Warum nicht Strom selbst produzieren und Überschüsse mit andern in unmittelbarer Nähe teilen? Die direkte Verbindung zwischen Erzeuger und Verbraucher ist der Schlüssel für eine wirkliche Energiewende.
von Josef Prantl
Es war ein Schritt mit Symbolkraft, als sich vor gut einem Jahr engagierte Bürger aus dem Burggrafenamt in Algund versammelten, um gemeinsam die „Energiegemeinschaft und Bürgergenossenschaft Burggrafenamt“ (EBB) aus der Taufe zu heben. Die Idee dahinter: Strom nicht länger von irgendwoher beziehen – sondern selbst erzeugen, lokal verbrauchen und gemeinschaftlich handeln. Rund 80 Mitglieder zählt die Genossenschaft momentan und alle im Vorstand arbeiten ehrenamtlich.
„Die Energiewende darf kein leeres Wort bleiben“, sagt Ulrich Gamper. Als langjähriger Bürgermeister von Algund und aktuell als Präsidenten des Bezirksausschusses kennt er die Herausforderungen des Burggrafenamts – aber auch dessen Potenzial. Und er ist kein Neuling, wenn es um Genossenschaften geht: Vor Jahrzehnten hat er das „Biokistl“ gegründet, eine Pionierinitiative in Sachen biologischer Landwirtschaft. Jetzt widmet er sich mit voller Kraft dem Thema Energie.
„Wir alle können etwas dafür tun, um den CO₂-Ausstoß zu senken und die Abhängigkeit von anderen Staaten verringern“, sagt Gamper. Unser Geld soll nicht zum Waffenkauf und Unterdrückung in anderen Teilen der Welt verwendet werden, sondern vor Ort für unsere Bedürfnisse. Für ihn ist die EBB auch mehr als ein technisches Projekt. „Es ist ein gesellschaftlicher Wandel, der hier ansetzt. Es geht nicht in erster Linie um Profit, sondern um ein ökologisches Umdenken“, erklärt Gamper.
Mitglieder des Verwaltungsrates der EBB, v. l.: W. Gadner, U. Gamper, D. Mittelberger, S. Plank, P. Moosmair; nicht auf dem Bild O. Unterkofler
Ein intelligenter Stromkreislauf
Die EBB ist als Energiegemeinschaft im Sinne der EU-Richtlinie „Erneuerbare Energien“ konzipiert. Das bedeutet: Bürger, Gemeinden und Betriebe können gemeinsam erneuerbaren Strom erzeugen und verbrauchen. Wer eine Photovoltaikanlage betreibt, wird zum „Prosumer“ – also Produzent und Konsument in einem. Überschüssiger Strom wird ins Netz eingespeist und steht dann auch den anderen Mitgliedern der Genossenschaft, den sogenannten Consumern, zur Verfügung. Der Staat fördert diesen direkten Austausch unter den Mitgliedern mit bis zu 12 Cent pro KW-Stunde.
Das funktioniert dank eines cleveren Systems: Neun Primärkabinen verteilen im Burggrafenamt den Strom im ganzen Bezirk – lokal, schnell und verlustarm. Damit das funktioniert, müssen Produzent und Verbraucher innerhalb derselben Kabine angeschlossen sein. Eine technische Hürde, aber auch ein Vorteil: Strom wird dort verbraucht, wo er entsteht. Der lokal erzeugte Strom wird zwar nicht physisch direkt zum Nachbarn geleitet – aber über die sogenannten Primärkabinen im Bezirk wird der eingespeiste Strom dort verteilt, wo er gebraucht wird. „Das macht das Stromnetz effizienter und entlastet die großen überregionalen Leitungen“, erklärt Werner Gadner.
Waschmaschine bei Sonnenschein
„Es ist ein Umdenken notwendig“, sagt Lanas Vizebürgermeister und Vorstandsmitglied der EBB . „Wenn die Sonne scheint, läuft die Waschmaschine – nicht abends um sieben.“ Dieser bewusste Umgang mit Energie, das Verschieben des Verbrauchs auf Zeiten hoher Produktion, ist ein zentraler Baustein des Modells. Besonders Betriebe könnten profitieren: Wer flexible Produktionszeiten hat, kann kostenbewusst und ökologisch handeln – und gleichzeitig die lokale Wirtschaft stärken. Denn der Strom kommt nicht mehr anonym vom internationalen Markt, sondern direkt vom Nachbardach.
