Euregio nimmt Übergangsphasen Jugendlicher unter die Lupe
1. Februar 2023
Die zwei Straßen der Heiligen Anna
3. Februar 2023
Alle anzeigen

Heißes Eisen

Es ist ein heißes Eisen: die mehrsprachige Schule. Während die einen darauf pochen, das hart erkämpfte Recht des Unterrichts in der Muttersprache auf keinen Fall in Frage zu stellen, fordern andere schon lange einen mehrsprachigen Unterricht an den Schulen, also dass Fächer in verschiedenen Sprachen unterrichtet werden. Dem gegenüber steht Artikel 19 des Autonomiestatutes, an dem kein Jota geändert werden dürfe.

von Josef Prantl

Dass unsere Gesellschaft gespalten ist, fällt jedem sofort auf. Die Trennung zwischen italienischer und deutscher Bevölkerung ist nicht nur in Bozen eine Tatsache. Die beiden Sprachgruppen bleiben unter sich, wir leben gut aneinander vorbei, wie der Gründer der Meraner Sprachschule „Alpha&Beta“, Aldo Mazza es einmal formuliert hat. Dabei ist Mehrsprachigkeit in den Städten schon längst Realität. Die bunte, mehrsprachige Schule ist dort keine Vision, sondern Realität, der die Lehrpersonen mehr oder weniger hilflos ausgesetzt sind. In den Schulbänken sitzen vor ihnen Schüler aus Dutzenden Ländern unterschiedlichster Muttersprachen. „Der Unterricht in der Muttersprache ist eine der wichtigsten Säulen der Autonomie. Grüne und Co. tun alles, um Artikel 19 zu Fall zu bringen und um gemischtsprachige Schulen einzurichten“, posaunieren die Freiheitlichen und machen sich große Sorgen um die Zukunft, denn: „Die deutsche Schule ist für uns Südtiroler als sprachliche Minderheit lebenswichtig. An dieser zentralen Säule unserer Autonomie darf nicht gerüttelt werden. Die ehemalige Schullandesrätin Sabina Kasslatter Mur meinte vor 10 Jahren allerdings: „Die deutsche Schule in Südtirol ist keine einsprachige – und auch keine gemischtsprachige Schule, sondern eine mehrsprachige Schule. Die Schüler sind am Ende ihrer Schullaufbahn dreisprachig – oder sie sollten es zumindest sein.“

Sinkendes Niveau im Bildungssystem
Dem scheint aber nicht so zu sein: Die Schule werde einer soliden Grundausbildung immer weniger gerecht, lautet die erstarkende Kritik am Bildungswesen. CLIL-Unterricht (Content and Language Integrated Learning) zum Beispiel habe nicht zum erhofften Ergebnis geführt. Die Testergebnisse der letzten Zeit stellen den Oberschülern kein gutes Zeugnis in der Kenntnis der Zweitsprache aus. Arbeitgeber klagen zusehends über mangelnde Sprachkenntnisse bei Schulabgängern.

Scheitert das inklusive Modell?
Die hohe Zahl an Schülern mit Migrationshintergrund, die der deutschen (bzw. italienischen) Sprache nicht mächtig sind, ist im städtischen Bereich ein großes Problem. Das inklusive Modell ist auf dem Papier schön anzusehen, die Praxis sieht dann aber wieder ganz anders aus. Davon können Lehrpersonen ein Lied singen. Zuerst die Sprache lernen, fordern immer mehr.
Ist der Schutz der deutschen

