

Schon immer faszinierte mich der schneeweiße Bau oberhalb von Burgeis. Marienberg, Europas höchstgelegenes Benediktinerkloster, wirkt wie eine buddhistische Klosteranlage. Seit fast 900 Jahren thront es über dem oberen Vinschgau, ist bis heute Zentrum des Gebets und des Studiums und prägt unser Land.
von Josef Prantl
Spätestens seit der Aufdeckung seiner weltberühmten Fresken in der Krypta im Jahr 1887/88 gilt das Kloster auch als kunsthistorische Sensation. Doch Marienberg ist mehr als ein Ort des Glaubens, denn es ist auch die Wiege einer Bildungstradition, die weit über die Grenzen des Vinschgaus hinausreicht. Was viele nicht wissen: Hinter den Mauern dieser beeindruckenden Anlage begann vor vielen Jahrhunderten eine Schulgeschichte, die vor 300 Jahren auch die Stadt Meran zu einem Bildungszentrum machte. Das humanistische Gymnasium von Meran ist die älteste Oberschule des Landes.
Lernen für Geist und Seele
Schon bald nach seiner Gründung im Jahr 1146 nahmen die Benediktiner auf Marienberg junge Burschen aus der Umgebung bei sich auf. In der Klosterschule, die im Volksmund „Scolaraccia“ (von Scholaris – Schüler) genannt wurde, lernten die Buben aus armen Bauernfamilien Lesen, Schreiben und Latein – die Eintrittskarte in eine geistliche Laufbahn. Musik und Gesang gehörten von Anfang an dazu.
Zu den bekannten Absolventen gehörte Goswin, späterer Chronist und Mönch, der erstmals von jenem Schatz berichtete, der bis heute Touristen aus aller Welt anzieht: die romanischen Fresken der Krypta. Bildung war für die Benediktiner nie Selbstzweck. Sie diente einem höheren Ziel: der Formung des ganzen Menschen. „Ora et labora“ – bete und arbeite – wurde zum Lebensmotto, das Generationen prägte.
Die Gründung des Benediktinergymnasiums in Meran
Der große Schritt in die Stadt erfolgte im Jahr 1724: Marienberg besaß in Meran bereits Güter und eröffnete nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Stadtverwaltung (Sorge um studentische Ausschweifungen) und den Jesuiten (wollten keine Konkurrenz) ein eigenes Gymnasium in Meran. Zu diesem Zweck erwarb das Kloster den Ansitz „Lebenprunn“ am Rennweg. 8.000 Gulden spendete der aus Meran stammende, wohlhabende Salzkaufmann Johann Baptist von Ruffin, die restlichen Mittel stellte die Stadt. Am 14. Juni 1728 wurde der Grundstein für den Neubau des Gymnasiums gelegt und vier Jahre später, im Jahr 1732, war das städtische Gymnasium fertiggestellt. Es hatte bis 1928 Bestand. Die Mönche hatten zuvor einen Vertrag mit der Stadt geschlossen, in dem sie sich verpflichteten, „für jetzt und alle Zukunft“ eine Knabenschule zu führen – nicht nur zur Wissensvermittlung, sondern auch zur „Erziehung zu guten Sitten“. Allerdings – so steht es im Vertrag, der im Stadtarchiv aufbewahrt wird – darf es nicht dazu kommen, dass die Stadt mit armen Studenten „angefüllt wird“, die sie belasten. Es heißt auch, man solle nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch „zur Ordnung und zu guten Sitten“ erziehen. Darüber hinaus verpflichten sich die Marienberger Konventualen, „für immer und ewig die männliche Jugend kostenlos in der lateinischen Sprache und in den griechischen Sprachen zu unterrichten und sie in guten Sitten zu erziehen“. Am Ende des Schuljahres soll unter Anleitung der Lehrer öffentlich eine Komödie aufgeführt werden. Latein, Musik, Theologie, Humanismus: Das Meraner Gymnasium entwickelte sich rasch zu einem geistigen Zentrum und zu einer der bedeutendsten Bildungsstätten Tirols.
