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Tal der Bäder

Bis zu 2000 Badegäste im Jahr, Unterkünfte für mehr als 100 Pensionsgäste, mehrere Speise- und Tanzsäle, sogar ein Kaffeehaus.
Im 19. Jahrhundert kurte die Hautevolee im urwüchsigen Mitterbad im Ultental. Vor genau 600 Jahren wurde das Heilbad erstmals urkundlich erwähnt.

Ulten wurde zu Recht als Tal der Bäder bezeichnet. Talmuseum-Gründer Gottfried Oberthaler hat dazu ein eigenes Buch geschrieben und berichtet von einst neun Heilbädern im Tal. Das älteste und berühmteste darunter ist Mitterbad bei St. Pankraz.
1418 wird es in einer Tisner Urkunde als „Walcherguet in Ulten in mitern Pad“ erstmals erwähnt. Über Jahrhunderte zieht das heilsame Wasser Menschen mit allerlei Gebrechen an, die hier Genesung erhoffen. 1716 wird eine Kapelle errichtet und den Heilkundigen Cosmas und Damian geweiht. 1823 erwirbt Joseph Holzner das Bad, und jetzt wird es spannend, sollten die Chroniken stimmen.

Eine Liebesgeschichte von welthistorischer Bedeutung
Die Weltgeschichte hätte völlig anders verlaufen können, die Weltkriege verhindert werden und, wer weiß, Deutschland wäre vielleicht gar nie so entstanden, wie es in den Geschichtsbüchern heute nachzulesen ist. Joseph Holzner hatte eine Tochter, sie soll die „schönste und sittsamste“ im ganzen Tal gewesen sein. Und kein Geringerer als Otto von Bismarck, der spätere Reichskanzler, der die Einigung Deutschlands mit „Blut und Eisen“ erzwang, verliebt sich bei seinem Aufenthalt in Mitterbad 1840 als junger Freiherr in dieses Ultner Mädchen unsterblich. Er hält um die Hand von Josepha an, dem potentiellen Schwiegervater gefiel jedoch die Konfession des Protestanten aus dem Norden nicht, und er lehnte ab. Dem Herrn von Bismarck blieb immerhin die Liebe zur Landschaft, einige Jahre später machte er das nahe Meran zum Ziel seiner Hochzeitsreise mit Johanna von Puttkamer.  Eine Inschrift der Schützenkompanie St. Pankraz erinnert heute an den erlauchten Gast, der 1840 und 1843 gleich mehrere Male in Mitterbad weilte.

 

Das beliebteste deutsche Heilbad

Mitterbad 1890

Erlaucht waren die Gäste, die das Sanatorium und Heilbad im 19. Jahrhundert aufsuchten, allemal. Kaiserin Elisabeth und Thronfolger Franz Ferdinand kamen regelmäßig. Im Juli 1901 reisten Thomas Mann und sein Bruder Heinrich für mehrere Wochen nach Mitterbad. Das dürfte auch mit dem weitum bekannten „Natur- und Seelenarzt“ Christoph Hartung von Hartungen zusammenhängen.  Zwei Jahre später baute er in St. Nikolaus das Sanatorium „Hartunghausen“, ganz in Zirbelholz, dessen gesundheitsfördernde Wirkung mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen ist.  Heuer im April hat die Heilpraktikerin und Buchautorin Bernadette Schwienbacher die „Villa Hartungen“ als „Haus für natürliche Gesundheit“ wiederbelebt. Hartung von Hartungen hatte zahlreiche „Promis“ als Patienten. Neben den Mann-Brüdern gehörten die Schriftsteller Franz Kafka, Karl May, Peter Rosegger und Christian Morgenstern sowie der Philosoph Rudolf Steiner, der Maler Franz Defregger, die Schauspielerin und Kaiserfreundin Katharina Schratt, Sigmund Freud, Sebastian Kneipp und zahlreiche Angehörige des europäischen Hochadels dazu. Von Medikamenten hielt der „Natur- und Seelenarzt“ nicht viel. Seine Patienten schickte er einfach an die frische Luft. „Diätische, atmosphärische und hydratische Kuren“ nannte man das seinerzeit. Für die leidende Kundschaft hieß das Wassertreten, morgendliches Duschen unterm Wasserfall und Spaziergänge im nahen Fichtenwald.

