Standseilbahn Meran-Schnenna: Über 350 Interessierte bei Infotag
16. Februar 2023
Die Macht des Herrn Pfennig
20. Februar 2023
Alle anzeigen

Marlinger Leit

Wussten Sie, dass in den USA Marling ein gebräuchlicher Familienname ist? Woher der Name kommt, lässt sich nicht mehr erschließen. Johannes Ortner, der bekannte Meraner Namensforscher, spricht von einem vorrömischen Personennamen, vielleicht einem Marnius. Mit knapp 3000 Einwohnern ist Marling zwar nicht die größte Gemeinde, aber bekanntlich zählt Qualität und nicht Quantität.
von Josef Prantl

„Marlinger Leit“ nennt sich ein Buch, das kürzlich im Auftrag des Bildungssauschusses erschienen ist. Auf fast 300 Seiten lernt der nicht nur an Geschichte interessierte Leser Dorfpersönlichkeiten kennen, die so einiges von sich zu erzählen haben. Zusammengeschrieben haben diese Lebensgeschichten der langjährige St. Martiner Gemeindesekretär Sepp Gufler zusammen mit der ehemaligen Urania-Leiterin Lena Adami.
Schritt um Schritt entfaltet sich vor den Augen des Lesers das Panorama vergangener Jahrhunderte aus dem Blickwinkel Marlinger „Leit“. „Als Heimatpfleger, Chronist und Hobbyfilmer habe ich immer wieder besondere Ereignisse in Marling festgehalten und besitze eine stattliche Sammlung von Zeitungsberichten, Tonbandaufzeichnungen und über 80 Filme“, schreibt Sepp Gufler im Vorwort. „Mein Bedürfnis ist und war es, Leute, die sich für unsere Dorfgemeinschaft und auch darüber hinaus eingesetzt haben, in Erinnerung zu rufen“. Franz Innerhofer sen. macht den Auftakt.

Unvorstellbar, was Sepp Gamper alles geleistet hat

Josef Menz-Popp

Franz Innerhofer sen.

Der „alte“ Franz Innerhofer
Franz Innerhofer jun., der 1921 am sogenannten Blutsonntag von Faschisten in Bozen erschossen wurde, und seine Tochter Maridl, die spätere über die Landesgrenzen hinaus bekannte Mundartdichterin, sind den meisten bekannt. Der Großvater Franz Innerhofer (1851 – 1927) steht deshalb oft im Schatten der Marlinger Familie, zu Unrecht, hat er für das Dorf doch sehr viel getan. Die „Innerhofers“ waren immer schon eine Lehrerfamilie. „Mein Urgroßvater ließ sich in Marling nieder und war dort Schulleiter, Organist, Kapellmeister, Gemeindeschreiber und Gründer der Kellereigenossenschaft und der Raiffeisenkasse“, erinnert sich Werner Stuppner. „Die Dorfgemeinschaft dankte es ihm mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft“, so der aktuelle Vorsitzende des Bildungsausschusses.

Dableiber, Politiker und Bauer
„Die Größten von Marling sein der Popp, die große Glogg, der Weltenzwinger (die Monstranz ist gemeint) und der Focknringer (der heilige Antonius, Kirchenpatron von Marling)“, hieß es einst. Die Menz stammen aus dem Allgäu, aus der Gegend um Kempten. Seit 1712 besitzen sie den Popphof in Marling. 1897 übernahm Josef Menz (1883 – 1975) bereits mit 14 Jahren mit seiner Mutter den elterlichen Hof. Sein Onkel Hans war Mitgründer der Marmeladenfabrik Menz & Gasser. Als Landespolitiker und Dableiber hat sich Josef Menz-Popp einen Eintrag in die Geschichtsbücher verdient. Politisch engagierte er sich früh, war bereits vor dem Ersten Weltkrieg Mitglied der christlich-sozialen Partei und von 1913 – 1918 Burggräfler Vertreter im Tiroler Landtag. Mehrfach wurde er unter dem Faschismus inhaftiert, 1939 war er einer der prominentesten Vertreter der Dableiber. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte er zu jenem Kreis, welche die Südtiroler Volkspartei gründeten. Nach Erich Amonn wurde er von 1948 – 1951 auch deren Obmann. In diesen Jahren war er auch Abgeordneter des Südtiroler Landtages. Für seine Verdienste wurde Josef Menz-Popp 1959 das Ehrenzeichen des Landes Tirol verliehen.

