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Heimatschutz in Algund

Der Heimatschutzverein hat in Algund eine große Tradition und kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die BAZ im Gespräch mit Obmann Peter Haller und Vizeobmann Martin Winterholer.
von Philipp Genetti

In Algund spricht man vom „Heimatschutzverein“ und nicht von „Heimatpflegeverein“. Warum dieser Unterschied?
Peter Haller: Der Heimatschutzverein in Algund ist einer der ersten Heimatschutzvereine der Nachkriegszeit in unserem Land. Seine Gründung geht auf den Algunder Heimatschutz-Pionier Matthias Kiem-Strickler und das Jahr 1946 zurück. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich in der Bevölkerung viel Ungewissheit breit gemacht. Wenn man heute in die ersten Protokolle aus der Vereinsgeschichte schaut, liest man regelrecht die Angst der Algunder heraus, ihre Identität und ihr Brauchtum an Italien zu verlieren.
Mit der Gründung unseres Vereins wollte man dem entgegenwirken. Daher bestand die zentrale Aufgabe des Vereins konkret darin, die Heimat vor dem Verfall schützen. Im Wortlaut der ersten Satzungen heißt es: „Die Ziele des Vereines sind die Erhaltung unserer Heimat durch den Schutz unserer natürlichen Umwelt, sowie die Pflege unserer kulturellen, religiösen und sittlichen Werte.“ Auch der älteste Hei­mat­schutz­verein im Burg­gra­fen­amt, Meran, trägt noch die historische Bezeichnung „Heimatschutz“ in seinem Namen. Die heute vielerorts vertretenen „Heimatpflegevereine“ haben hingegen eine wesentlich jüngere Geschichte.

Worin macht sich der Heimatschutz in Algund heute konkret bemerkbar?
Einerseits in der Erhaltung der künstlerisch, geschichtlich und heimatkundlich wertvollen Baulichkeiten in der Gemeinde, wie Häuser, Höfe, Kapellen, Kirchen, Flur- und Kleindenkmäler. Andererseits auch in der Erhaltung von Naturdenkmälern und Zeugnissen aus der Vergangenheit und Gegenwart, in der Weckung des Interesses für die Geschichte unseres Landes, für Heimatkunde, Brauchtum und Sitten, für Volkskunde, für das Trachtenwesen, für Sprache und Mundart, für echte Volksmusik und für religiöses Brauchtum durch Vorträge, Tagungen, Lehrgänge und Kulturfahrten. Dazu kommt noch die Sammlung und Bewahrung von Urkunden, Tirolensien, Festschriften, Bildern, usw., die sich auf die Geschichte, Heimatkunde, Volkskultur und das Brauchtum der Gemeinde beziehen. So hatten es die Gründungsmitglieder auch in den Vereinssatzungen festgeschrieben und so wird Heimatschutz bis heute noch in Algund verstanden.
Die Angst vor der Italienisierung war also ein wesentlicher Grund für die Gründung des Heimatschutzvereins in Algund. Was sind die Gefahren von heute?
Eine zunehmende Gefahr sehen wir heute vor allem im Wohlstand. Die Themen im Heimatschutz haben sich im Wesentlichen nicht verändert. Allerdings haben sich die Umstände gewandelt. Man glaubt heutzutage, mit dem Wohlstand könne man alles erreichen, durch die Digitalisierung, die Technologie, usw. Der Mensch fühlt sich, als könne er alles schaffen. Und doch geht dabei oft der Sinn dafür verloren, dass uns damit andere wichtige Dinge fehlen werden, wie eben die zuvor erwähnten Bereiche.

Wie steht es um das Trachtenwesen?
Martin Winterholer: Der Wert des Trachtenwesens geht leider heutzutage immer mehr verloren. Das war zur Zeit unserer Väter noch ganz anders. Ich erinnere mich noch daran, wie mein Vater uns erzählte, was es für ihn während der Kriegsjahre bedeutet hat, den blauen Schurz in der Öffentlichkeit nicht mehr tragen zu dürfen. Auf dem Weg zur Schule mussten sie diesen sogar verstecken und gegen ein schwarzes „Mantele“ eintauschen. Auch das Tragen einer Tracht war zeitweise strengstens verboten. Elemente, die den damaligen Generationen aber Identität und Tradition gaben. Vor diesem Hintergrund wird es eben deutlich, weshalb man in der Nachkriegszeit auch bewusst von Heimatschutz gesprochen hat. In der Coronazeit wurde uns nun vor Augen geführt, wie schnell andere Umstände den Verlust von gewissen Traditionen vorantreiben können.

Obmann und Vizeobmann v. l. Peter Haller und Martin Winterholer

Durchgang zum Kloster Steinach

Welche Brauchtümer konnten während der Coronapandemie nicht wie gewohnt verfolgt werden?
Peter Haller: Wir haben als Heimatschutzverein in der Zeit vor Corona beispielsweise immer das Totentragen bei Beerdigungen mitorganisiert, was ganz früher sogar meist die Nachbarn des Verstobenen übernommen haben. Dabei gehörte es zur Tradition, den Verstobenen in Tracht zu tragen und auch die entsprechend richtige Farbe der Schleife am Hut zu wählen, je nachdem, ob der Verstorbene ledig, verheiratet oder verwitwet war. Durch die Corona-Schutzmaßnahmen ist diese Tradition ins Wanken geraten. Einerseits durfte während der Lockdowns erst gar nicht getragen werden, andererseits wurde es danach auch immer schwieriger, genügend Freiwillige zu finden. Wir müssen schauen, ob wir das Ganze nun wieder angekurbelt bekommen.

