

Es ist bedenklich. Mehr als die Hälfte der Südtiroler Männer lebt in einem Einpersonenhaushalt. Im Alter sind es vor allem Frauen. Das hat Folgen – wirtschaftlich, sozial, infrastrukturell und gesellschaftlich. Der Thematik wird zu wenig öffentliches Interesse gewidmet.
von Josef Prantl
Die ältere Generation unter uns hatte es vielleicht leichter. Man begegnete sich auf Dorffesten, in der Disco, beim Studium oder bei der Arbeit, tauschte Blicke aus, ein Lächeln – und wenn es passte, blieb man zusammen. Heute wischen wir nach links, nach rechts, scrollen durch unendliche Profile in Dating-Apps. Die Meranerin Karin Agreiter unterstützt Singles auf ihrem Weg zu einer stabilen, nachhaltigen und erfüllenden Partnerschaft. Scheinbar fällt es immer mehr Menschen schwer, eine Beziehung einzugehen bzw. länger zu führen. Über die Hälfte der Südtiroler ist ledig, besonders Männer (55,6 %). Nur 38,9 % sind verheiratet (darunter fallen auch Getrennte); 3,8 % leben in eingetragenen Partnerschaften.  „Über eine Personengruppe wird im Land zu wenig gesprochen: die Alleinlebenden“, sagt Elisabeth Maria Rieder vom Team K. Sie hat gemeinsam mit Parteikollegen Alex Ploner schon vor 2 Jahren einen Beschlussantrag im Landtag eingebracht, der darauf abzielt, den Wohnraum für Alleinlebende zu erfassen und in einem zweiten Schritt besser zu organisieren.  In Südtirol gibt es rund 90.000 Singles, Tendenz steigend. Singlehaushalte sind seit den 1990er Jahren zur vorherrschenden Haushaltsform bei uns avanciert. Machten sie in den 1970er Jahren noch 13,6 % aller Haushalte aus, so stellen sie inzwischen den größten Anteil dar. Das hat gesellschaftliche Folgen. Eine nationale Studie zeigt, dass Singles etwa 570 Euro pro Monat mehr ausgeben als Paare im selben Haushalt, hauptsächlich wegen höherer Wohnkosten.  Die Wohnungsspesen sind immer dieselben, egal, ob eine oder mehrere Personen im Haushalt leben.
Das Paradox der Wahlmöglichkeiten
Fällt es uns zusehends schwerer, stabile Beziehungen aufzubauen? Ja, viele Menschen finden es zunehmend schwerer, stabile Beziehungen aufzubauen. Auf sozialen Plattformen stehen uns tausende Gesichter zur Auswahl. Studien belegen, dass die „Fear of Missing Out“, die Angst, etwas zu verpassen, zu einem der größten Probleme unserer Zeit geworden ist. „Früher gab es vielleicht zehn potenzielle Partner im Dorf, heute sind es zehntausend im Netz“, erklärt Karin Agreiter. Auch der US-Psychologe Barry Schwartz spricht vom Paradoxon der Wahlmöglichkeiten. Schwartz fand heraus, dass es Menschen einerseits glücklicher macht, wenn sie zwischen verschiedenen Optionen die Wahl haben, aber andererseits unglücklicher, wenn es zu viele Wahlmöglichkeiten gibt. Wenn das Angebot an Alternativen zu umfassend ist (mehr als etwa 3-5 Möglichkeiten) macht die Angebotsvielfalt uns eher unzufrieden mit unserer Wahl, egal wofür wir uns entschieden haben. Der Grund für diese Unzufriedenheit besteht in dem Gefühl, bei der Wahl angesichts der vielen Alternativen etwas übersehen und letztlich eine falsche Entscheidung getroffen zu haben.
Gesellschaftlicher Druck und neue Beziehungsformen
Den gesellschaftlichen Druck, mit 30 schon verheiratet zu sein und Kinder zu haben, gibt es schon lange nicht mehr. Scheidungen sind ebenfalls nichts Ungewöhnliches mehr. Aber die Sehnsucht nach Nähe bleibt. Die Corona-Pandemie hat dies eindrucksvoll gezeigt: Soziale Medien boomten, viele sehnten sich nach Nähe und Sicherheit. Die Maslowsche Bedürfnispyramide erklärt dies: Nachdem physiologische und soziale Grundbedürfnisse befriedigt sind, steigt das Bedürfnis nach Liebe und Zugehörigkeit, Respekt und Selbstverwirklichung. Das Besondere an unserer Zeit: Wir können Beziehungen heute nach Liebe und nicht aus Notwendigkeit führen. Wir müssen nicht mehr bleiben, weil wir auf finanzielle Sicherheit angewiesen sind, oder heiraten, weil es gesellschaftlich erwartet wird. Freiheit und Selbstbestimmung eröffnen Chancen, aber sie machen die Suche nach Nähe auch komplizierter.