Plötzliches Ende auf Zeit
Doch die Geschichte verläuft selten geradlinig. Die politischen Erschütterungen am Ende des 18. Jahrhunderts (Französische Revolution, Napoleon) machten auch vor Tirol nicht halt. Es folgten die napoleonischen Kriege und die bayerische Verwaltung – und schließlich die Katastrophe. Als Tirol 1807 unter bayerische Verwaltung geriet, erlebte die Abtei eine Zäsur: Marienberg wurde aufgehoben und das Gymnasium in Meran musste schließen. Das Schulgebäude wurde eine königlich-bayerische Mittelschule. Erst 1816 unter Kaiser Franz I. durfte Marienberg wiederaufleben – und mit ihm die Schule in Meran. Nun begann auch hier eine glanzvolle Zeit: Pius Zingerle, Albert Jäger und Beda Weber – drei Namen, die noch heute als herausragende Vertreter der deutschsprachigen Gelehrsamkeit in Tirol gelten – prägten in Meran Generationen von Schülern. Sie machten das Benediktinergymnasium zu einer Institution, die weit über das Land hinausstrahlte.

Professoren am Gymnasium: v. l. L. Matzneller, R. Senoner, M. Brugnara, Dir. J. Kornprobst, H. Raffeiner, Dekan P. Pardatscher, R. Mailänder und J. Gögele

Lehrerkollegium des Meraner Benediktiner-Gymnasiums 1884
Pius Zingerle
Pius Zingerle wurde 1801 in Meran geboren. Nach dem Besuch des Benediktinergymnasiums in Meran studierte er Theologie in Innsbruck und trat 1820 gemeinsam mit Beda Weber in die Abtei Marienberg ein. Besonders faszinierte ihn die Literatur der syrischen Kirchenschriftsteller. Er lernte Arabisch und entwickelte sich zu einem der führenden Orientalisten seiner Zeit. 1828 kehrte er als Lehrer an das Meraner Gymnasium zurück und wirkte dort später auch als Rektor. Ein bedeutender Wendepunkt in seiner Laufbahn war im Jahr 1862 die Berufung durch Pius IX. an die Päpstliche Universität „La Sapienza” in Rom, wo er als Professor für Arabisch lehrte. Dennoch zog es ihn schon bald wieder zurück nach Meran. Zingerle starb 1871 und wurde hoch geehrt. Er erhielt die Ehrendoktorwürde der Universitäten Freiburg, Innsbruck und Wien und war Mitglied mehrerer angesehener Akademien und Gesellschaften in Wien, Leipzig, London und Paris. Er gilt als einer der herausragendsten Vertreter der benediktinischen Gelehrsamkeit des 19. Jahrhunderts in Tirol.
Beda Weber
Johann C. Weber wurde 1798 in Lienz in Osttirol geboren. Nach dem Besuch des Franziskanergymnasiums in Bozen trat er im Jahr 1820 gemeinsam mit Pius Zingerle in Marienberg ein und nahm den Ordensnamen Beda an. Nach Abschluss seines Theologiestudiums wurde er Lehrer am Gymnasium in Meran. Als Seelsorger war er auch in Passeier tätig, wo er sich intensiv mit der Geschichte des Tals beschäftigte. Seine Bücher über Land und Leute sind bis heute wertvolle historische Quellen. Im Jahr 1848 wurde er als Vertreter des Burggrafenamtes in die Frankfurter Nationalversammlung berufen, in der er sich für die Großdeutsche Lösung einsetzte. Auf Wunsch der Bevölkerung blieb er nach der Auflösung der Nationalversammlung in Frankfurt als Seelsorger tätig und machte sich als katholischer Stadtpfarrer verdient. Er gründete karitative Vereine, eine Leihbücherei und eine katholische Kirchenzeitung.
Beda Weber starb 1858 in Frankfurt. Sein Leben war geprägt vom Engagement für Bildung, Kirche und Gesellschaft – und sein Einfluss reicht weit über seine Zeit hinaus. 1966 wurde das Klassische Gymnasium in Meran nach ihm benannt.
Albert Jäger
Albert Jäger wurde 1828 in Schwaz geboren. Er besuchte das Franziskanergymnasium in Bozen und trat 1825 in das Benediktinerstift Marienberg ein. Nach Abschluss seines Theologiestudiums wurde er Lehrer am Gymnasium in Meran. Ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben war im Jahr 1841 die Berufung nach Innsbruck, wo er die Söhne des Statthalters von Tirol, Clemens Graf von Brandis, erziehen sollte. Parallel dazu forschte er im Ferdinandeum und im Statthalterarchiv zur Geschichte Tirols. 1845 wurde er Professor für Geschichte an der Universität Innsbruck. Später folgte ein Ruf nach Wien, wo er 1865 Rektor der Universität wurde. 1867 wurde er in den Tiroler Landtag gewählt. Albert Jäger starb 1891 im hohen Alter und gilt als einer der bedeutendsten Historiker Tirols des 19. Jahrhunderts sowie als prägender Pädagoge des Benediktinergymnasiums in Meran. Mädchen wurden übrigens erst 1923 am Meraner Gymnasium zugelassen. Zu den bekannten Absolventen zählen der spätere Seilbahnpionier Luis Zuegg und der langjährige Landeshauptmann Silvius Magnago.
