekannt ist das Städt­chen Grottammare in den Marken, aber auch Großstädte wie Sevilla und Córdoba, Brad­ford und Darmstadt sowie Stadtbezirke von Berlin, Rom und Paris wenden den Bürger­haushalt an. Wie der Begriff schon besagt, geht es darum, dass sich die Bürgerinnen und Bürger direkt an der Aufstellung des Gemeindehaushalts beteiligen. „Wenn es ums Geld geht, wird Politik konkret. Der Haus­halts­plan wirkt aber auf viele kompliziert und unübersichtlich“, schreibt Ulrich Veith in der Informationsbroschüre zum Malser Bürgerhaushalt 2018. In Wirklichkeit ist er aber nur das Tätigkeitsprogramm der Ge­mein­de in Zahlen ausgedrückt. Mit dem Konzept des Bürgerhaushalts sind konkret alle Bürgerinnen und Bürger eingeladen, ihre Ideen für die Gemeindeausgaben einzubringen. Gemeinsam werden diese Vor­schläge diskutiert und mit demokratischem Verfahren nach Prioritäten geordnet. Vor­aus­setzung für das Gelingen ist die aktive Be­teiligung der Bürgerinnen und Bürger und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Haushalt, weiß der Malser Bürgermeister.
Für die Obervinschger Gemeinde ist es heuer bereits der dritte Bürgerhaushalt. 2017 wurde erstmals ein Bürgerhaushalt erstellt. Damals wurden 33 Projekte von Bürgern vorgelegt, 10 davon wurden umgesetzt. 200.000 Euro aus dem Gemeindehaushalt wurden dafür verwendet. Hunderte Malser nutzten damals die Chance und gaben ihre Stimme ab. Mitglieder des Gemeinderats und des Gemeindeausschusses dürfen keine Vorschläge einbringen, gleichfalls nicht Vereine und Interessenverbände. Die Er­fah­rung zeigt: Beteiligungshaushalte und Bür­gerbeteiligung müssen politisch ernsthaft gewollt und handwerklich gut gemacht werden, um erfolgreich zu sein. „Der politische Wille ist der zentrale Erfolgsfaktor, der Rest folgt daraus“, sagt Ulrich Veith.

Die Kernphasen
Zuerst steht die Information: Bürgerinnen und Bürger werden durch Öffentlich­keits­arbeit über den Gemeinde­haushalt ausführlich informiert und für den Bürgerhaushalt mobilisiert. Es folgt die Beteiligung: Alle können ihre eigenen Ideen und Prioritäten einbringen, ob nun als „Berater“, indem sie ihre Vorschläge an Politik und Verwaltung adressieren, oder als „Entscheider“ über ein konkretes Budget. Zentrales Element neben der Einbringung von eigenen Ideen ist der öffentliche Diskurs, zum Beispiel bei Ver­samm­lungen oder übers Internet. Schluss­end­lich wird Rechenschaft abgelegt: Die Ergebnisse der Beteiligungsphase werden der Gemeinschaft mitgeteilt und es wird transparent begründet, welche Ideen der Bürger umgesetzt oder nicht umgesetzt wurden.

Die Vorteile
Bürgerhaushalte schaffen Transparenz über die Verwendung öffentlicher Mittel. Trans­parenz stärkt das Vertrauen der Menschen in die Politik. Sie lernen die Komplexität kommunaler Finanzen kennen. Informierte Bürger können Entscheidungen der Politik besser nachvollziehen und abwägen. Bürger, die über einen Bürgerhaushalt ihre Ge­mein­de, ihre Stadt aktiv mitgestalten können, identifizieren sich damit. Durch die Be­tei­li­gung lernen sie mehr über demokratische Prozesse und warum ihre Stimme wichtig ist. Politisches Interesse und Engagement werden so gesteigert. Zudem sind Bürgerwissen und Bürgerideen eine wertvolle Ergänzung zu den Fachkenntnissen der Verwaltung. Sie helfen der Verwaltung auch Maßnahmen zu priorisieren. Bür­ger­haushalte werden so zu einem Mittel zur Mo­dernisierung der Ver­waltung. Diese kann dann besser auf die Bedürfnisse der Bürger eingehen. Informierte und beteiligte Bürger verstehen, dass die Res­sourcen begrenzt und die Wünsche in der Be­völkerung vielfältig sind. Bürgerhaushalte tragen auch zur Le­gi­timation politischer Ent­scheidungen bei. Nur ein Politiker, der die Anliegen der Bürger kennt, kann seine demokratische Funktion als Volksvertreter erfüllen. Bürger­haus­halte stärken dadurch die repräsentative Demo­kratie.

