

Betrachtet man seinen beruflichen Werdegang, so deutet zunächst wenig darauf hin, dass er sich in Meran als Hotelier versuchen wird. Der von ihm initiierte Steg, der die Promenade mit dem Thermenplatz verbindet, war lange Zeit als Meraner-Hof-Steg oder Thermensteg bekannt. Seit 2017 ist auf den Schildern wieder sein Name zu lesen: George André Lenoir.
Im Mai 1883 schrieb Lenoir dem Meraner Bürgermeister Simon Thalguter einen Brief: „Heute habe ich das Vergnügen Ihnen mitzutheilen, daß es mir endlich gelungen ist, die mitbesitzende Allgemeine österr. Baugesellschaft zu vermögen, gemeinschaftlich mit mir den Meraner Hof, wie von jetzt an das sogenannte Wiener Hotel heißen wird, fertig zu stellen. […] Wir werden die Wasserleitung vollenden und den Steg über die Passer bauen.“ Allerdings sollte es noch einige Jahre dauern, bis die aus Eisen gefertigte Brücke fertiggestellt werden konnte.
Vom Chemiker zum Hotelier
George André Lenoir war ein Nachfahre französischer Protestanten, der sogenannten Hugenotten. Er wurde 1825 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in Kassel geboren. Der Vater stammte aus der französischen Stadt Metz und übersiedelte nach Hessen, wo er seine spätere Ehefrau kennenlernte.
Nach der Grundschule studierte Lenoir Physik und Chemie am Polytechnikum seiner Heimatstadt und wurde von namhaften Naturwissenschaftlern wie Robert Bunsen und Justus Liebig unterrichtet. Mit Mitte 20 ließ er sich in Wien nieder, nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an und wurde Geschäftsmann. Das kaufmännische Geschick schien er von seinem Vater geerbt zu haben.
Mit seinem „Chemisch‐physikalischen Institut“ zur Herstellung wissenschaftlicher Instrumente und dem Handel mit Lehrmitteln für Physik, Chemie und Pharmazie legte er den Grundstein für sein Millionenvermögen. Auf der Pariser Weltausstellung 1867 wurde er für die Qualität seiner Produkte mit hohen Auszeichnungen bedacht. Daneben betätigte er sich zusammen mit seinem jüngeren Bruder Jean Conrad als Verleger und brachte eine Sammlung von Lithographien prominenter Naturforscher heraus. In den folgenden Jahren erweiterte er seine Firma, nahm zunächst einen, dann einen zweiten Gesellschafter auf und konzentrierte sich auf den Vertrieb von mikroskopischen Präparaten, Laborgeräten und Chemikalien.
Da er es zudem verstand, den durch den Wiener Börsenkrach 1873 entstandenen Preisverfall zu nutzen, vergrößerte sich sein Vermögen weiter. Im Alter von 63 Jahren verkaufte er schließlich seinen Anteil an seine beiden Partner und zog sich aus Wien zurück. Bereits 1883 hatte er in Meran das Grand Hotel „Meraner Hof“ von der in Schwierigkeiten geratenen Allgemeinen Wiener Baugesellschaft erworben und ließ das Gebäude und die Inneneinrichtung fertigstellen – inklusive den eingangs erwähnten Steg. Es war aber bei weitem nicht die einzige Immobilieninvestition. Einen besonderen Wert hatte das slowakische Heilbad Sliač, das sich zu einem eleganten Ort für wohlhabende Ungarn entwickelte. Am Allerseelentag des Jahres 1909 starb der unverheiratet gebliebene Lenoir im Alter von 84 Jahren in Meran an der Wassersucht. Er wurde im Familienmausoleum in der hessischen Kleinstadt Fürstenhagen beigesetzt.
Vom Wohlhabenden zum Wohltäter
1892 spendete Lenoir 6,5 Millionen Goldmark – heute umgerechnet mehr als 250 Millionen Euro. Schon in den Jahren zuvor reifte in ihm, der keine eigene Familie hatte, die Idee, sein Vermögen zur Errichtung eines Waisenheims zu nutzen.
Zu diesem Zweck gründete er die „Stiftung der Brüder George und Conrad Lenoir“ und stattete sie mit den entsprechenden finanziellen Mitteln aus. In Fürstenhagen, wo er später seine letzte Ruhestätte finden sollte, entstand ein Ort, an dem Kinder ohne Eltern in einer familienähnlichen Umgebung aufwachsen durften. Die Kasseler hatten es ihm gedankt und eine Straße nach ihm benannt. In Meran trägt immerhin ein Steg seinen Namen.
Christian Zelger