200-Jahr-Jubiläum
Im Jahr 1925 wurde noch das 200-jährige Jubiläum gefeiert. In einem Brief an seine Eltern berichtet Alois Pamer aus Platt im Hinterpasseier, der am Meraner Benediktinergymnasium studierte und im angeschlossenen Klosterkonvikt „Rediffianum“ wohnte, vom Besuch des Görzer Erzbischofs Franz Borgia Sedej im Juni: „Das Jubiläum war sehr schön. Der Bischof von Görz, der früher ebenfalls in Meran studiert hatte, hielt die Messe. Sie dauerte eineinhalb Stunden. Am Abend gingen wir ins Kurhaus hinauf und blieben dort bis halb zwölf. Es gab mehrere Ansprachen, ein Theaterstück und Musik.“ Als Abt Stephan wird Alois Pamer später den Benediktinern auf Marienberg von 1957 bis 1984 vorstehen.

Das Gymnasium am Rennweg feiert 300 Jahre

Das Schülerheim Rediffianum
Das Ende unter dem Faschismus
Bald sollte sich jedoch alles ändern. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Annexion Südtirols durch Italien wurde die Arbeit des Gymnasiums zunehmend behindert. Der deutschsprachige Unterricht war den faschistischen Behörden ein Dorn im Auge. Im Jahr 1928 erfolgte schließlich die erzwungene Schließung und die Benediktiner mussten das Feld räumen. An seine Stelle trat das italienischsprachige Liceo „Giosuè Carducci“. Nur zwei Benediktinerpatres durften an diesem „Lyceum“ weiter unterrichten. Was blieb, waren mehr als 200 Jahre Klosterschulgeschichte und die Gewissheit, dass mehr als 5.000 Schüler hier „Rüstzeug für ihr Leben“ erhalten hatten. Sie prägten als Ärzte, Juristen, Priester oder Lehrer unser Land. Während des Zweiten Weltkriegs besetzten die Nationalsozialisten die Schule. Die heutige Stadtbibliothek diente als Luftschutzkeller. Das „Rediffianum“ (heute WFO Meran) wurde als nationalsozialistische Schule und als Lazarett genutzt.
Der Neubeginn 1946
Nach 1945 wurde der alte Geist wiedererweckt: 1946 entstand das Klassische Gymnasium „Beda Weber“ als direkte Fortsetzung der Marienberger Bildungsidee in staatlicher Trägerschaft. Heute ist das Gymnasium Teil der „Gymnasien Meran“ und bildet zusammen mit anderen Schulen ein lebendiges Schulzentrum, das im vergangenen Jahr sein 300-jähriges Jubiläum gefeiert hat. Und Marienberg selbst? Er bleibt, was er immer war: ein Ort zwischen Himmel und Erde. Ein Ort des Glaubens, der Reflexion und der Bildung. Die Mönche sehen ihre Aufgabe bis heute in Seelsorge und Bildung, ganz im Sinne der Benediktsregel. Im November fand ein wissenschaftliches Symposium unter dem Titel „Das Gymnasium der Marienberger Benediktiner in Meran“ statt. Dabei wurde die wechselvolle 300-jährige Geschichte des Meraner Benediktinergymnasiums aufgearbeitet. Zum Schluss stellt sich noch die Frage, wie eine Tradition in einer sich immer schneller wandelnden Gesellschaft lebendig bleibt. Vielleicht gibt uns der griechische Dichter Pindar die Antwort: „Werde der, der du wirklich bist, indem du lernst.“
Prof. Raimund Senoner ist Generationen von Meraner Gymnasiasten ein Begriff.

Prof. Raimund Senoner
Nach seiner eigenen Oberschulzeit am Johanneum in Dorf Tirol studierte er Altphilologie und trat 1963 in den Schuldienst ein. Am humanistischen Gymnasium in Meran unterrichtete er über Jahrzehnte hinweg Latein und Griechisch – Fächer, die er mit großer Leidenschaft vertrat. Erst mit seiner Pensionierung endete eine Lehrerkarriere, die unzählige Schüler geprägt hat.
