

Weihnachten steht vor der Tür. Ein Fest mit Tradition – und oft weit entfernt von ihr. Inspiriert hat es die Menschen allemal. Schriftsteller, Maler, Komponisten. Riccardo Zandonai ist einer von ihnen. Und sein Werk mit Weihnachtsbezug ist wahrscheinlich noch unbekannter als die kleine Straße im Meraner Musikerviertel.
Zunächst etwas abseits des Weihnachtlichen. In den USA gibt es seit eineinhalb Jahrzehnten ein Phänomen, das nicht so recht in das 21. Jahrhundert passen will. Die „Tradwives“, die „traditionellen Ehefrauen“, wie sie sich selbst nennen, haben sich freiwillig für ein Leben in einer konservativen Geschlechterrolle entschieden. Sie verzichten auf eine berufliche Karriere im klassischen Sinn und konzentrieren sich auf ihr Dasein als Hausfrau und Mutter. Sie orientieren sich an traditionellen Werten wie Ehe und Familie, möchten ihrem Ehemann gefallen und sehen ihren Sinn darin, sich um ihn und die gemeinsamen Kinder zu kümmern. Es gehöre zum Wesen des Feminismus, sich seinen Lebensstil selbst aussuchen zu dürfen, so ihre gängige Rechtfertigung. Dass viele ihr Leben medienwirksam – und wahrscheinlich lukrativ – in den Sozialen Netzwerken inszenieren, ist eine andere Geschichte. Seit einigen Jahren sind auch in Europa einige Tradwives bekannt geworden. In der deutschen Sprache gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts dafür einen Ausdruck, der selten positiv oder anerkennend gemeint ist. Die Mutter, die zuhause bleibt, wird als „Heimchen am Herd“ belächelt. Ein Heimchen ist eigentlich eine Hausgrille. Die Wendung geht zurück auf eine Erzählung von Charles Dickens mit dem Titel „The Cricket on the Hearth“, in der Übersetzung „Das Heimchen am Herd“. Die Novelle gehört zu den fünf Weihnachtsgeschichten, die er in den 1840er Jahren veröffentlicht hatte. Der italienische Komponist und Dirigent Riccardo Zandonai hat sie als Commedia musicale in drei Akten vertont.
Fast ein Puccini
Riccardo Zandonai wurde 1883 in Borgo Sacco geboren, einer Fraktion der Gemeinde Rovereto, damals noch Teil Österreich-Ungarns. Er besuchte zunächst die Musikschule in seiner Heimatstadt. Im Alter von 16 Jahren begann er dann am Konservatorium in Pesaro zu studieren und lernte u.a. bei Pietro Mascagni, weltbekannt für seine „Cavalleria rusticana“. Bereits nach drei Jahren beendete er sein Studium und vertonte einige Gedichte von Giovanni Pascoli. Zu seinen Lebzeiten war Zandonai ein sehr erfolgreicher Komponist, der einen Vergleich mit dem wesentlich bekannteren Giacomo Puccini nicht zu scheuen brauchte. Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Opern „Conchita“, „Francesca da Rimini“ und „Giulietta e Romeo“. Daneben gilt es noch seine Instrumental- und Vokalkompositionen, darunter ein Requiem, zu erwähnen. Er verfügte über eine ausgeprägte melodische Ader, die von seinem Talent als Arrangeur unterstützt wurde. 1908 fand in Turin die Uraufführung von „Il grillo del focolare“, „Das Heimchen am Herd“, statt. Die Geschichte spielt an Weihnachten und erzählt vom Glück, das die Grillen dem Haus bringen. Damals war es üblich, an einer warmen Stelle in der Wohnung in kleinen Käfigen Heimchen zu halten, um sich an deren Gesang zu erfreuen. So wie das Heimchen ist auch die Hauptfigur der Erzählung, die Hausfrau Mary, ein glückbringendes Wesen. Es war nicht sein einziges Werk, in dem das Weihnachtsfest eine Rolle spielte. Zandonai, der seit 1936 Direktor des Konservatoriums in Pesaro war, starb vor gut 80 Jahren am 5. Juni 1944. Seine Frau Tarquinia Tarquini, eine gefeierte Sopranistin, sang 1911 die Titelrolle bei der Weltpremiere seiner „Conchita“ in Mailand. Ihr Auftritt war ein triumphaler Erfolg. Sie spielte die Rolle in den folgenden Jahren im In- und Ausland auf mehreren europäischen und amerikanischen Bühnen. Nach der Hochzeit mit Riccardo Zandonai beendete sie mit 35 Jahren ihre musikalische Karriere und lebte mit ihm in Mailand.
Christian Zelger