Schule noch zeitgemäß?
Die Wissenschaft spricht eigentlich nur von den Vorteilen mehrsprachiger Bildung. Immer mehr Eltern, aber auch Oberschüler wünschen eine Alternative zu den ausschließlich getrennten deutschen oder italienischen Schulen. Ein mehrsprachiger Unterricht wäre eine Bereicherung für unser Land, meinen die Grünen, und auch das Team K und setzen sich dafür ein, die Trennung nach Sprachgruppen im Bildungswesen mit der mehrsprachigen Schule zu überwinden. Die SVP ist diesbezüglich zurückhaltender: Damit Südtirol auch in Zukunft die Vorteile der sprachlichen Vielfalt bewahren kann, müssten einzelne Sprachgruppen gewahrt und geschützt werden. Es ist aber wichtig, den Sprachunterricht in deutsch- und italienischsprachigen Schulen aufzuwerten und auszubauen. „Die hart erkämpfte Möglichkeit, den Schulunterricht in der eigenen Muttersprache zu verfolgen, darf aber auf keinen Fall in Frage gestellt werden“, schreibt die Meraner SVP auf ihrer Facebook-Seite. „Gemeinsame Pausenhöfe und Mensen, gemischtsprachige Nachmittagsbetreuung und eine Durchmischung auf Vereins­ebene sind mitunter wichtige Maßnahmen, um die Sprachgruppen zusammenzuführen und die gegenseitige Bereicherung zu fördern“, ist Vizebürgermeisterin Katharina Zeller überzeugt. Eine sprachliche Minderheit stehe und falle mit ihrer Schule, das habe bereits Silvius Magnago betont.

Internationale Schule oder mehrsprachiger Fachunterricht?
Ein Drittel Unterricht in deutscher, ein Drittel in italienischer und ein Drittel in englischer Sprache lautet ein Vorschlag der Verfechter einer gemischtsprachigen Schule. Die Freie Universität Bozen mache es gut vor! Wenn es dort klappt, warum nicht an einer Oberschule? Die in aller Munde geplante „Internationale Schule“ (in englischer Unterrichtssprache) ist damit nicht gemeint. Die Grünen befürchten Eliteschulen für besser Betuchte, so wie es im Gesundheitswesen mit den vielen Privatkliniken bereits passiert ist. Mehrsprachiger Unterricht hingegen sollte überall dort eingeführt werden, wo es gewünscht wird.

Kurzer geschichtlicher Rückblick
Lange Zeit war die Schule das zentrale volkstumspolitische Anliegen. Die Geschichte unseres Bildungswesens seit 1945 spiegelt sehr gut den Werdegang der Landesautonomie wider. Entsprechend den drei offiziellen Landessprachen ist es dreigeteilt: Es gibt eine deutsche, eine italienische und eine ladinische Schulwelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Südtiroler Schule völlig neu aufgebaut werden. Mit dem Pariser Vertrag vom 5. September 1946 wurde in Artikel 1 der Unterricht in der eigenen Muttersprache zugesichert. Zunächst mangelte es an Lehrkräften und geeigneten Räumlichkeiten. Das Erste Autonomiestatut von 1948 brachte der Provinz Bozen zwar die primäre Gesetzgebungskompetenz in der Berufsbildung (also der Berufsschule), Volks- und Sekundarschule blieben aber weiterhin unter staatlicher Kontrolle. Im Schuljahr 1963/64 wurde die Mittelschule eingeführt. In allen Gemeinden über 3000 Einwohner sollten nun Mittelschulen errichtet werden. Anfangs standen weder Räume noch Lehrkräfte und Schulleitungen zur Verfügung. Im zweiten Autonomiestatut aus dem Jahre 1972 wurde in Art. 19 die Schulordnung Südtirols klar definiert: In der Provinz Bozen wird der Unterricht in den Kindergärten, Grund- und Sekundarschulen in der Muttersprache der Schüler, das heißt in italienischer oder deutscher Sprache, von Lehrkräften erteilt, für welche die betreffende Sprache ebenfalls Muttersprache ist. Nicht ohne Widerstand wurde der Italienischunterricht angenommen, im Pustertal kam es anfangs gar zu Schulbestreikungen. Die italienische Schule hingegen zögerte lange, Muttersprachler für den Zweitsprachunterricht anzustellen. Mit der Einsetzung der drei Schul­ämter für die drei Sprachgruppen 1975 en­dete jene Phase, in der die deutsche Schule in Süd­tirol nur eine Art italienische Schule in deutscher Übersetzung war. Es begann die neue Phase des Ausbaus der Südtiroler Schulautonomie, allerdings auch mit recht unterschiedlichen Verwaltungen, Konzepten, Vorstellungen zwischen den drei Schulämtern. In letzter Zeit wurde daher der Ruf nach Zusammenlegung zu einer einheitlichen Bildungsdirektion immer lauter.