 

Mitterbad 1968

Ultner Mineralwasser
Das Wasser im  Mitterbad wurde schon seit jeher als besonders heilkräftig beschrieben. Es wurde eingesetzt als Trinkkur und für Bäder unter anderem gegen Blutarmut, Frauenleiden, Nervenerkrankungen, Verletzungen, Hautkrankheiten und Verdauungsstörungen. Es entspringt in einem Stollen aus Bozner Quarzporphyr, der sich – rund 40 Fußminuten entfernt vom Bad – im Marauntal unweit der geologischen Trennfuge der Judikarienlinie befindet. Aus der Quelle sprudelt laut Landesamt radioaktives, sulfat-, eisen- und mineralhaltiges Wasser, das zudem Aluminium, Arsen, Lithium und Spuren von Chrom und Kupfer enthält. Die Temperatur beträgt 7,8 °C und die Leitfähigkeit 1220 µS/cm. Um 1900 sollen 360.000 Flaschen Mineralwasser abgefüllt worden sein.  In Südtirol sind 32 Mineralwasserquellen anerkannt. Diese Quellen wurden aus einer langen Reihe ausgesucht, die seit alters her für Bauernbäder und Heilanstalten genutzt oder bereits als Mineralwasser abgefüllt und verkauft wurden. Im Ultental sind vier solche Quellen anerkannt: Lotterbad, Mitterbad, Überwasser und Bad Lad.

Postkarte von Mitterbad um 1900

Ein Sommer in Mitterbad
„Es lebt sich gut und erholsam hier. Die Kur­anstalt liegt ganz einsam inmitten einer wirklich prachtvollen Berglandschaft, ein Sturzbach verursacht drunten im Thal ein ungeheuer besänftigendes Geräusch, und man führt das rationellste und auffrischendste Leben, das sich denken läßt. Wir hausen sozusagen nahe den Wolken, manchmal sogar in den Wolken, was doch gewiß romantisch ist.“ Die Zeilen stammen von Thomas Mann, der in einem Brief an seinen Freund Paul Ehrenberg von seinem Aufenthalt in Mitterbad berichtet. Sogar ein elfstrophiges Gedicht schrieb der Autor über seine fünf Wochen im Ultental.

Die Kapelle zu den Heilkundigen Cosmas und Damian

Verfall
Nach dem Ersten Weltkrieg versandete der Ruf des feudalen Sanatoriums. Später übernahmen die Barmherzigen Schwestern Mitterbad und führten es bis in die 1970er Jahre weiter. Dann war Schluss! Heute ist Mitterbad nur noch eine Ruine im Wald. Vom Badhaus, der Villa Waldruhe, dem Kaffeehaus, der Kegelbahn und dem Schießstand sind lediglich Fragmente, abgewetzte Fassaden, brüchige Mauern, zersplitterte Fensterscheiben und Gerümpel zu sehen. Heute erinnert man sich kaum noch an die große Zeit der Heilbäder im Ultental. Nur einige wenige trauern dieser Epoche nach und versuchen den Verfall des für das Ultental so außergewöhnlichen Kulturgutes aufzuhalten.

 

 

Wo die Promis badeten

Lanas ehemaligem Bürgermeister, Historiker und Buchautor Christoph Gufler ist es ein Anliegen, Mitterbad vor dem Verfall zu retten.  Ein Gespräch über Visionen zum Erhalt eines wertvollen Kulturgutes des Ultentals.

Christoph Gufler

Das Ultental und vor allem Mitterbad waren im 19. Jahrhundert so etwas wie ein Treffpunkt für Prominente aus aller Welt. Wie ist es dazu gekommen?
Christoph Gufler: Das hat viel mit der Kurstadt Meran zu tun. Dort trafen sich damals die Reichen und Schönen aus halb Europa. Manche, weil sie im milden Klima des Burggrafenamtes Genesung oder zumindest Linderung ihrer Leiden erwarteten. Andere weil es einfach in war, in Meran zu kuren. Die Herrschaften (und Damschaften) hatten Zeit: Durchschnittliche Aufenthaltsdauer drei Monate! Da war ein Ausflug ins „wildromantische“ Ultental als Abwechslung willkommen.

