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In Sinich

Sinich ist das südlichste Stadtviertel von Meran, seine Entstehungsgeschichte ist einzigartig in Südtirol. 1923 wurde der Standort als ein rein italienisches Siedlungsgebiet für die Fabrikarbeiter des Chemieunternehmens Montecatini entwickelt.

Erst nach dem Kriegsende gewann Sinich durch das neue Urbanistikgesetz in Meran auch für die deutsche Sprachgruppe immer mehr an Attraktivität. Mittlerweile gehört die Mehrsprachigkeit zu Sinich. Mit der ersten gemeinsamen Grundschule, die zurzeit projektiert wird, werden die Sprachgruppen auch noch näher zusammenkommen. Auch als Wirtschaftsstandort hat sich Sinich mittlerweile etabliert, vor allem durch die direkte Anbindung an die Schnellstraße Meran-Bozen.

Sinich vor 1900
Beim Blick auf den Katasterplan von 1858 erkennt man das Gebiet des heutigen Sinich fast nicht wieder. Das Flussbett der Etsch verlief damals ungefähr 600 m nordöstlich des heutigen Fluss­ufers. Hinter dem ehemaligen Gasthaus „Maya“, heute „Römerkeller“, bog die Etsch dann in einer harten Biegung gegen Süden ab. Auch der Naifbach verlief zu jener Zeit noch anders als heute und floss bereits 600 m unterhalb der Mangione-Brücke in die Etsch. Außerdem bestand die Landschaft um den Naifbach bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zum Teil noch aus einem dichten Auwald. Das heutige Siedlungsgebiet in Sinich entstand also erst viel später. Es waren die Jahre um 1923/24, die man als Geburtsstunde des neuen Stadtteils von Meran ansehen kann.

Montecatini und die Entstehung der neuen Siedlung
Nachdem die „Etschwerke“ von Meran und Bozen 1907 die Meraner Stadtverwaltung um die Konzession für die Errichtung einer neuen Stromzentrale in Marling angefragt hatten, interessierte sich das 1888 in Florenz gegründete Chemieunternehmen Montecatini (Società Generale per l’Industria Mineraria e Chimica) für einen Standort in Südtirol. Wie es scheint, wusste man, dass die Alpenregion ausreichend elektrischen Strom für den Betrieb der Maschinen erzeugen würde, umso attraktiver wurde der Standort Meran, als die Stadtverwaltung 1921 die Errichtung der erwähnten Stromzentrale genehmigt hatte. In direkter Anbindung an die Stromversorgung des Elektrowerks in Marling schien das Gebiet in der Nähe des Untermaiser Bahnhofs für die neue Montecatini-Fabrik ideal. Dennoch fasste man wenig später noch das Gebiet um die Postgranz-Straße ins Auge. Als die Bevölkerung jedoch von der Errichtung der Fabrik, unweit des Kurzentrums von Meran, erfuhr, kam es zu starken Widerständen gegen das Projekt. Vor allem die Touristiker von Meran befürchteten eine Zuwanderung tausender Arbeiter und eine mit der chemischen Fabrik zusammenhängende Verschmutzung der Stadt. Da die Protestaktionen immer größer wurden, erklärte man sich um die Jahre 1923-24 dazu bereit, stattdessen das Gebiet um „Sinich“ für die Errichtung einer Fabrik zu bonifizieren. Im September 1924 kam es dann zum Spatenstich, und man begann mit dem Bau des neuen Fabrikgeländes. Dazu wurde an der Mündung des Sinichbaches in die Etsch eine neue Wohnsiedlung für die italienischen Fabrikarbeiter und Angestellten errichtet und wenig später noch um eine Arbeiterküche, einen werkseigenen Laden und ein medizinisches Versorgungszentrum erweitert. So entstand daraus eine weitgehend selbständige Siedlung, in der – zunächst 650, Ende der dreißiger Jahre bis zu 1000 – Arbeiter und Angestellte großteils mit ihren Familien lebten. Ganz im Sinne der damaligen Zeit sorgte die Opera Nazio­nale Dopolavoro für ein ausgiebiges Freizeitprogramm, das den Arbeitern sportliche und kulturelle Unterhaltung bot. Dafür errichtete man Gemeinschaftsräume zum Radiohören, eine großzügige Sportanlage, wie auch einen Kinosaal, in dem wöchentlich Filmvorführungen stattfanden. Organisiert wurden auch Ausflüge und viele teils faschistische Veranstaltungen und Feste. Wenig später verfügte das neue Siedlungsgebiet um die Montecatini-Fabrik sogar über eine kleine Theatergruppe, eine werkseigene Musikkapelle, die später dann auch als Werbeträger der Montecatini auftrat.