„Die Russen sind mir lieber als die Amerikaner“
Ein denkwürdiges Ereignis jährt sich heuer zum 80. Mal. Im September 1943 besetzten die Nazis Italien, der „Fall Achse“ war eingetreten. Südtirol wurde zur Operationszone Alpenvorland und viele junge Burschen, auch Dableiber (also italienische Staatsbürger), wurden eingezogen. So erging es auch Anton Matzoll (1923 – 2017). Drei Jahre war er in russischer Gefangenschaft und was erstaunlich ist, der „Tuni“ erinnert sich gar nicht so traumatisch an diese Zeit zurück: „I honns besser kopp bei die Russn als ondere bei die Amerikaner“. Von April 1945 bis März 1948 war er in Tula in der Nähe von Moskau in Gefangenschaft. Die Arbeit in einem Kohlebergwerk stellte sich für ihn als Glücksfall heraus: „Popov war mein Chef, er war sehr gutmütig und hat mich gern gemocht.“ Sepp Gufler hat mit Tuni 2014 eine Tonbandaufzeichnung gemacht, in der dieser ausführlich von seiner Gefangenschaft und dem Leben im russischen Bergwerk erzählt. „Zum Essen bekamen wir täglich 1200 Gramm Brot. Am Morgen Kaffee oder Tee und zu Mittag und abends Kapuschkasuppe“, erinnert er sich. Das Schlimmste war die Ungewissheit, je wieder freigelassen zu werden. „I bin lei froa, dass i nia kuen drschossen honn. Af mi hot a nia niamet gschossn!”, so der Tuni. Am 25. 3. 1948, also genau 5 Jahre nach seinem Einrücken, kehrte er heim.

Autor Sepp Gufler erinnert an Marlinger Persönlichkeiten

„Marlinger Leit“ Co-Autorin Lena Adami

Manfred Leiner spürt seinen adeligen Vorfahren nach

Das Multitalent
Die wohl vielseitigste Marlinger Persönlichkeit ist Sepp Gamper (1922 – 2009). 30 Jahre lang Obmann der Obstgenossenschaft Cofrum, 19 Jahre lang Obmann der Kellereigenossenschaft, langjähriger Verwaltungsrat des Landesverbandes der Obstgenossenschaften und der Kellereigenossenschaften, Präsident des Raiffeisenverbandes, Bauernbund-Ortsobmann, 20 Jahre lang Mitglied in der Landeshöfe-Kommission, Präsident des Gemeindenverbandes, Mitbegründer und erster Präsident der Bezirksgemeinschaft, und das ist noch nicht alles: Träger des Verdienstkreuzes des Landes Tirol, Cavaliere in Merito della Repubblica Italiana, mehrere Verdienstzeichen. Das alles in einem Leben unter einen Hut zu bekommen, ist schon eine Leistung! Dabei hat der Krautsamer-Bauer nicht einmal ein Abschlusszeugnis, wie er selbst offen zugab. Aufgewachsen unter dem Faschismus besucht Sepp Gamper die Volksschule in italienischer Sprache: „Die Lehrpersonen kamen von anderen Provinzen und sprachen kein Wort Deutsch. Sie hatten kein besonderes Interesse, uns faschistisch zu erziehen. Das waren im Grunde keine Faschisten. Wer willig war, konnte den Umständen entsprechend doch ganz gut lernen“, zitiert Sepp Gufler den 2009 verstorbenen Sepp Gamper. Nach vier Jahren Volksschule besuchte er ein Jahr die „Avviamento“ (= Handelsschule) in Meran, konnte aber nicht weitermachen, da er sich nicht bei den Faschisten einschreiben wollte. In Bozen besuchte er daher 1936/37 die Privatschule „Professor Wedel“. Sie wurde von einem deutschen Ehepaar geführt, musste allerdings noch im selben Jahr schließen. 1943 eingezogen wurde Sepp Gamper gegen Ende des Krieges schwer verletzt und ihm musste ein Bein amputiert werden. Die Heimkehr gestaltete sich als abenteuerliche Flucht. Als Invalide konnte er in der Landwirtschaft nicht mehr arbeiten und hatte so mehr Zeit, sich anderen Dingen zu widmen, wie er immer sagte. Seine vielseitigen Talente sind ihm dann sehr entgegengekommen.