Vielsprachigkeit als Realität

Am Institut für angewandte Sprachwissenschaften an der EURAC wird über Mehrsprachigkeit geforscht.
Die BAZ sprach mit der Professorin der Freien Universität Bozen und Leiterin des Eurac-Instituts für Angewandte Sprachforschung, der Bozner Linguistin Andrea Abel:

Univ. Prof. Andrea Abel

Muttersprache und Spracherwerb sind in Südtirol ein heikles Thema. Sind Sprachmischungen gefährlich für die Sprachentwicklung bzw. laufen Mehrsprachige nicht Gefahr, zwar viele Sprachen zu sprechen, aber keine richtig?
Andrea Abel: Mehrsprachigkeit ist längst schon der Normalfall und gilt durchaus als Mehrwert in unserer Gesellschaft. Der Südtiroler Dialekt und die Standardsprache sind im Grunde auch schon zwei „Sprachen“ – oder genauer: Varietäten einer Sprache. Wir sprechen hier von innerer Mehrsprachigkeit im Unterschied zur äußeren Mehrsprachigkeit, die tatsächlich die Kompetenzen in mehreren Sprachen, wie z. B. Deutsch und Italienisch, betrifft. Dass Mehrsprachige Gefahr laufen, keine Sprache „richtig“ zu sprechen, ist ein alter Mythos, den die Sprachwissenschaft längst widerlegt hat, der sich aber dennoch hartnäckig in der Öffentlichkeit hält. Auch die Vorstellung, dass man eine Sprache „perfekt“ beherrschen muss bzw. kann, ist überholt. Wir sind immer in einigen Bereichen besser, in anderen schlechter, auch in unserer bzw. unseren Erstsprachen. Ich z. B. habe Schwierigkeiten, wenn ich einem Handwerker einen Schaden an einem Gerät erklären muss, selbst auf Deutsch, einfach weil mir der nötige Wortschatz nicht geläufig ist. Solche Situatio­nen kennen wir sicher alle. Mehrsprachige Personen besitzen eine ganze Reihe von Kompetenzen im Unterschied zu einsprachigen. Dazu gehört etwa: schnell von einer Sprache in eine andere wechseln, einen Text in einer Sprache hören und in einer anderen darüber erzählen usw. In der jüngsten Version des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen werden diese Kompetenzen – man spricht von „Mediation“ – ganz ausdrücklich beschrieben. Auch das, was Sie Sprach­mischungen nennen, ist üblich und bekannt: In der Sprachwissenschaft gibt es einen eigenen Ausdruck dafür, nämlich „Code-Mixing“. Dabei werden in Sätzen in einer Sprache auch mal Begriffe aus einer anderen verwendet, etwa weil uns ein Begriff in einer Sprache gerade nicht einfällt oder weil ein Begriff in einer anderen Sprache besser passt, also besser ausdrückt, was wir sagen wollen – oder einfach, weil wir spielerisch mit Sprache umgehen möchten. Z. B. verwenden wir am Eurac-Institut, wenn wir von den Ablagefächern für die Post sprechen, meistens den dialektalen Ausdruck „Fachelen“, auch wenn wir Italienisch sprechen.

Was bringt mehr für den Sprachenerwerb in der Schule: Einzelsprachenunterricht oder mehrsprachiger Fachunterricht?
Ich denke, mit „Einzelsprachenunterricht“ sprechen Sie von den Sprachfächern im Unterschied zu den Sachfächern. Positive Aspekte gibt in beiden Fällen, wenn es um das Sprachenlernen in der Schule geht. Der Sprachunterricht ist auf die jeweilige Sprache ausgerichtet und es steht mehr Zeit für die Vermittlung von kommunikativen Kompetenzen und von Grammatik, Wortschatz und Aussprache zur Verfügung. Ein Vorteil des mehrsprachigen Fachunterrichts ist, dass die Schüler in der Lage sind, die Sprache in einem konkreten Handlungskontext zu lernen und zu verwenden. Die Sorge, dass fachliches Lernen dann auf der Strecke bleibt, ist unbegründet, wie Studien belegen. Wir sollten auch nicht vergessen: Jeder Fachunterricht ist immer auch Sprachunterricht. Die neuere Forschung setzt sich für einen sprachsensiblen Unterricht, bei dem die unterschiedlichen sprachlichen Bedürfnisse und Ressourcen in einer Klasse berücksichtigt werden ein. Dies kann bedeuten, dass Hilfestellungen angeboten werden, die für bestimmte sprachliche Lernstufen nützlich sind, und dann wieder abgebaut werden; wir sprechen hier vom „Scaffolding“. Hilfe kann z. B. darin bestehen, Fachbegriffe vorab zu erklären, Bildmaterial zur Veranschaulichung einzusetzen, Arbeit in Paaren zu nutzen usw. Das kann auch mit mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen verbunden werden, um Schülern mit unterschiedlichen Sprachhintergründen gerecht zu werden. Hier ist es etwa möglich, mit Sprachvergleichen zu arbeiten oder Texte in verschiedenen Sprachen zu verwenden, um konkrete Beispiele zu nennen.