Die Ortsmitte – Borgo Vittoria
Nachdem das neue Fabrikgelände von Montecatini eingeweiht worden war und die Entsumpfung des Talbodens um das Ortsgebiet voranschritt, beschloss die Opera Nazionale per i Combattenti (O.N.C.) zwischen dem Naifbach und dem Sinichbach ein kleines Dorf aus dem Boden zu stampfen. Unter dem Namen „Borgo Vittoria“, zu Deutsch: „Siegesdorf“, wurde es 1928 mit einer eigenen Pfarrkirche und einem Dorfplatz eingeweiht. Für die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen wurden in dieser Zeit italienische Bauern und Arbeiter – vorwiegend aus Venetien – angesiedelt. Nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes und dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhielt das Ortsgebiet um den heutigen Vittorio-Veneto-Platz seinen ursprünglichen Namen „Sinich“ wieder zurück.

Zum attraktiven Wohngebiet
Nachdem die Einwohnerzahl in Sinich bis Ende der 70er Jahre mehr oder weniger gleichgeblieben war, änderte sich dies mit der neuen Urbanisierungspolitik der Stadtgemeinde Meran rasch wieder. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass in dieser Zeit mehrere Wohnanlagen und Bildungseinrichtungen errichtet wurden, was die Einwohnerzahl um das Dreifache binnen kurzer Zeit ansteigen ließ und den Standort allmählich auch für die deutsche Bevölkerung attraktiv machte. Bald darauf sah auch das bischöfliche Ordinariat die Notwendigkeit, den Ortspfarrer mit einem deutschsprachigen Kooperator zu unterstützen.

Die alte und neue Pfarrkirche
Heute besteht die Pfarrkirche von Sinich am westlichen Ende des Vittorio-Veneto-Platzes aus zwei Kirchen. Die alte Kirche rechts wurde im Rahmen der Errichtung des Dorfzentrums „Borgo Vittorio“ errichtet und stammt, wie der gesamte Veneto-Platz, aus dem Jahre 1928. Die neue Kirche hingegen entstand um die Jahre 2002 bis 2003, aufgrund der steigenden Einwohnerzahl. Das 2002 mit dem Bau beauftragte Komitee wurde von Architekt Bruno Flaim geleitet und arbeitete bei der Realisierung der Innenausstattung eng mit der Künstlergruppe des „Centro Ave Arte“ aus der Nähe von Florenz zusammen. Um für den neuen Kirchenbau Raum zu schaffen, wurde die Apsis der alten Kirche abgerissen. Nun besteht die neue Kirche aus einem einzigen großen Schiff, der einem Viertelkreis entspricht und auf einem Kreis­ausschnitt entworfen wurde. Eine der zwei geradlinigen Seiten des Schiffes deckt sich teilweise mit der Seite der alten Pfarrkirche, wo die Apsis sich öffnet und der Glockenturm eingereiht ist. Die andere gradlinige Seite ist hingegen die Fortsetzung der Südwand der alten Pfarrkirche. Eine Besonderheit der Kirche ist, wenn zu besonderen Anlässen die Schiebewand zwischen Tabernakel und Turmmauer geöffnet wird und die alte Kirche von St. Justus dadurch mit der neuen eine harmonische und funktionale Einheit bildet.

Kultur und Freizeit
Im Mehrzweckgebäude neben der Pfarrkirche befindet sich der sogenannte I.P.E.S.-Saal. Hier werden neben verschiedenen Sitzungen, wie Seniorengruppe oder Stadtviertelrat, auch kulturelle Veranstaltungen abgehalten. Jüngst spielte die Dorfbühne Sinich hier das Theaterstück „Die Prozesshanseln“. Überhaupt sind die Bürger von Sinich kulturell sehr engagiert. Sinich besitzt mit den „Cantori del Borgo“ einen ortseigenen Chor, einen Senioren-Verein mit mehreren 100 Mitgliedern und eine eigene Musikkapelle sowie ein Jugendzentrum im „Dopolavoro“-Gebäude. Einen kulturellen Höhepunkt bietet der Sinicher Faschingsumzug, bei dem sich viele Einwohner tatkräftig an der Organisation beteiligen. 2017 wurde Sinich zum Sammelpunkt der Südtiroler Jazzszene, als bei der Veranstaltungsreihe Südtirol JAZZ einige Konzerte auch im I.P.E.S.-Saal veranstaltet wurden. Das historische Freizeitgelände „Dopolavoro“ wird bis heute als solches genutzt und verfügt über ein anliegendes Fußballfeld, einen Sportfischerteich und zwei Tennisplätze im Hinterhof.