Die Kritik
Bürgerhaushalte seien Scheinbeteiligungen, entgegnen die Kritiker. Die Bürger könnten zwar Vorschläge machen, aber letztendlich doch nicht entscheiden. Die Politik lasse die Bürger den Job machen, der eigentlich der ihre ist. Außerdem mache eh nur eine kleine Minderheit von nicht repräsentativen Bür­gern mit. Lobbyismus sei vorprogrammiert, denn die mitmachenden Bürger verfolgen Eigeninteressen, nicht das Gemein­wohl. Bürgerhaushalte seien zudem zu zeitaufwändig und zu teuer, vor allem in Zeiten leerer Kassen. Die Bürger könnten sich auch ohne Bürgerhaushalt in Parteien und Verbänden engagieren und Anträge stellen. Viele seien außerdem nicht qualifiziert genug, um sinnvolle Vorschläge zu machen. Dafür sei die Haushaltsplanung zu komplex. Bür­ger­haus­halte tendieren auch dazu, Wunsch­konzerte zu werden und falsche Erwartungen zu wecken. Umso größer ist dann die Ent­täu­schung, wenn diese Wünsche nicht erfüllt werden können.

 

„Menschen haben ein gutes Gespür für das, was wichtig ist!“

Die Obervinschger Marktgemeinde Mals hat im heurigen Jahr zum dritten Mal einen sogenannten Bürgerhaushalt erstellt. Im September fand die erste Bürgerversammlung für den Bürgerhaushalt 2019 statt. Wir sprachen mit Bürgermeister Ulrich Veith über seine Erfahrungen, die Schwierigkeiten und auch kritischen Stimmen zum Bürgerhaushalt.

Herr Bürgermeister, wie steht es um den Malser Bürgerhaushalt 2018?
Ulrich Veith: Die Projekte aus dem Bürgerhaushalt 2018 sind zurzeit in Umsetzung. Einige von ihnen sind bereits realisiert und sichtbar.

Ulrich Veith

Sie sind 2017 damit gestartet, als erste Gemeinde Südtirols. Wie kamen Sie auf diese Idee überhaupt?
Auf die Idee kamen wir bereits im Jahr 2011, als wir die Verordnung zur Bürgerbeteiligung überarbeitet haben. Bereits damals haben wir uns das Ziel gesetzt, einen Bürgerhaushalt einzuführen. Dieses Instrument der Bürgerbeteiligung ist in Südtirol neu. Aus diesem Grund haben wir uns Unterstützung von Experten geholt. Dies waren Thomas Benedikter, Armin Bernhard und Josef Gruber. In der Arbeitsgruppe haben als Vertreter des Gemeinderats Marion Januth, Anna Waldner und Andreas Bernhart mitgearbeitet.

Der Bürgerhaushalt ist keine bloß einmalige Volksabstimmung oder Umfrage, sondern ein auf Dauer angelegtes, genau geregeltes Verfahren. Können Sie uns das näher erläutern?
Der Bürgerhaushalt besteht aus mehreren Phasen. In der ersten Phase erklären wir den Bürgerinnen und Bürgern den Haushalt und das Instrument des Bürgerhaushalts. Anschließend kann jede Bürgerin und jeder Bürger Vorschläge einbringen. Diese werden dann von einer Kommission geprüft. Fällt der Vorschlag in die Zuständigkeit der Gemeinde, stellt sich die Frage, ob er technisch umsetzbar und finanzierbar ist. Wenn diese Fragen mit Ja beantwortet werden können, wird der Vorschlag zugelassen. Dann werden die Projekte in einer Bürgerversammlung von den Einbringern vorgestellt. Jede Wahlberechtigte (Mindestalter: 16 Jahre) kann dann in einer geheimen Wahl fünf Projekte auswählen. Das Erstgereihte erhält 5 Punkte, das zweite 4, das dritte 3, das vierte 2 und das fünfte noch einen Punkt. Nach Ablauf des Termins werden die Stimmzettel ausgezählt und es wird eine Rangliste erstellt. Alle Projekte bis zu einer Gesamtsumme von 200.000 Euro pro Jahr werden in den Haushalt 2019 eingebaut. Für die Umsetzung wird je nach Größe des Projektes eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Eine Vertretung des Gemeinderates und die Einbringerin bzw. der Einbringer sind immer Teil der Gruppe.