Die neuesten Studien belegen, dass es um die Sprachkompetenz der Maturanten in der Zweitsprache nicht zum Besten stehe. Sind die Lehrpersonen so schlecht?
Wir wissen besonders durch die KOLIPSI-Studien, dass die Zweitsprachkompetenzen ein Jahr vor der Matura zu großen Teilen unter den anvisierten Niveaustufen liegen. Aus den Studien wissen wir auch, welche Faktoren sich positiv auf die Sprachkompetenzen auswirken. Wir können nicht einfach unhinterfragt allein die Lehrkräfte für die Sprachkompetenzen verantwortlich machen.Nach wie vor wird die zweite Sprache zu sehr als Schulfach gesehen und nicht als Werkzeug, das man im Alltag sehr gut gebrauchen kann. Wer eine Sprache gut lernen will, braucht intrinsische Motivation und die empfindet man mitunter für ein Schulfach, das nicht unmittelbar alltagstauglich erscheint, nur schwer. Was die Schule tun kann, ist, noch viel mehr auf kommunikativen Unterricht setzen und Möglichkeiten der Be­gegnung zwischen den Sprachgruppen schaffen, an gemeinsamen Projekten arbeiten. Aber auch die Eltern sind in die Pflicht zu nehmen, sie sollten sprachliche Vorbilder sein und Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit in ihren Alltag einbinden. Netflix & Co machen es uns ja denkbar einfach …

Das inklusive Modell unseres Schulsystems erlaubt keinen exklusiven Sprachunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ohne Kenntnisse der Landessprachen. Wäre es für diese Schülerinnen und Schüler aber nicht besser, zuerst einmal Deutsch und Italienisch halbwegs zu erlernen?
Es ist richtig, dass Schüler mit Migrationshintergrund, die keine bzw. geringe Kenntnisse der Landessprache haben, vor großen Herausforderungen stehen, um am Unterricht teilnehmen zu können. Auch für die Schulen ist es mitunter schwierig, ihnen gerecht zu werden, wenn nicht ausreichend Ressourcen vorhanden sind. Es gibt aber eine ganze Reihe von Angeboten für eine gezielte Sprachförderung und Unterstützung: So können z. B. an den Schulen eigene Sprachlehrpersonen ein­gestellt werden, die Sprachanfänger, aber nicht nur, unterstützen. Die Schüler erhalten individuelle Lernpläne. Die Sprachenzentren des Landes organisieren Sommersprachkurse usw. Das mag nicht immer reichen, aber grundsätzlich gibt es eben sehr wohl spezifische Angebote, auch solche mit „exklusivem Sprach­unterricht“. Was es in Italien nicht gibt, sind Formen getrennter Beschulung. Sie haben bislang allgemein keine besonders guten Erfolge erzielt, wie Studien belegen. Sie verstärken vielmehr die soziale Trennung. Insgesamt sollten wir unseren Blick auf Mehrsprachigkeit ein wenig anpassen: Wenn wir den Wert von Mehrsprachigkeit immer wieder betonen – der Wert an und für sich wird ja kaum infrage gestellt – , dann sollten wir ihn nicht nur auf sogenannte Prestigesprachen beziehen, also Sprachen wie Englisch, Deutsch, Italienisch, Französisch usw. In Südtirol werden weit über 100 verschiedene Sprachen und Varietäten gesprochen. In einer Schulklasse, vor allem im städtischen Bereich, befinden sich Kinder und Jugendliche, die sprachliche Kompetenzen und Ressourcen mitbringen, die wir viel stärker sichtbar machen und fördern sollten.
Die dreisprachige Universität Bozen als Vorbild