Der Wirtschaftsstandort
Folgt man dem Straßenverlauf der Via Nazionale südwärts vom „Dopolavoro“, befindet sich auf der linken Straßenseite das Fabrikzentrum, auf dem seit 2014 zwei Unternehmen unabhängig voneinander Chemieerzeugnisse herstellen. Zum einen ist es der internationale Großkonzern SunEdison, auf nationaler Ebene bekannt als MEMC, der nach wie vor knapp 250 Mitarbeiter beschäftigt, zum anderen wurde ein Teil des Fabrikgeländes vom Unternehmen Solland Silicon genutzt, das seine Produktion aufgrund des laufenden Konkurs­ver­fahrens bis auf weiteres stillgelegt hat. Seither wird die Zukunft des Fabrikgeländes immer wieder medial heiß diskutiert. Derzeit kümmert sich in der Ge­mein­de Meran auch eine Sonderarbeitsgruppe darum, mögliche Lösungen für die Zukunft des Unternehmens zu finden.

Die Gewerbezone
Gemeinsam mit den Fabrikgebäuden von SunEdison und ehemaligen Solland Silicon bilden noch weitere drei Gewerbezonen den Wirtschaftsstandort „Sinich“: die Gewerbezone J. Kravogl sowie die Gewerbezonen Sinichbach und Sandhof.
Die Gewerbezone J. Kravogl befindet sich entlang der Johann-Kravogl-Straße und ist nach dem Lananer Erfinder und Pionier des Elektromotors Johann Kravogl benannt. (In der vorangegangenen Ausgabe der BAZ erfuhren Sie mehr davon.) Hier haben sich vor allem kleinere bis mittelständische einheimische Unternehmen niedergelassen.
Im Gewerbegebiet „Sinichbach“ hingegen haben sich Handwerksbetriebe angesiedelt, wie beispielsweise die Schlosserei „In Metall“, die Spenglerei des „Verza Renato“, die Tischlereiwerkstatt Kröss oder die Türen-Experten des Unternehmens Mozzarelli. Ebenso ist mit dem Unternehmen Hafner das Baugewerbe in der Gewerbezone vertreten. Um das nötige Werkzeug für Industrie und Handwerk sowie mit einer großen Auswahl an Autowerkzeugen kümmert sich in Sinich der Einzelhandelsbetrieb des Anton Waibl, für die nötige Fitness das Fitnessstudio „summit“, das verschiedene Angebote in „Funtional Training“ anbietet.
Südlich der Gewerbezone „Sinichbach“ befindet sich das Gewerbegebiet „Sandhof“, das als Gewerbegebiet von Landesinteresse gilt. Dieses Gebiet war bis vor 2007 vom Abwasser-Hauptsamm­ler der Bezirksgemeinschaft Burg­grafenamt von der Hochspannungsleitung der Edison AG der Kühlwasserleitung des Unternehmens MEMC und von der Oberwasserleitung der Gewerbezone Kravogl durchquert. Es wurde damals hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt und war mit fünf Wohnhäusern, einem Stadel, dem Fachhandel Keramarket sowie dem Gewächshaus der Gärtnerei Unterthurner besiedelt. Im Zuge der Neugestaltung und Bonifizierung des Gebietes 2007 entstanden zwei neue Gewerbegebäude, die heute von verschiedenen Unternehmen gemeinsam genutzt werden. Es sind das Geschäftsgebäude von Agostini und Dekowelt sowie das gegenüberliegenden Bau-Ensemble, bestehend aus dem Bio-Naturalia-Gebäude und einem anschließenden Kondominialgebäude, in welchem sich vor allem verschiedene Dienstleister niedergelassen haben.

Aktuelles
Das südlichste Stadtviertel von Meran hat in den vergangenen Jahrzenten einen großen Wandel miterlebt. In Zukunft ist damit zu rechnen, dass Sinich noch einmal an Attraktivität gewinnen wird, davon ist Merans Vizebürgermeister Andrea Rossi überzeugt. Die anstehenden Projekte für Sinich sind sehr vielversprechend. Da sind zum einen die Errichtung des ersten Grundschulgebäudes, das von deutschen und italienischen Schülern genutzt werden wird, die Neugestaltung des Vittorio-Veneto-Platzes, die derzeit vo­rangetrieben wird, und die Auf­wertung der Sportzone um das Freizeitgelände „Dopolavoro“. Wir von der BAZ halten Sie jedenfalls auf dem Laufenden.

 

von Philipp Genetti