Was nützt ein Bürgerhaushalt, wenn eine Gemeinde ohnehin knapp bei Kasse ist?
Wenn Mittel begrenzt sind, ist es immer eine Frage der Prioritäten. Für die Summe von 200.000 Euro legt die Bevölkerung diese über den Bürgerhaushalt direkt fest. Wir gewählte Vertreter schätzen das und verschieben bei Notwendigkeit Projekte, die wir geplant haben, nach hinten.

Ein Haushalt gehört so zum Schwierigsten, was ein Bürger zu verstehen hat. Ihn zu kennen, ist aber Voraussetzung für den Bürgerhaushalt. Überfordern Sie da die Menschen nicht?
Der Haushalt einer öffentlichen Verwaltung ist in der Tat sehr komplex. Mit dem Bürgerhaushalt bringen wir diesen dem Menschen wieder näher. Wir bekommen die Chance, ihn zu erklären, und Menschen beschäftigen sich mit ihm. Die Politik macht oft den Fehler und unterschätzt die Menschen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Bürgerinnen und Bürger ein sehr gutes Gespür für wichtige und dringende Projekte haben.
Kommen wir zur rechtlichen Seite. Die Bereiche Haushalt und Steuern sind in Italien eigentlich von Referendumsrechten ausgeschlossen. Warum trifft dies nicht auch auf den Bürgerhaushalt zu?
In der Tat kann die Bevölkerung nicht direkt über den Haushalt verfügen. Die endgültige Entscheidung liegt auch, was den Bürgerhaushalt betrifft, beim Gemeinderat. Wir haben uns selbst dazu verpflichtet, die Vorschläge aus dem Bürgerhaushalt ohne weitere Diskussion in den Haushalt einzubauen. Die Wähler können also direkt entscheiden, ohne dass der Gemeinderat dann noch korrigierend eingreift.

Trier, Bonn und möglicherweise Frankfurt am Main wandeln ihre Bürgerhaushalte in ganzjährige Beteiligungsverfahren um. Sind ganzjährige Verfahren nicht die bessere Alternative?
Wir machen beides. Der Bürgerhaushalt ist eine Ergänzung zu den ganzjährigen Verfahren. Im Laufe des Jahres setzen wir wichtige Projekte immer mit Hilfe von Arbeitsgruppen um. Das hat sich bewährt. Bürger/innen bringen, unterstützt von Experten und Vertretern des Gemeinderats, Ideen und Vorschläge ein. Sie übernehmen dadurch auch Verantwortung für die umgesetzten Projekte. Auch werden Bedenken bereits in der Vorbereitungsphase berücksichtigt. Somit wird die Umsetzung effizienter und das Ergebnis war bis heute immer besser als geplant.

Der Malser Bürgerhaushalt 2019 steht in Ausarbeitung. Was erwarten Sie sich?
Es sind auch heuer wieder sehr gute und nachhaltige Ideen und Projektvorschläge eingegangen. In der Abstimmung haben es dann sieben geschafft. In der Sitzung des Gemeinderats vom 18. Dezember 2018 werden wir die benötigten Mittel in den Haushalt 2019 einbauen. Mit der Umsetzung beginnen wir dann gleich im Januar. Besonders gefreut hat mich, dass heuer eine Projektidee aus zwei der kleinsten Fraktionen (70 Einwohner) gewonnen hat. Das zeigt, dass die Wähler/innen sehr solidarisch und weitsichtig sind, wenn es darum geht, eine gute Idee zu unterstützen und Menschen in kleinen Dörfern das Leben zu erleichtern.