Neue Beziehungsmodelle, wie offene Beziehungen, Patchworkfamilien oder digitale Fernbeziehungen, tragen dazu bei, dass wir uns die Partnerschaft selbst komplizierter machen. Bindungsangst, „Ghosting“ (gemeint ist der plötzliche Kontaktabbruch ohne Erklärung) oder ständige Vergleiche mit anderen Paaren erschweren den Aufbau von Stabilität. Die ständige Reizüberflutung verstärkt noch die Unsicherheit.
Die Hälfte der Südtiroler sind Singles
Die Zahlen des Landesinstituts ASTAT spiegeln diese gesellschaftlichen Veränderungen wider. 2024 lebten in Südtirol 539.386 Menschen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist ledig, und zwar 55,6 % der Männer und 48,1 % der Frauen. Nur zwei von fünf Südtirolerinnen und Südtirolern (38,9 %) sind verheiratet (dazu zählen auch die gesetzlich Getrennten) und 3,8 % leben in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zwischen Personen desselben Geschlechts. Die Geburtenbilanz ist erstmals leicht negativ: 4526 Geburten standen 4549 Todesfällen gegenüber. Das Durchschnittsalter liegt bei 44 Jahren. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt auf dem Land, doch viele Gemeinden schrumpfen. Frauen stellen weiterhin die Mehrheit und die Lebenserwartung steigt kontinuierlich. Diese demografische Entwicklung zeigt, dass das klassische Modell Familie heute nicht mehr selbstverständlich ist.
Gesellschaftliche Folgen
Der Trend zu immer mehr Singlehaushalten belastet die Gesellschaft. Besonders der Wohnungsmarkt steht unter Druck: Für Einpersonenhaushalte werden kleine Wohnungen benötigt, doch das Angebot hinkt hinterher. Gleichzeitig leiden viele Singles vor allem im Alter unter fehlenden sozialen Netzwerken. Ohne partnerschaftliche Bindungen können Krisen wie Arbeitsplatzverlust oder Krankheit schnell zu Isolation führen. Was tun, wenn man hilfs- oder pflegebedürftig wird, aber kein Angehöriger da ist, der einen versorgt? Die Einpersonenhaushalte werden vor allem aus alleinstehenden Frauen bestehen, welche aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung den letzten Abschnitt ihres Lebens meist allein verbringen. Kurz gesagt: Einpersonenhaushalte führen zu mehr Wohnungsbedarf, höherem Ressourcenverbrauch, veränderten sozialen Netzwerken und mehr Einsamkeit, gleichzeitig verändern sie Wirtschaft, Konsumverhalten und Stadtplanung.
Liebe ist kein Algorithmus
Es ist nicht die Beziehungsunfähigkeit, die die heutige Generation prägt, sondern die veränderten Lebensumstände, gesellschaftlichen Ansprüche und die permanente Reizüberflutung. „Liebe ist kein Algorithmus“, sagt Karin Agreiter. Sie braucht Geduld, Mut – und manchmal einfach das Handy auszuschalten. Vielleicht sollten wir lernen, nicht nach dem perfekten Partner zu suchen, sondern denjenigen zu erkennen, der gerade in unserem Leben ist.
Denn Liebe bleibt die größte Herausforderung und gleichzeitig das größte Glück, das wir erfahren können. Oder wie es J.W. Goethe in seinem Gedicht „Auf dem See“ ausdrückt: „Weg, du Traum! so gold du bist; Hier auch Lieb und Leben ist“.
Karin Agreiter ist Gründerin von „be happy“: sie unterstützt Singles auf ihrem Weg zu einer stabilen, nachhaltigen und erfüllenden Partnerschaft.
Im BAZ-Interview spricht sie über moderne Beziehungshürden und darüber, was Menschen heute brauchen, um Liebe wieder bewusst und nachhaltig zu leben.
Warum starten Sie in Zeiten von Facebook, Instagram & Co. ein Unternehmen, das Singles auf ihrer Suche nach einer erfüllten Partnerschaft begleitet?
Karin Agreiter: Der Wunsch nach einer echten, verbindlichen Partnerschaft ist nach wie vor groß, aber der Weg dorthin ist für viele zunehmend schwieriger geworden. Trotz Dating-Apps, soziale Medien und deren erweiterten Möglichkeiten fehlt es oft an Tiefe, Verbindlichkeit und persönlicher Begegnung.  So entstand meine Idee. Ich habe ein innovatives Konzept ausgearbeitet, das noch für die eine oder andere Person eher ungewohnt ist, aber sehr gut ankommt.

Karin Agreiter
Was ist das Problem, dass sich so viel schwertun, den passenden Partner im realen Leben zu finden?
Wir leben in einer Zeit voller Möglichkeiten, aber auch vielfältiger Ablenkungen. Viele sind beruflich stark eingespannt, ständig online und oft überfordert von der Vielzahl an Optionen. Dazu kommt die Angst, sich festzulegen – aus Sorge, etwas zu verpassen. So bleiben viele Begegnungen oberflächlich.
Sind die Ansprüche zu hoch geworden, die man an einen Partner stellt?