Die Apfelkrone gehört Marling
Sie gehört zu Marling wie die Riesentraube zu den Algundern. Alljährlich hat sie ihren Auftritt beim Meraner Traubenfest am dritten Oktoberwochenende. 1951 kam sie zum ersten Mal zum Einsatz. Dann war das Holzgestell in Form einer Krone eine Zeit lang verschollen, bis es 1984 wieder nach Marling zurückkam. Seitdem ist die Apfelkrone der ganze Stolz der Marlinger. Das Meraner Traubenfest lockt alljährlich Zehntausende Gäste aus nah und fern zum Trachtenumzug, der 1886 zum ersten Mal veranstaltet wurde. Viel Arbeit steckt hinter der Krone. Bis zu acht Frauen und Männer sind drei Tage lang damit beschäftigt, rund 650 Kilo Äpfel am Gerüst anzunageln. Dazu schmücken an die 700 Nelken den Wagen, der von einem Vierpferdegespann durch die Straßen Merans gezogen wird.

Die junge Marlinger Schriftstellerin Lena Wopfner

Kunst aus Marling in die weite Welt: Maler und Bildhauer Stefan Fabi

Der Vielseitige
In Manfred Leiner fließt blaues But. Seitdem er weiß, dass sein Ururgroßvater der uneheliche Sohn keines Geringeren als von Erzherzog Johann ist, lässt ihn die Ahnenforschung nicht mehr los. „Meinen Vorfahren bin ich bis zum Jahr 570 n. Chr. nachgegangen“, schmunzelt der rührige Marlinger, der nicht nur prunkvolle Ahnentexte in gotischer Handschrift verfasst, sondern von all seinen vermeintlichen Vorfahren ein Porträt gemalt hat. Mittlerweile entstand eine Ahnengalerie, die bis auf Rudolf II. zurückgeht. Viele Talente vereint Manfred Leiner noch dazu: Er war einer der Ersten in Marling, der die intensive Anpflanzung im Obstbau einführte. Mit Maridl Innerhofer, Karl und Alois Greiter schrieb er am Marlinger Dorfbuch, außerdem ist er ein fleißiger Briefmarkensammler und entwarf 1898 für die italienische Post einen Sonderstempel zum 100-jährigen Bestehen des Postamtes Marling. Leiner hat auch das Genossenschaftswesen entscheidend mitgeprägt. Er war Vorstandmitglied der Kellereigenossenschaft und der Sennereigenossenschaft, Aufsichtsratsvorsitzender der Cofrum, Verwaltungsrat im Raiffeisenverband sowie in der Raiffeisenlandesbank; dazu noch 47 Jahre lang Obmann-Stellvertreter bzw. Obmann der Raika Marling.

Kunst, Kultur und mehr …
Künstlerisches Marling: Die Bezeichnung trifft sogar zu. Denn so einige Künstler leben und wirken im Dorf. Da sind in erster Linie der Malerpoet Luis Stefan Stecher oder der junge Maler und Bildhauer Stefan Fabi zu nennen, aber auch Frieda Baldini mit ihren Klosterarbeiten, die Künstlerin Antonia Waldpoth, der Tourismusverein-Direktor und „Tisner Bua“ Helmuth Gruber, der langjährige Bürgermeister und Weinmuseums-Gründer Walter Mairhofer und nicht zuletzt die Nachwuchsschriftstellerin Lena Wopfner. Wer mehr über sie alle wissen möchte, sollte einen Blick in „Marlinger Leit“ werfen. Es lohnt sich. Spätestens dann wissen Sie auch, dass Marling vier Sektproduzenten vorzuweisen hat.

650 kg Äpfel und 700 Nelken schmücken die Marlinger Apfelkrone für das Meraner Traubenfest