Die Promis hielten sich auch längere Zeit im Ultner Kurbad auf…
Dass dann auch sehr viele Gäste, darunter namhafte Persönlichkeiten, die heilsamen Wasser des Mitterbades für längere Kuren nutzten, hat mit der jahrhundertealten Tradition dieses Heilbades zu tun, das schon vor 600 Jahren erwähnt wird. Wesentlich zum kometenhaften Aufstieg des Mitterbades beigetragen hat auch Dr. Christoph von Hartungen. Der Natur- und Seelenarzt aus Wien war seinerzeit so etwas wie ein Guru im Gesundheitswesen weit über k.u.k.-Monarchie hinaus. Seine Patienten wären ihm überall hin gefolgt, wohl auch auf den Mond. Dazu kommt, dass das inmitten einer unberührten Natur gelegene Mitterbad mit seinen Heilquellen perfekt der Naturphilosophie des Wunderheilers entsprach.

Heute ist das Bad eine Ruine, nichts erinnert mehr an die guten alten Zeiten. Was war der Grund für diesen Verfall?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Untergang der alten, feudalen Welt nach dem 1. Weltkrieg, wodurch die noble Gästeschicht plötz­lich wegbrach. Als Folge davon wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wohl auch das Fehlen einer charismatischen Persönlichkeit, wie es Hartungen war. Auch in der Medizin beginnt ein neues Zeitalter, bei dem Heilwasser zunächst keine große Rolle mehr spielten. Außerdem hatten die Leute für lange Zeit einfach andere Sorgen. Die beiden Weltkriege und die Diktaturen der Braun- und Schwarzhemden ließen wenig Spielraum für idyllische Kuraufenthalte. Nach 1945 war es schwer, an die alte glorreiche Zeit anzuknüpfen. Zu viel war inzwischen geschehen.

Talmuseums-Gründer Gottfried Oberthaler hat die Bäderkultur Ultentals gut dokumentiert, trotzdem hat sich bis heute niemand gefunden, der den alten Kulturgütern neues Leben einhauchen könnte. Wieso ist das so schwierig?
Heute wäre die Zeit wieder durchaus reif, für eine Renaissance der alten Badekultur. Der lange Zeit ungebrochene Glaube an die Chemie und Technik, die alle Probleme lösen, ist brüchig geworden. Auch in der Medizin gewinnen ganzheitliche Ansätze zunehmend an Bedeutung. Die Heilkräfte der Natur nehmen wieder einen großen Stellenwert im Denken und Sehnen der Menschen ein. Das, was Hartungen vor über hundert Jahren praktiziert hat, den Menschen in den Mittelpunkt  zu stellen und dabei auf selbstheilende Kräfte und jene der Natur zu setzen, das ist wieder unglaublich modern. Vielleicht ist deshalb jetzt der Zeitpunkt gekommen, an die große Geschichte des Mitterbades anzuknüpfen. Dazu braucht es aber nicht nur viel Geld, sondern auch geeignete Persönlichkeiten. Beides ist nicht einfach zu finden.

Was schlagen Sie vor, wie dieses berühmte Heilbad vor dem endgültigen Verfall gerettet werden könnte?
Es geht darum, die sensationelle Geschichte dieses Ortes wieder erlebbar zu machen. Es kann kein Zufall sein, wenn sich 600 Jahre lang Menschen aller Gesellschaftsschichten bis hin zu europäischen Berühmtheiten an einem solchen Ort versammeln. Da muss etwas dahinterstecken. Diese Botschaft zu vermitteln, erscheint mir wichtig. Medienberichte sind dabei hilfreich. Sie sind aber zu wenig. Es bräuchte ein schlüssiges Gesamtkonzept. Ein erster konkreter Schritt könnte ein Natur- und Kulturweg sein, der vom kürzlich von der Gemeinde St. Pankraz angekauften „Häusl am Stein“ nach Mitterbad führt.

von Josef Prantl