In Venedig sind es die Gondeln, in Wien, Salzburg oder Budapest die Fiaker. Ich bin ein einziges Mal mit einem Fiaker gefahren. Das war vor langer Zeit in Salzburg und ich war in romantischer Stimmung. Noch gut erinnere ich mich an Franz Brusenbach und seinen Zweispänner in Meran.
von Josef Prantl
Heute bestimmen Taxis und Busse das Bild, doch einst waren es die Fiaker, die edle Herrschaften, Adelige und gut betuchte Gäste zwischen Hotels, Kuranlagen und Sehenswürdigkeiten kutschierten. Große Hotels wie der Habsburger Hof (heute Bellevue), der Tiroler Hof oder der Meraner Hof verfügten über eigene Stallungen für ihre Lohnkutscher. Diese sogenannten „Kutscherkammerlen“ zeugen noch heute davon, wie zentral Pferd und Wagen im Stadtleben waren. „Wegen dieser Stallungen führten die Hotels den Zusatz ‚Hof‘ im Namen“, erklärt der Meraner Heimatschutz-Obmann und Kulturexperte Johannes Ortner.
Was ist ein Fiaker?
Mit Fiaker wird ursprünglich eine zweispännige Lohnkutsche bezeichnet – ebenso wie der Kutscher selbst. Das Wort stammt aus dem Französischen: In der Pariser Rue de Saint-Fiacre bot im 17. Jahrhundert ein Pferdehändler namens Nicolas Souvage erstmals Kutschfahrten an. Der Heilige Fiacrius, nach dem die Straße benannt war, wurde so zum Schutzpatron der Kutscher, Taxifahrer und Gärtner. Bereits 1693 wurden in Wien die ersten Fiaker offiziell zugelassen. Es war ein wildes Treiben: Auf den staubigen Gassen drängten sich Kaufleute, Kutschwagen und elegante Droschken, wie man die Fiaker in Deutschland nennt.
Fiaker waren die ersten „Mietwagen“ der Stadt – eine Revolution der Mobilität! Wer etwas auf sich hielt, ließ sich kutschieren. Und wer schnell von A nach B musste, erst recht. In kürzester Zeit wurden die Fiaker fixer Bestandteil des Stadtbildes, fast wie Denkmäler auf Rädern.
Von morgens bis spät in die Nacht fuhren sie die feinen Damen zum Ball, die Händler zum Markt oder verliebte Paare an versteckte Treffpunkte. Im Gegensatz zum Lohnkutscher, der einem heutigen Mietwagen-Unternehmer entspräche, stand der Fiaker an einem fixen Standplatz. In Meran gab es einmal auch viele Fiakerfamilien, darunter bekannte Namen wie Himmel (Obermais), Steiner, Stief, Platter und Morandell. Allein die Fiakerei Brusenbach, eine der renommiertesten, hielt in ihren besten Jahren 38 Pferde und zahlreiche Gespanne. 1992 musste das in dritter Generation bestehende Fiakerunternehmen aber zusperren.
Fiaker in Meran
Nichte Susi Debiasi versuchte zwar noch einen neuen Anlauf, vergeblich. Heute sieht man in Meran einen Fiaker nur mehr bei traditionellen Umzügen oder zu besonderen Anlässen.
Die große Zeit
Auch Meran erlebte seine große Zeit der Fiaker, als die Stadt im späten 19. Jahrhundert zur mondänen Kurstadt der Belle Époque aufstieg. Edle Herrschaften, Dichter wie Rainer Maria Rilke und Kaiserinnen wie Sisi ließen sich mit der Kutsche durch die Alleen chauffieren. Der Erste Weltkrieg brachte dann aber einen herben Einschnitt: Tausende Pferde wurden für militärische Zwecke beschlagnahmt und kehrten nicht zurück. Zwar erholte sich die Fiakerei in den 1920er-Jahren teilweise wieder, doch mit dem Aufkommen des Automobils begann ihr unaufhaltsamer Niedergang. Spätestens die Ereignisse der 1930er-Jahre – Benzinknappheit, Wirtschaftskrise und die erneute Beschlagnahmung der Pferde für Mussolinis Kriegszüge – ließen viele Betriebe endgültig zusammenbrechen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Kutschenfahrt in Meran noch einmal eine kleine Renaissance: Mit dem Aufschwung des Tourismus fuhren Fiaker durch die Altstadt und zu touristischen Highlights. Heute sieht man Fiaker in Meran nur noch zu besonderen Anlässen – bei Hochzeiten, Jubiläen oder traditionsreichen Festen wie dem Traubenfest, wenn die Pferde wieder feierlich durch die Altstadt traben und der Glanz vergangener Zeiten für einen kurzen Moment auflebt.