 

Franz Josef Oberstaller vertrat von 1997 bis 2012 die deutsche Schule im Obersten Schulrat in Rom. Der langjährige Englischlehrer und Schuldirektor spricht mehrere Sprachen, darunter auch arabisch. Ein BAZ-Gespräch mit ihm:

Sprachenexperte Franz Josef Oberstaller

Die Zweitsprachenkenntnisse an Südtirols Oberschulen hätten sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Stimmt denn das? Wenn ja, woran kann das liegen?
Franz Josef Oberstaller: Das Niveau der Sprachkenntnisse im Allgemeinen und so auch der Zweitsprachenkenntnisse an den Oberschulen ist sehr unterschiedlich. Es gibt Schüler, die sehr gute Sprachkenntnisse aufweisen, aber es gibt eben auch Schüler, deren Fähigkeiten in anderen Bereichen liegen. Zudem gibt es den Trend, die Sprache ganz einfach als Mittel zur schnellen Kommunikation zu verstehen, sodass weniger Wert auf einen korrekten oder stilvollen Sprachgebrauch gelegt wird. Dies wirkt sich auch auf das Erlernen der Zweitsprache aus. Im ländlichen Bereich ist der Gebrauch der Zweitsprache sehr oft nur auf den Schulunterricht beschränkt. Deshalb kommt es sogar vor, dass Schüler die Fremdsprache Englisch besser als die Zweitsprache beherrschen. Dies ist sicherlich auf die vielen Stunden zurückzuführen, die Schüler „im Internet“, „Netflix“ oder den sozialen Medien verbringen, wo sie dauernd mit Englisch in Kontakt kommen. Da Sprache nicht nur in der Schule erlernt wird, sind das familiäre und soziale Umfeld wesentliche Faktoren in Bezug auf den Grad der Sprachkenntnisse. So gibt es Familien, die zu Hause Bücher und Zeitschriften haben und auch mehrere Sprachen benutzen, ihre Kinder im Laufe der schulischen Ausbildung zeitweise in deutsche, aber auch in italienische Schulen einschreiben sowie Sprachferien und andere Angebote zum Erlernen anderer Sprachen nutzen: das steigert die Sprachkenntnisse!

Die Zeit sei für eine mehrsprachige Schule als allgemeines Zusatzangebot überreif, meinen die Grünen. Könnte eine mehrsprachige Schule aber bessere Ergebnisse liefern als das laut Art. 19 strikt getrennte Schulwesen Südtirols?
Eine mehrsprachige Schule wäre für Familien sicherlich ein Faktor, der ihre Schulwahl wesentlich beeinflussen könnte. Gute Sprachkenntnisse sind heute in vielen Berufen erforderlich und sie ermöglichen eine größere Auswahl der Universität oder Fachhochschule im In- und Ausland. Dieses Zusatzangebot könnte für die Schüler bewirken, dass sie neben dem Unterricht in verschiedenen Sprachen, aufgrund der neuen Freundschaften und Beziehungen, auch außerhalb der Schulzeit andere Sprachen benutzen und somit ihre Sprachkenntnisse deutlich verbessern. Damit könnten sich Chancen für ansonsten benachteiligte Kinder eröffnen. Das Thema „mehrsprachige Schule“ ist nicht neu, wurde aber aufgrund der Bedenken auf politischer Ebene immer wieder in die Schublade zurückgelegt. Sprache wird seit der Entstehung der Nationalstaaten immer auch als wesentlicher Bestandteil der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, zu einer „Nation“ verstanden. So finden einige, dass so ein Angebot, wenn überhaupt, auf die Oberschule beschränkt werden muss, da in dem Alter bei den Jugendlichen das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe schon ausgeprägt sein dürfte. Vor allem an Schulen in Bozen gibt es, trotz politischen Widerstandes, Angebote zum Erlernen von Sprachen, die daraus schon fast mehrsprachige Schulen machen. Das Erlernen von Sprachen sollte man immer als persönliche, kulturelle und geistige Bereicherung verstehen, losgelöst von politischen Überlegungen. Beispiele sind die ladinischen Schulen und unsere dreisprachige Universität.