 

Was denken die Bürgermeister im Bezirk?
Die „BAZ“ hat die Bürgermeister im Bezirk Burggrafenamt um eine Stellungnahme zum Bürgerhaushalt gebeten: Wie denken Sie darüber? Wäre das auch etwas für Ihre Gemeinde? Dass nur 3 Bürgermeister geantwortet haben, stimmt nachdenklich.
Schennas Bürgermeister Luis Kröll schreibt dazu:

Schennas Bürgermeister Alois Kröll

„Ich erachte es als sehr wichtig, die Bürgerinnen und Bürger zur Entwicklung der Gemeinde mit einzubeziehen. Dies muss nicht über die Erstellung eines Bürgerhaushaltes geschehen; zielführender sehe ich den ständigen Kontakt mit allen Organisationen und interessierten Menschen im Dorf. Als Gemeindeverwalter ist es sehr wichtig, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sich am Dialog zur Weiterentwicklung der Gemeinde beteiligen. Die Ergebnisse aus diesen Maßnahmen erstellen praktisch den Haushalt einer Gemeinde nach Prioritäten. Diese sollen in Absprache mit der Bevölkerung von den demokratisch gewählten Gemeindeverwaltern gesetzt werden.“

Ausführlich geht Marlings Bürgermeister Walter Mairhofer auf die BAZ-Anfrage ein:

Marlings BM Walter Mairhofer

„Der Haushaltsplan ist sicherlich jedes Jahr eine besondere Herausforderung, sowohl für die Gemeindeverwalter als auch für den Gemeinderat. In der Gemeinde Marling haben wir zwar nicht explizit den Bürgerhaushalt vorgesehen, wir orientieren uns jedoch bei der Erstellung an dessen wesentlichen Prinzipien. Das ganze Jahr über sammeln vor allem die Verwalter die Ideen, Vorschläge, Problembereiche, Änderungswünsche usw. der verschiedenen Gremien, Institutionen und auch Bürger. Der Gemeinderat erhält somit wichtige Anregungen, wie die öffentlichen Gelder am besten in die Haushaltsplanung eingebaut werden können. In regelmäßigen Abständen versuchen wir dann eine Art Prioritätenliste zu erstellen, um einen groben Investitionsplan für einige Jahre im Voraus zu erhalten. Dieser wird natürlich noch in der Fraktion besprochen und den betroffenen Organisationen vorgestellt. Zusätzlich erhalten die Bürger bei der alljährlich stattfindenden Bürgerversammlung einen Überblick, welche Vorhaben im abgelaufenen Jahr realisiert wurden und welche für das kommende Jahr bzw. die kommenden Jahre geplant sind. Dadurch ist auch eine gewisse Kontrolltätigkeit seitens der Bevölkerung gewährleistet. Diese Bürgerversammlungen sind immer gut besucht, das Interesse ist vorhanden. Natürlich ist die Wunschliste stets größer als die Investitionssumme. Gemeinsam wird entschieden, in welchen Bereichen Abstriche vorgenommen werden müssen. Auf alle Fälle wollen wir stets garantieren, dass nicht ein Bereich der Gewinner ist und andere Bereiche nur abgespeist werden oder sogar leer ausgehen. Wir bauen stets Gelder ein für die großen Bereiche Soziales, Wirtschaft, Jugend, Senioren, Kultur, Sicherheit, Vereinswesen und natürlich viele andere. Außerdem orientiert sich unser langfristiger Haushaltsplan an den Maßnahmen des Leitbildes, welches vor 10 Jahren mit großer Bürgerbeteiligung genehmigt wurde. Es war für 10 Jahre ausgerichtet, wird also in diesem Jahr mehr oder weniger abgeschlossen, wobei eine Toleranz für das Jahr 2019 vorgesehen wurde. Mit den Gemeinderatswahlen von 2020 hat die neue Gemeindeverwaltung wiederum die Möglichkeit, eigene Akzente zu setzen. Schließlich haben die Gemeinderäte zu Beginn der Amtsperiode ein Übersichtsblatt erhalten, welches die weit über 100 Positionen von Einnahmen- bzw. Ausgabenkapiteln enthält mit dem Auftrag, Positionen zu finden, wo eingespart werden könnte oder wo mehr Geld vorgesehen werden müsste. Natürlich mit dem Hinweis, bei Erhöhung der Ausgaben auch parallel aufzuzeigen, wo eingespart werden müsste.“

Lanas Bürgermeister Harald Stauder

Harald Stauder, Bürgermeister von Lana schreibt uns:
„Die Einführung des Bürgerhaushalts in der Gemeinde Lana ist eine Überlegung wert. Bisher haben wir andere Formen der Bür­ger­beteiligung umgesetzt. Die Entscheidung über die Einführung des Bürgerhaushalts liegt in der Hand des Gemeinderats von 2020.“

von Josef Prantl