Herr Professor Senoner, Sie haben mehrere Jahrzehnte am Klassischen Gymnasium unterrichtet. Was verbinden Sie persönlich mit dieser Schule?
Raimund Senoner: Mit dem Meraner Gymnasium verbinde ich ein berufliches Zuhause, das mich über viele Jahre geprägt hat. Es war ein Ort lebendigen Denkens, an dem junge Menschen lernen wollten und Lehrpersonen mit großer Leidenschaft unterrichteten. Ich habe hier nicht nur Wissen weitergegeben, sondern auch viele wertvolle Begegnungen erlebt – mit Kollegen, mit Schülerinnen und Schülern und mit Eltern. Diese Schule steht für ein hohes Bildungsniveau, für Offenheit und für eine echte Freude an Sprache, Kultur und Denken. Das prägt einen fürs Leben.
Die Geschichte des Gymnasiums reicht über 300 Jahre zurück. Spielte dieses historische Bewusstsein im Schulalltag eine Rolle?
Ja, durchaus. Auch wenn der Alltag oft von modernen Herausforderungen geprägt war, blieb die lange Tradition der Schule stets präsent. Viele wussten, dass sie Teil einer pädagogischen Linie sind, die bis zu den Benediktinern von Marienberg zurückreicht. Dieses Bewusstsein schuf eine Haltung des Respekts – vor Bildung, vor dem geistigen Erbe und vor den Menschen, die diese Schule aufgebaut haben. Natürlich lebten die Schüler nicht ständig mit dieser Geschichte, aber man spürte sie: bei Feiern, Jahrestagen oder im Selbstverständnis des Hauses.
Besonders lebendig erinnere ich mich an die 275-Jahr-Feier im Jahr 1982. Ein Merkmal klassischer Bildung ist das Musische, das wir am Gymnasium immer intensiv gepflegt haben. Die musische Tätigkeit gehörte nämlich schon seit der Gründung zum wesentlichen Bestandteil des Schulprogramms.
Mit der Eingliederung des Klassischen Gymnasiums in die Gymnasien Meran („Gymme Meran“) ist der Schulname „Beda Weber“ verschwunden. Bedauern Sie das?
Ja, ein Stück Tradition geht damit verloren. Der Name Beda Weber war eng mit der Geschichte und Identität des Humanistischen Gymnasiums in Meran verbunden. Wir haben das Gymnasium schon 1963 bewusst nach ihm benannt, seit 1966 sprechen wir vom Beda-Weber-Gymnasium. Für viele Lehrpersonen, Schüler und Ehemalige stand er als Symbol für eine lange Bildungstradition, die auf die Benediktiner von Marienberg zurückgeht. Ich verstehe jedoch, dass strukturelle Veränderungen wie die Eingliederung in die Gymnasien Meran organisatorische Vorteile mit sich bringen. Entscheidend ist für mich, dass die Werte und die Bildungsphilosophie von Beda Weber – Humanismus, geistige Neugier und Bildung für den ganzen Menschen – weiterhin im Schulalltag lebendig bleiben.
Es stimmt mich traurig, dass mit dem heurigen Schuljahr am Klassischen Gymnasium Meran die letzte Griechisch-Klasse ausläuft. Die Schule hat schon lange keinen eigenen Direktor mehr, und seit 2013 ist sie nicht mehr am Rennweg untergebracht: Damals wurde das 1732 von den Benediktinern fertiggestellte Gebäude nach dem Umzug in die Otto-Huber-Straße endgültig verlassen.
Was wünschen Sie dem Klassischen Gymnasium in Meran für die Zukunft?
Ich wünsche dieser Schule, dass sie ihre humanistische Ausrichtung auch in einer sich rasant verändernden Welt bewahren kann. Junge Menschen brauchen heute mehr denn je Orte, an denen sie lernen, kritisch zu denken, Verantwortung zu übernehmen und sich als Persönlichkeiten zu entwickeln. Das Gymnasium sollte weiterhin ein Raum bleiben, in dem Kultur, Sprache und Wissenschaft lebendig sind, in dem Lehrpersonen mit Leidenschaft unterrichten und in dem Schüler neugierig, mutig und selbstständig werden können. Kurz gesagt: Die Schule möge bleiben, was sie immer war – ein Ort echter Bildung.