Teilweise ja – vor allem durch den Einfluss von sozialen Medien, wo alles perfekt aussieht. Viele wünschen sich eine perfekte Beziehung, ohne zu erkennen, dass Liebe immer auch Arbeit, Kompromiss und Wachstum bedeutet.
Die Hälfte der Südtiroler ist Single. Können wir nicht mehr zusammenleben?
Ich denke, wir können es, aber viele haben es verlernt. Durch den hohen Grad an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung fällt es manchen schwer, sich wirklich auf einen anderen Menschen einzulassen. Beziehungen brauchen Geduld, Verständnis und Kompromissbereitschaft – Werte, die in einer schnelllebigen Gesellschaft oft zu kurz kommen.
Hat sich die Art, wie Menschen heute zueinander finden, grundlegend verändert?
Ja, sehr. Früher begegnete man sich beispielsweise über Freundeskreise, Vereine oder das Dorfleben. Heute findet vieles virtuell statt. Das kann hilfreich sein, führt aber auch dazu, dass Begegnungen unverbindlicher werden. Der persönliche Austausch, das gemeinsame Erleben und die zwischenmenschliche Chemie lassen sich online einfach nicht ersetzen.
„Generation beziehungsunfähig“: Ist das ein Klischee oder steckt da Wahrheit drin?
Ich sehe das differenzierter. Die meisten Menschen wünschen sich sehr wohl eine stabile Beziehung, aber viele sind innerlich blockiert – beispielsweise durch alte Beziehungserfahrungen, Enttäuschungen oder durch Ängste. Es ist also weniger Unfähigkeit, sondern oft ein Mangel an Vertrauen und Selbstsicherheit.
Welche Rolle spielen Dating-Apps und soziale Medien aus Ihrer Sicht – Segen oder Fluch?
Beides. Dating-Apps und soziale Medien können neue Kontakte ermöglichen, aber sie fördern oft ein sogenanntes „Konsumverhalten“ in der Partnersuche. Man wischt, vergleicht und verliert dabei schnell das Gespür für Tiefe. Viele erleben Frust und Enttäuschung, weil sich virtuelle Begegnungen im echten Leben oft ganz anders anfühlen. Wer sie bewusst nutzt, kann auch gute Erfahrungen machen.
Was ist das häufigste Problem, das Ihnen in Gesprächen mit Singles begegnet?
Viele wissen gar nicht genau, was sie wirklich wollen, oder sie tragen alte Beziehungserfahrungen und Verletzungen mit sich, die sie unbewusst bremsen. Hinzu kommen Unsicherheit, Angst vor Ablehnung und oft auch Ungeduld. Partnersuche ist heute weniger ein Mangel an Gelegenheiten als vielmehr ein Thema von innerer Klarheit und Selbstwert.
Haben sich die Erwartungen an Liebe und Partnerschaft verändert?
Ja, sehr. Früher war Partnerschaft oft eine Notwendigkeit, heute ist sie eine bewusste Entscheidung.
Warum scheitern Ihrer Erfahrung nach heute so viele Beziehungen in den ersten Jahren?
Oft, weil Menschen mit falschen Vorstellungen oder ungelösten Themen in die Beziehung starten. Anfangs ist alles aufregend, doch sobald Unterschiede oder Konflikte auftauchen, fehlt vielen das Handwerkszeug, damit umzugehen. Statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wird zu schnell aufgegeben.
Wie wirkt sich die zunehmende Individualisierung, also das Streben nach Selbstverwirklichung, auf Beziehungen aus?
Selbstverwirklichung ist grundsätzlich positiv. Sie stärkt das eigene Selbstbewusstsein.
Problematisch wird es, wenn sich alles nur um die eigene Person dreht und kein „Wir“ existiert.
Was raten Sie Menschen, die sich nach einer echten, stabilen Partnerschaft sehnen?
Vor allem aktiv zu werden. Liebe fällt nicht einfach vom Himmel. Oft wird das Thema aufgeschoben. Man wartet auf den „richtigen“ Moment, auf Zufälle oder darauf, dass das Leben die Dinge von selbst regelt.
Doch wer immer nur auf „irgendwann“ vertraut, erlebt häufig, dass nichts passiert und wertvolle Zeit verstreicht. Es braucht den Mut, den ersten Schritt zu wagen – sei es in Gesprächen, bei gemeinsamen Aktivitäten oder indem man professionelle Unterstützung in Anspruch nimmt.
Und zum Schluss ganz persönlich: Glauben Sie, dass es die „eine große Liebe“ wirklich gibt?
Ja – aber nicht im romantisch-verklärten Sinn. Ich glaube, dass es Menschen gibt, bei denen man eine besondere, tiefe Verbindung spürt. Doch diese Liebe entsteht nicht einfach so.
Sie wächst durch gegenseitiges Vertrauen, Offenheit und den Willen, füreinander da zu sein. Große Liebe ist nicht das, was man findet – sie ist das, was man gemeinsam aufbaut.