Die bewegte Geschichte der Familie Hanspeter
Christian Hanspeter
Besonders eng verknüpft mit der Geschichte der Fiakerei in Südtirol ist die Familie Hanspeter – ein Name, der für Unternehmertum, Anpassungsfähigkeit und Leidenschaft für das Fahren steht. Die Wurzeln reichen zurück bis Mitte des 19. Jahrhunderts: Josef Hanspeter bewirtschaftete in Tramin einen Hof und hatte zehn Kinder – drei Söhne, Anton, Jakob und Karl wurden Fiaker. Jakob Hanspeter zog als junger Mann nach Meran und gründete ein eigenes Fiakerunternehmen. Seine Kutschen, die Nummern 17 und 18, waren aus dem Stadtbild bald nicht mehr wegzudenken. Seine Stallungen lagen beim traditionsreichen Gasthof „Goldenes Kreuz“ am Pfarrplatz, dem damaligen pulsierenden Herzen der Stadt. Anfänglich war sein Bruder Anton auch in Meran tätig, zog aber 1882 mit seinem Bruder Karl nach Arco. Dort waren die beiden „Hanspeters“ bis 1896 tätig. In jenem Jahr zogen sie nach Bozen und gründeten eine eigene Fiakerei, Anton in Gries bei Bozen, Karl in Zwölfmalgreien. Doch der Wandel der Zeiten machte auch vor den Hanspeters nicht Halt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg erkannte Anton Hanspeter den Umbruch: Er schickte seinen Sohn Jakob nach Innsbruck, um das Mechanikerhandwerk zu erlernen und den Führerschein zu machen. Nach dem Krieg kehrte der junge Jakob in die Heimat zurück, machte sich 1923 mit einem eigenen Auto selbständig und war in Meran Taxifahrer. 1924 zog er nach Bozen. Nach seiner Hochzeit 1926 mit Hildegard Aukenthaler von Gossensaß baute er mit ihr das erste Taxiunternehmen Südtirols auf – eine Pionierleistung. Statt Pferden kamen nun rassige Motorwagen zum Einsatz, doch die Leidenschaft, Menschen zu befördern, blieb dieselbe. Bereits damals organisierten die Hanspeter zudem Bus- und Autotouren in die damals noch weitgehend unerschlossenen Dolomiten. In den 1960er-Jahren betrieb die Familie einen Fuhrpark von fünf Taxis und zwei Bussen. Heute führt Christian von Hanspeter diese Tradition fort, indem er nostalgische Cabrio-Fahrten organisiert – fast so wie einst seine Vorfahren, die mit ihren Kutschen die Gäste durch das malerische Land führten. „Die Mitglieder der Familie Hanspeter begleiten und betreuen Reisende seit 1877 durch ihre angestammte Heimat, egal ob aus beruflichen oder touristischen Gründen“, heißt es auf seiner Webseite.
Heute existieren Fiaker in Meran nur noch als romantische Erinnerung – bei Festen, Umzügen und auf alten Fotografien. Doch ihre Geschichte erzählt mehr als nur von einer vergangenen Art der Fortbewegung. Sie erzählt von einer Ära, in der Reisen noch ein Erlebnis war, ein Akt des Flanierens, des Genießens. Die Fiaker waren Zeugen einer Zeit, als Meran zur Weltbühne der feinen Gesellschaft gehörte, als Lebensstil und Eleganz untrennbar miteinander verbunden waren. Ihre Geschichten leben weiter – in den Erinnerungen der Stadt, in den Erzählungen von Familien wie den Hanspeters und in jedem Hufschlag, der heute noch bei Festumzügen durch die Altstadt hallt. Christian Hanspeter ist seinen Vorfahren treu geblieben und organisiert heute nostalgische Fahrten im Cabrio.