Ist die Angst, als Minderheit dann unterzugehen, denn heute noch gerechtfertigt?
Die Absicherung der deutschen und ladinischen Minderheiten in Südtirol ist in der Verfassung sehr gut verankert – sehr viele beneiden uns darum. Nicht vergessen dürfen wir, dass sich auch die Italiener Südtirols oft als Minderheit fühlen und wir nun auch weitere, „nicht anerkannte“ Minderheiten haben. Jedenfalls, wir als Südtiroler und unsere nächsten heranwachsenden Generationen sind aufgerufen, unser einmaliges Land mit seinen Besonderheiten, vor allem eben auch unser „Südtirolerisch“ zu erhalten und zu pflegen, nicht gegen andere Minderheiten in unserem Land, sondern gemeinsam mit ihnen. Und dies wird wieder neue Chancen für positive Entwicklungen eröffnen.

Der Meraner Gemeinderat will mit zweisprachigen Kindergärten ein neues, zusätzliches Angebot schaffen. Eine gute Idee?
Die Kindergartenkinder sollten heutzutage auch schon Englisch hören und sprechen lernen. Kinder lernen sehr schnell und sie können sehr viel lernen, wenn sie in einer anregenden Umgebung sind. Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen deutschen und italienischen Kindergärten lassen es für mich schwierig erscheinen, einen gut funktionierenden zweisprachigen Kindergarten zu verwirklichen. Eher würde ich die Angebote und Tätigkeiten in anderen Sprachen, die es ansatzweise schon gibt, deutlich ausbauen. Kindergärtnerinnen könnten auch mit den Kindern abwechselnd in Sprachen sprechen, die sie gut beherrschen. So erleben Kinder den Gebrauch von mehreren Sprachen als etwas Natürliches. Persönlich spreche ich etwa mit meinen Kindern großteils Englisch und mit meinen Enkelkindern Spanisch.

Bedeuten Sprachmischungen für die einzelnen Sprachen aber nicht auch eine Gefahr, wie manchmal behauptet wird? Laufen Mehrsprachige nicht Gefahr, zwar viele Sprachen zu sprechen, aber keine so richtig?
Wenn wir viele unserer Oberschüler ansehen, die zweisprachig aufwachsen, können wir dies nicht behaupten. Es gibt Musiker, die mehrere Instrumente spielen, Sportler, die mehrere Sportarten beherrschen, Handwerker, die mehrere Berufe ausüben. Natürlich hängt sehr viel vom einzelnen Schüler und seiner Umgebung ab.

In fast jeder Schulklasse sitzen vor allem in den Städten Kinder und Jugendliche, die zu Hause nicht Deutsch sprechen. Häufig gilt ihre migrationsbedingte Mehrsprachigkeit als Risikofaktor, weil so das Niveau des Unterrichts sinke. Was sagen Sie dazu?
Lehrpersonen sind es heute gewohnt, in den Klassen Schüler mit unterschiedlichen Kenntnissen in allen Fächern zu lehren und mit ihnen zu arbeiten. Dies betrifft auch die Sprachkenntnisse. Auch bei der Frage der Integration oder Inklusion, wie wir sie jetzt nennen, gibt es kritische Stimmen, die auf die Gefahr hinweisen, dass dabei Schüler weniger lernen und Chancen verlieren. Auf der anderen Seite eröffnet dies aber auch neue Chancen, besonders auf der menschlichen und sozialen Ebene. Trotzdem: jede Schule muss auch Möglichkeiten schaffen, damit begabte Schüler die Chance erhalten, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten möglichst gut zu entwickeln.

Wäre es nicht sinnvoller, Schülerinnen und Schüler ohne Sprachkenntnisse zuerst einmal nur mit Sprachunterricht zu konfrontieren, als sie sofort in die Klassen zu integrieren?
Ich würde sagen, möglichst viel Sprachunterricht.