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Botticelli in Passeier

Nach einem knappen Jahr in Südtirol kehrten die Kunstwerke in Holzkisten, die von Passeirern eigens gezimmert worden waren, nach Florenz zurück Holzkisten, die von Passeirern eigens gezimmert worden waren, nach Florenz zurück

Die Geschichte lieferte Stoff für Hollywood und Verschwörungstheorien. Im Sommer 1944 versteckte der Deutsche Militärische Kunstschutz (eine Abteilung der Deutschen Wehrmacht) Kunstschätze aus Florenz im ehemaligen Gerichtsgebäude von St. Leonhard und im Ansitz Neumelans in Sand in Taufers. Eine Ausstellung von MuseumPasseier geht der Geschichte nun auf den Grund.

Dass der an der Wiener Kunstakademie gescheiterte Braunauer Adolf Hitler der Kunst nicht abgeneigt war, ist bekannt. Plante der spätere Diktator des Dritten Reiches in seiner Lieblingsstadt Linz doch ein Führermuseum, das die Crème de la Crème europäischer Kunst versammeln sollte. Die Entwürfe für das größ­te Museum der Welt stammten aus seiner Hand. Ein Peter Paul Rubens oder Lucas Cranach hätten dem Führer sicher gefallen.
Und so sind wir schon mitten in unserer Geschichte, die im Sommer 1944 in St. Leonhard in Passeier spielt. Deutsche Wehrmacht-Konvois rumpeln durch das Tal, vollbeladen mit Kunstwerken von unvorstellbarem Wert. Hinter den Planen der LKWs verbergen sich – zwischen Stroh und Wolldecken geschützt – Gemälde großer Meister: Botticelli, Rubens, Tizian, Caravaggio, Cranach, um nur einige zu nennen. Das alte Gerichtsgebäude von St. Leonhard hat der Innsbrucker Kunsthistoriker Josef Ringler als geeignetes Depot ausgemacht. Der oberste Denkmalschützer in der Operationszone Al­pen­vorland blickt mit Argusaugen auf die Fracht, die im August 1944 im Dorf ankommt. Seine spätere Frau Ursula dokumentiert mit dem Fotoapparat das bizarre Geschehen. Rund 300 Gemälde, die zum Weltkulturerbe der Mensch­heit gehören, werden von Wehrmacht­soldaten in das verlassene und recht verkommene alte Gerichtsgebäude von St. Leonhard getragen, allesamt aus Florentinischen Museen und Privatsammlungen, allen voran aus den weltberühmten Uffizien. Insgesamt sollen es 37 LKW-Ladungen mit Kunstwerken „hohen und höchsten Ranges“ gewesen sein, die in der Zeit vom 8. August bis 9. September 1944 vom „Deutschen Kunstschutz“ aus der Toskana nach Südtirol verfrachtet worden sind. Um genau zu sein: nach St. Leonhard oder nach Sand in Taufers im Pustertal.

Der amerikanische Kunstschutzoffizier Deane Keller (li.) mit seinem Chauffeur Charles Bernholz

Sonderausstellung im MuseumPasseier
„Uffizi in Passeier“ heißt bezeichnenderweise nun eine Sonderausstellung von MuseumPasseier, die am 22. September in den Kellerräumen des Sandwirts ein Jahr lang zu sehen sein wird. Judith Schwarz hat sich auf Spurensuche gemacht, mit amerikanischen, italienischen und deutschen Archiven Kontakt aufgenommen, Nachfahren der Beteiligten ausfindig gemacht und so alles zusammengetragen, was sich über dieses „unerhörte“ Ereignis finden ließ. „So einige dramatische Kunst­raub-Geschichten wurden darüber schon geschrieben, ein kanadisches Filmteam hat erst kürzlich eine Pseudo-Dokumentation gedreht: Meist sind diese Beiträge reduziert auf die Botschaft: Wir waren die Guten im Kampf gegen Kunstbarbaren“, sagt die Leiterin von MuseumPasseier. „In der Ausstellung zeigen wir, dass dieses Entweder-oder nicht funktioniert, und blenden immer wieder Zweifel und Widersprüche ein“. So werden in der Ausstellung verschiedene Perspektiven beleuchtet: die italienische Sicht, der es wichtig ist, dass die Kunstwerke unbeschadet im Land bleiben; die deutsche Sicht, welche die Verlegung der Kunstschätze mit den Bombardements der Alliierten erklärt, und die amerikanische Perspektive, die in erster Linie von Nazi-Kunstraub spricht. „Uns geht es mit der Ausstellung nicht um die Klärung der Frage, ob es nun Plünderung und Kunstraub waren oder Bergung und Rettung der Kunstwerke“, sagt Albert Pinggera. „Wir möchten die Geschichte aus einer persönlichen Optik erzählen und zum Nachdenken anregen“, betont Pinggera, der für die grafische Gestaltung verantwortlich zeichnet.

