Der Deutschnonsberg und der Löwenzahn

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Der Deutschnonsberg und der Löwenzahn

Der Deutschnonsberg hat in Südtirol eine Sonderrolle.Die Trentiner sprechen von der Val di Non, wir Südtiroler vom Deutschnonsberg. Vereinzelt spricht man auch von der Deutschgegend am Nonsberg.
von Philipp Genetti

Geografisch betrachtet handelt es sich um eine Enklave, denn die drei Deutschnonsberger Gemeinden Unsere Liebe Frau im Walde-St. Felix, Proveis und Laurein waren bis vor wenigen Jahren nur über die Straße durch die Nachbarprovinz erreichbar. Dennoch sind die beschaulichen Dörfer kulturell seit dem Mittelalter als deutschsprachige Gemeinden dokumentiert und dienten bereits zu dieser Zeit als Wallfahrtsorte. Eine besondere kulinarische Attraktion im Frühling stellen am Deutschnonsberg die mittlerweile traditionellen „Löwenzahnwochen“ dar. Eine der vielen Initiativen, die im Rahmen der Leader-­Programme entstanden sind. Leader-Koordinator Hubert Ungerer und Tourismusvereinspräsident Mirko Mocatti erklären:

Hubert Ungerer

Worum geht es bei dieser Veranstaltungsreihe?
Hubert Ungerer: Im Mittelpunkt der Löwenzahnwochen stehen Gerichte und Produkte, die aus Löwenzahn hergestellt werden. Dabei handelt es sich um eine Pflanze, die im Frühling zahlreich auf unseren Wiesen und Feldern zu finden ist. In den Restaurants und Gasthäusern werden während der Löwenzahnwochen kreative Ge­richte mit Löwenzahn an­ge­bo­ten, beispielsweise Salate, Suppen, Nudelgerichte oder Desserts. Auch Löwenzahnwein und Löwenzahnlikör gehören zum kulinarischen Angebot.

Wann finden die Themenwochen in diesem Jahr statt und was sind ihre Höhepunkte?
Dieses Jahr finden die Löwenzahnwochen am Deutschnonsberg vom 15. April bis zum 7. Mai statt, es handelt sich um die 27. Auflage der gastronomischen Ini­tiative. Wie jedes Jahr geht es beim Rahmenprogramm darum, bei Kräuterwanderungen und ähnlichen Angeboten die Wildkräuter, insbesondere den Löwenzahn kennenzulernen, aber auch in die Natur und Kultur der Gegend einzutauchen.

Bereits seit über zwei Jahr­zehn­ten hat sich die Initiative rund um den Löwenzahn hier vor Ort am Deutschnonsberg weiterentwickelt. Welchen Stellenwert hat die Veranstaltungsreihe heute für den Nonsberg?
Die Löwenzahnwochen haben heute einen hohen Stellenwert für den Deutschnonsberg. Die Veranstaltungsreihe ist zu einem wichtigen Ereignis geworden, das nicht nur Feriengäste, sondern auch Einheimische anzieht. Die Veranstaltung fördert auch den regionalen Tourismus und die Wirtschaft, da viele lokale Produzenten und Gas­tronomen an der Veranstaltung teilnehmen und ihre Produkte zeigen.

Mirko Mocatti

Ein maßgeblicher Ideengeber für die Initiative war Kräuterpfarrer H. Joseph Weidinger (1918-2004). Was hat es damit auf sich?
Kräuterpfarrer H. Joseph Weidinger war ein bekannter österreichischer Geistlicher, Kräuterkundler und Autor von zahlreichen Büchern über die Heil­kraft von Kräutern und Pflanzen. Er war Mitbegründer des Kräuterpfarrer-Zentrums in Österreich, das sich der Erforschung und Verbreitung des Wissens über Kräuter und Heilpflanzen widmet. Weidinger war ein großer Verfechter der Verwendung von Kräutern und Wildpflanzen in der Küche und setzte sich dafür ein, das Wissen darüber zu erhalten und weiterzugeben. Er hat maßgeblich an der Entwicklung der Löwenzahnwochen am Deutsch­nonsberg beigetragen, da er als erster „Starreferent“ die Lö­wen­zahnwochen im fernen Jahr 1996 in Unsere Liebe Frau im Walde eröffnet hat. Sein Wissen über die Verwendung von Löwenzahn als Heilpflanze und Nahrungsmittel war eine wichtige Grundlage für die Entstehung der Veranstaltungsreihe.

Welchen Bezug hatte Weidinger bis dahin zur Grenzregion?
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Kräuterpfarrer Weidinger keinen direkten Bezug zum Deutsch­nonsberg, war aber im deutschsprachigen Raum als der „Kräuterpapst“ bekannt. Als er als Referent und Gastredner zur Eröffnung der Löwenzahnwochen 1996 eingeladen wurde, nahm er diese Einladung gerne an und reiste von Karlstein an der Thaya (an der tschechischen Grenze) an und begeisterte ein großes Publikum im Mehrzwecksaal in Unsere Liebe Frau im Walde mit seinem pointierten Wissen über noch so unbedeutende Kräutlein und ganz besonders auch über den Löwenzahn. Darauf reiste auch eine Deutsch­nonsberger Delegation zum Gegenbesuch nach Karlstein, um das dortige Kräuterzentrum zu besichtigen und sich mit Pfarrer Weidinger zu treffen. Auf diese Weise blieb der Kontakt bis zu seinem Tod aufrecht.

Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des Projektes spielte aber auch das europäische Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums Leader. Wie fügt sich das eine zum anderen?
Das europäische Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums Leader ist ein Förderprogramm der Europäischen Union, das dazu beitragen soll, die ländlichen Gebiete Europas wirtschaft­lich und sozial zu stärken. Die Ent­stehung der Löwenzahnwochen am Deutschnonsberg wurde als eines der ersten Projekte durch das Leader-Programm unterstützt. Sie sind somit ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung eines Leader-Projekts, das zur nachhaltigen Entwicklung und Stärkung der regionalen Wirtschaft beiträgt. Die Zusammenarbeit der lokalen Akteure und die Förderung durch das Leader-Programm haben dazu beigetragen, dass die Veranstaltungsreihe heute zu einem wichtigen Ereignis für die Region geworden ist.

Was waren die lokalen Triebkräfte vor Ort, die das Projekt vorangetrieben haben?
Mirko Mocatti: Die kulinarische Initiative ist an der Schnittstelle zwischen Gastronomie und Landwirtschaft. Träger der Initiative sind vor allem die Gastronomiebetriebe, aber auch die Gemeinden, die lokalen Vereine und Land­wirte sind wichtige Partner und haben die Veranstaltungsreihe proaktiv unterstützt, indem sie die Betriebe mit Löwenzahn beliefern bzw. das Rahmenprogramm mitorganisieren oder un­ter­stützen. Durch die Initiative ist viel Know-How zu uns gekommen und die teilnehmenden Partner konnten sich dadurch auch weiterentwickeln und Schritt für Schritt professionalisieren. Die Zusammenarbeit und der Austausch hat sich intensiviert, neue Produkte und Angebote sind entstanden, in Form von Speisen, Zus­atz­an­ge­boten in Gasthöfen und Hotels oder veredelten Produkten in der Landwirtschaft (Säfte, Honig, spezielle Käsesorten oder veredelte Fleischwaren).

Was macht dieses Projekt so erfolgreich?
Das Projekt rund um die Löwenzahnwochen ist verankert und nicht künstlich inszeniert. Es war eine der ersten kulinarischen Wochen in Südtirol mit thematischem Schwerpunkt. Gerade die Einfachheit, die Bodenständigkeit, die Verwurzelung zum Gebiet sind Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass der Löwenzahn für das Gebiet heute noch ein Erfolgsfaktor ist.

Welche Rolle spielte der Löwenzahn früher?
Der Löwenzahn spielte früher vor allem in der bäuerlichen Kultur und in der Frühlingsküche eine große Rolle. Die Verwendung von Löwenzahn geht allgemein im Alpenraum bis zum Mittelalter zurück und ist mit volkstümlichen Bräuchen, Anwendungen und Rituale verbunden – zusätzlich zur Nutzung in der Küche und in der Hausapotheke. Bis heute ist er ein beliebtes Spielzeug für Kinder (geringelte Ketten, oder Puste-Blumen).

Was ist das Faszinierende an dieser Pflanze?
Löwenzahn vermittelt Kraft, wächst überall und ist un­ver­wüst­lich, die Wurzeln kön­nen meterlang werden. Die Pflanze ist anpassungsfähig, hebt auch Pflasterboden und sogar den Asphalt. Nach dem Winterschlaf hat der Löwenzahn eine reaktivierende Wirkung.

Wie wirkt Löwenzahn auf die Gesundheit?
Die gesundheitlichen Effekte vom Löwenzahn sind für körperliches und geistiges Wohlbefinden bekannt. Der Löwenzahn sorgt im Frühjahr, dass der „Motor in Schuss kommt“. (einige Heilwirkungen laut Weidinger sind: Stoffwechsel anregend, fördert die Verdauung, ist harntreibend, entschlackend, blutreinigend, Leber und Galle anregend, tonisch, hautreinigend). Von der Wurzel über die Blätter bis hin zur Blume können alle Elemente vom Löwenzahn verwendet und verwertet werden. Kräutertees (Aufgüsse), Tinkturen oder Auszüge sind Beispiele für einfache Mittel für den Hausgebrauch oder für die eigene Haus­apotheke. Aber auch Salben und Seifen können mit Löwenzahn her­gestellt werden. Während der Löwenzahnwochen in den letzten 25 Jahren hat man mehrere gesamtheitliche Aspekte bei Angeboten und Produkten berücksichtigt: von Kräuterwanderungen, bis hin zum Heilfasten. Vom Entschlackungsgetränk als Frühstücksritual bis hin zum Kräutertee als Verdauungsgetränke. Von der Herstellung von Tinkturen bis zur Herstellung von Cremen oder Peeling-Seifen die einen Sauna­gang ergänzen. Kneippen, Waldbaden oder Übungen zur Achtsamkeit und Konzentration mit Experten runden das Angebot rund um die Löwenzahnwochen ab.

Gibt es noch Kontakt zum Kräuterpfarrer-Weidinger-Zentrum?
Der Austausch zwischen dem Kräuterpfarrer-Weidinger-Zentrum und den Organisatoren der Lö­wenzahnwochen am Deutsch­nons­berg blieb bestehen. Auch Kräuterpfarrer Benedikt Felsinger, der nach dem Tod Weidingers folgte, war schon als Referent am Deutschnonsberg und trat bei den Löwenzahnwochen auf. Die Zusammenarbeit führte dazu, dass das Wissen über die Verwendung von Kräutern und Wildpflanzen in der Küche und als Heilmittel in der Region weiterverbreitet und vertieft wurde.