Kein kommerzielles Projekt
Das betont auch Gampers Stellvertreterin in der EBB, die Bürgermeisterin von Vöran Daniela Mittelberger: „Wer Mitglied wird, setzt ein Zeichen. Für bewussten Energieverbrauch, für Regionalität, für die Zukunft.“ Die EBB ist nicht gewinnorientiert. Überschüsse fließen zurück in die Gemeinschaft – etwa durch Förderbeiträge, die allen zugutekommen, auch jenen ohne eigene Anlage. „Wir können nicht weitermachen wie bisher,“ sagt Mittelberger. Für sie ist klar: Wer Teil der Genossenschaft wird, trägt aktiv zur Energiewende bei – im Kleinen, aber mit großer Wirkung.
In Südtirol gibt es zehn Energiegemeinschaften, die – bis auf Bozen – das ganze Land abdecken. Im Bild Vertreter der Energiegemeinschaften mit LR Brunner
Energiegemeinschaften in Südtirol
Die Energiegemeinschaft Burggrafenamt steht nicht allein. In Südtirol gibt es bereits mehrere solcher Initiativen, im Eisacktal, in Pontives, Jenesien, im Tauferer Ahrntal und Sarntal. Pioniere sind das „Vinschgauer Energie Konsortium“ und die „EUM“ in Moos im Passeiertal– eine der ersten und erfolgreichsten Genossenschaften im Land. Die Bewegung wächst. Ulrich Gamper ist als Präsident der Bezirksgemeinschaft auch für das Thema Energie zuständig – und bringt die Idee aktiv in weitere Gemeinden. Sein Ziel: In möglichst vielen Gemeinden sollen Menschen selbst entscheiden können, Teil der Energiewende zu sein – nicht nur als Zuschauer, sondern als aktive Gestalter.
Schon jetzt haben sich weitere Gemeinden und Betriebe angekündigt, beizutreten. Auch eine stärkere Zusammenarbeit mit Schulen, Tourismusbetrieben und sozialen Einrichtungen ist angedacht. Die EBB soll nicht nur Strom liefern – sondern Verantwortung, Bildung und Zukunftsperspektive. „Es geht um mehr als nur Strom“, sagt Gamper: „Es geht um eine neue Haltung zur Zukunft und um weniger Abhängigkeit.“ Die EBB verringert die Abhängigkeit von Konzernen.
Drei Fragen …
Wer steht hinter der Energiegemeinschaft und Bürgergenossenschaft Burggrafenamt?
Ulrich Gamper: Hinter der EBB stehen Vertreter der Gemeinden des Burggrafenamtes und seit über einem Jahr viele sozial engagierte Bürger mit großem Interesse im Bereich der erneuerbaren Energie.
Warum sollte man beitreten?
Ulrich Gamper: Jedes Mitglied stärkt unsere Gemeinschaft vor Ort, erhöht die Chance im Bereich Energie selbst mitzubestimmen und minimiert längerfristig die Abhängigkeit von großen Konzernen.
Wie sehen Sie die Zukunft der EBB?
Ulrich Gamper: Die Genossenschaft fördert ihre Mitglieder durch die Weiterleitung der staatlichen Beiträge und dadurch auch die erneuerbaren Energien. Die Bevölkerung vor Ort ist ein wichtiger Ansprechpartner im Energiebereich, der sich in den nächsten Jahren sehr verändern wird und große Chancen bietet, die wir nicht versäumen sollten.
Daniela Mittelberger: Ich sehe die EBB – Energiegemeinschaft und Bürgergenossenschaft Burggrafenamt in Zukunft als Genossenschaft, die im Burggrafenamt als Ansprechpartner und lokaler Akteur im Bereich der erneuerbaren Energien auftritt und Investitionen umsetzt, von denen alle Mitglieder profitieren.