Das frisch verheiratete Ehepaar Ursula und Josef Ringler: Er beaufsichtigt die Kunstwerke als Denkmalschutzbeauftragter, sie ist für die Fotodokumentation zuständig

Kunstraub oder Kunstschutz?
Neben St. Leonhard deponierten die Nazis noch in Sand in Taufers Hunderte Kunstwerke aus den Florentinischen Museen, dort vor allem Skulpturen. Waren diese Depots nun Zwischenspeicher organisierten Kunstraubs im Auftrag von Nazis oder ging es in erster Linie um Rettungsmaßnahmen und Schutz der Kunstwerke? Die Historiker beurteilen die Frage bis heute kontrovers. „Deutsche Historiker betonen eher die Rettungsleistung, italienische beklagen mehr den Verlust und amerikanische sprechen von Raub und Beutekunst“, meint Buchautor Heinrich Schwazer.
Mit der Landung der Alliierten in Sizilien am 9. September 1943 besetzte Nazideutschland Italien und erklärte die Provinzen Bozen, Trient und Belluno zur sogenannten „Operationszone Alpenvorland“. Die Grenzregion gehörte zwar noch offiziell zu Italien, war aber unter totaler Kontrolle der NS-Behörden. SS-General Karl Wolff, der für Italien zuständig war, konnte nach dem Krieg daher sowohl gegenüber den Alliierten als auch der italienischen Regierung behaupten, dass der italienische Besitz nie außer Landes gebracht wurde. „Das stimmt im Prinzip auch, gleichzeitig war aber alles fest in deutscher Hand für spätere Verwendung. Wolff konnte sich aber nach Kriegsende als Retter italienischer Kunstschätze aufspielen“, erklärt der Historiker Gerald Steinacher.

Was wusste man in Passeier?
Die Historikerin Eva Pfanzelter hat die Geschichte der Kunstwerke in Südtirol in ihrem Buch „Südtirol unterm Sternenbanner“ kurz zusammengefasst. Was wusste aber die Dorfbevölkerung von dem wertvollen Schatz in ihrem Dorf? „Fotografien dokumentieren, wie beim Entladen mehrere Liernter dabei waren, die das skurrile Geschehen beobachteten“, schmunzelt Schwarz. Ein Propagandafilm, den die Amerikaner bei der Entdeckung des Depots zu Kriegsende drehten, zeigt mehrere Pseirer Gesichter. Im Mai 1945 wurden die Bilder von den US-Behörden sichergestellt und im Juli mit dem Zug in großen Holzkisten nach Florenz zurückgebracht. Bruno Pichler aus St. Leonhard, Jahrgang 1936, durfte sogar einmal in einem US-Transporter nach Meran zum Bahnhof mitfahren, worüber er in der Ausstellung in einem Interview auch berichtet. Bis heute machen die Geschichten um versteckte Nazischätze in Südtirol Schlagzeilen.

Kinder und Greise und einmal sogar eine Kuhherde schauten zu, wie die höchste Kunst enthüllt wurde, berichtet eine Zeitzeugin über die Ankunft der Florentiner Meisterwerke vor dem alten Gerichtsgebäude in St. Leonhard

Was die Kunstwerke betrifft, gibt es penibel genaue Dokumentationen sowohl von deutscher als auch italienischer und amerikanischer Seite. Es klingt schon bi­zarr: Aber vor dem Hintergrund von unvorstellbaren Grausamkeiten, Verfolgung und Entmenschlichung während des Krieges blieb das Gespür für den Wert der geistigen Werte der Menschheit aufrecht – und dies auf allen Seiten. Auch dies möchte die Sonderausstellung „Uffizi in Passeier“ im MuseumPasseier vermitteln, oder wie es ein Zitat am Eingang der Ausstellung beschreibt: Was, wenn wir den Krieg gewinnen, aber 500 Jahre unserer Kulturgeschichte verlieren?

 

 

 

 

 

 

 

 

War es Kunstschutz oder Kunstraub?
Worum geht es bei der Sonderausstellung „Uffizi in Passeier“?
Judith Schwarz: Die Ausstellung handelt von Kunst im Krieg. Sie beleuchtet die umstrittenste Aktion des sogenannten Deutschen Militärischen Kunstschutzes in Italien, als dieser am Ende des Zweiten Weltkrieges ein knappes Jahr Florentiner Kunstwerke in Passeier lagert – Kunstwerke, deren Gesamtwert heute in Milliardenhöhe liegt.

Museumsdirektorin Judith Schwarz mit Ausstellungs-Designer Albert Pinggera

Warum ist Ihnen dieses Kapitel Geschichte wichtig?
Einmal, weil die großartigen Kunstwerke in Florenz für mich einen anderen Stellenwert erhalten, wenn ich sie so unmittelbar mit Passeier in Verbindung bringen kann. Zum anderen finde ich es bemerkenswert, dass diese Episode bis heute als ein Kampf „Gut gegen Böse“ erzählt wird. Vor allem Filmregisseure und Journalisten blenden Widersprüche lieber aus und präsentieren meist die Kunstschutzleute ihrer Nation als Helden und die der anderen als Bösewichte. Mir ist wichtig aufzuzeigen, dass heute teilweise gleich gedacht, gesagt und geschrieben wird, wie es im Zweiten Weltkrieg die Kriegspropaganda vorgab.

Was erwartet die Besucher?
Am spannendsten für Einheimische sind wohl die Film- und Fotoaufnahmen von 1944/45 aus St. Leonhard. Besucher, die sich für den Weltkrieg interessieren, werden an einigen geschichtlichen Delikatessen Freude haben, wie an den verschlüsselten Funksprüchen der Partisanen.
Für Kunstliebhaber kann es spannend sein, dass sich hier lokale Geschichte mit Meisterwerken der Weltgeschichte verstrickt, von denen wir drei in Originalgröße reproduzieren. Und Touristen, speziell Italiener, Deutsche und US-Amerikaner, dürften es interessant finden, dass die dreisprachige Ausstellung auch ihre Geschichte aus dem Blickwinkel der Kunstwerke miterzählt.

 

von Josef Prantl