Die BAZ sprach mit einem der letzten Sprösslinge der Fiakerfamilie Hanspeter.
Ihre Familie ist seit Generationen eng mit der Fiakerei verbunden. Was bedeutet das für Sie?
Christian Hanspeter: Sie bedeutet mir sehr viel, denn sie stellt meine Wurzeln dar, meinen Platz im Leben. Sie gibt einem Halt und Kraft, wenn es mal nicht ganz so läuft, wie man es gerne möchte. Es ist für mich eine sehr große Freude und vor allem Ehre, jene Tätigkeit weiterzuführen, die mein Uropa begonnen hatte und meinem Opa zu so einem großen Erfolg verholfen hatte.
Welche Erzählungen Ihrer Vorfahren sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
Von meinem Opa erzählt man sich, dass wenn Frau Sophia Magnago ein Taxi brauchte, dann rief sie immer den „Joggl“ an – Opa war so in der ganzen Stadt bekannt. Oft musste er die Baronesse Giovannelli in Kaltern holen und in die Stadt bringen. Frau Baronin ließ ihn oft lange, sehr lange warten, bis sie fertig war, hat ihm die Wartezeit aber immer großzügig vergütet. Vom Uropa kann ich berichten, dass er immer wieder Prinzessinnen aus Bayern chauffieren durfte. 1911 ließ er sich extra einen Zweispänner, einen sogenannten Landauer bei der Kutscherfirma „Formann“ in Meran bauen, um ihn ausschließlich bei Hochzeiten und Rundfahrten für bessere Herrschaften in Verwendung zu bringen.
Ihr Großvater gründete das erste Taxiunternehmen.
Opa war ja schon sehr jung nach Innsbruck gezogen, um bei Firma Linser, die es heute noch gibt, die Lehre des Mechanikers anzutreten. Im Krieg war er der persönliche Chauffeur von Feldmarschall Erzherzog Josef von Habsburg. Das Automobil war somit schon sehr, sehr früh im Zentrum seines Lebens gewesen und hatte ihm dann den Lebensunterhalt für sich und seine Familie gesichert. Er war auch immer dankbar dafür, dass sein Vater Anton, mein Uropa, ihn nach Innsbruck in die Lehre geschickt hatte. Somit dürfte der Übergang sehr leicht gefallen sein. Uropa ist zeit seines Lebens immer Fiaker geblieben und Opa hat als Taxifahrer begonnen und ist durchgestartet. Er hatte ja auch das Glück Oma an seiner Seite zu haben, die ihn tatkräftig als gelernte Handelskauffrau (sie besuchte die Handelsoberschule bei den Englischen Fräulein in Brixen!) unterstützt hat.
Sie organisieren nostalgische Cabriofahrten – sehen Sie sich als Bewahrer einer Tradition?
Ja auf jeden Fall. Schauen Sie, ich mache ja genau das Gleiche wie Uropa und Opa zu ihren Zeiten. Ich betreue und begleite Personen von A nach B, die in meine Heimat kommen. Fiaker, Taxi und Busse, ein Cabrio sind ja „nur“ das Werkzeug, mit dem die Kernkompetenz ausgeübt wird. Die Zeiten ändern sich ja, ob man es will oder nicht, und wenn man mitgeht, dann kann man sich, seiner Herkunft und seinen Ahnen, die einen geprägt haben, treu bleiben! Ich wäre dankbar, wenn jemand Dokumente oder noch besser Fotos von meinem Urgroßonkel Jakob Hanspeter hätte, der sein ganzes Leben in Meran als Fiaker tätig war, in den Berglauben 38 lebte und dort 1926 verstarb, und mir davon Kopien überlassen könnte.