Wie sind Sie zum Heimatschutzverein gekommen?
Meine Tätigkeit im Heimatschutzverein ist eng mit dem Fahnenschwingen verbunden, worüber auch der erste Kontakt zustande gekommen ist. Als junger Bub hat mich Martins Vater zusammen mit Andreas Luner fürs Fahnenschwingen gewonnen und ich bin als junger Bursch relativ bald schon in den Ausschuss gewählt worden – umgeben von einer Hand voll eingefleischter Heimatschützer. Mit der Verabschiedung des berüchtigten Stadel-Gesetztes in den 1990er Jahren kam es innerhalb des Vereins allerdings zum Bruch, nachdem einige Mitglieder die Begünstigungen des Gesetzes derart in Anspruch genommen haben, dass sie schließlich gegen die Grundsätze der Vereinssatzungen verstoßen haben. Die Folge war unter anderem der Zerfall des Ausschusses und so stand ich als junger Busche schlussendlich allein da. Nachdem es mir anschließend gelungen ist, wieder einige gleichaltrige Freunde zu gewinnen und in den Verein zu holen, schafften wir es schließlich, den Karren weiterzuziehen und so bis heute aufrechtzuerhalten.


Martin Winterholer: Bei mir hingegen ist der Heimatschutz tief in der Familiengeschichte verwurzelt. Kurz gesagt: mein Vater ist 1927 geboren und hat unter dem Faschismus die unglaubliche Ungerechtigkeit miterlebt, die seinem Vater widerfahren ist. Mein Großvater hatte in Sinich einen Hof, der ihm durch die Realisierung des Montecatini-Chemie-­Werks von einem auf den anderen Tag enteignet worden ist. Wohl gemerkt mit insgesamt 7 Kindern. Weil mein Opa aber nicht gehen wollte, hat man ihn festgenommen und eingesperrt. Er hatte daraufhin in Rom sogar persönlich mit Mussolini gesprochen, aber bis zu seinem Tod lediglich eine Anzahlung von 126.000 Lire bekommen, ein Bruchteil der erwarteten Enschädigung. Zeitlebens hatte er sich zusammen mit den beiden Anwälten Hugo Gamper und Sandro Canestrini dafür eingesetzt dieses Unrecht aufzuklären. Allerdings erfuhr man im Laufe der Untersuchungen, dass das Geld in Rom zwar verschickt, in Mailand allerdings verteilt wurde und sich auf dem Weg nach Südtirol sozusagen „aufgelöst“ hat. Mein Großvater hatte mit Hilfe einiger Freunde, worunter auch der Gründungsvater des Algunder Heimatschutzvereins Kiem-Strickler gehörte, in Algund schließlich zwar unseren Familienhof kaufen können, allerdings blieb dieser Schicksalsschlag tief in unserer Familie verwurzelt. Bei der Gründung des Algunder Heimatschutzes war auch mein Vater Gründungsmitglied. Es ist daher verständlich, dass das Thema Heimat bei uns Kinder zu Hause ebenfalls schon früh zum Leben gehörte. Meine Geschichte als Ausschussmitglied begann hingegen erst später und hing mit der gezwungenen Umstrukturierung des Vereins um die Jahrhundertwende zusammen.

In seiner Geschichte hat der Heimatschutzverein vieles erreicht. Was war besonders wichtig?
Peter Haller: Wir haben in den vergangenen Jahren versucht Information zu geben, über Brennpunktthemen aufzuklären, hinzuweisen und dafür zu sensibilisieren. Wir begleiten Sanierungs- und Renovierungsarbeiten von heimatkundlichen Bauwerken, wie Kapellen oder Andachtstafeln, im Grunde wie es bereits im Gründungsstatut verankert ist; wir versuchen Problemstellen im Dorf aufzudecken, aber auch altes Kulturgut neu aufzugreifen. 2019 haben wir im Rahmen eines Diskussionsabends beispielsweise den Landschaftsarchitekten Andreas Kipar eingeladen und über unser Dorf als „Unser Lebensraum – heute an morgen denken“ gesprochen, um auf die Herausforderungen bei der Ausweisung von Tourismuszonen hinzuweisen. 2015 veranstalteten wir einen Abend zum Thema „Option 1939“ mit Algunder Zeitzeugen und jüngst im November 2021 einen Vortrag mit dem Ökologen und Senior Researcher am „Institut für alpine Umwelt“ der EURAC Bozen, Georg Niedrist unter dem Titel „Unsere Erde hat Fieber – Die Herausforderungen des Klimawandels für Südtirol und unsere Gesellschaft“, in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Bibliothek und dem Verein „OEW – eine Welt Gruppe Algund“. Hinzu kommen zahlreiche Fortbildungen zu unterschiedlichsten heimatkundlichen Themen sowie Jahresfahrten beispielsweise nach Genua, Turin, oder wie heuer zu den 7 deutschsprachigen Gemeinden im Trentino. Dabei begleitet uns meist auch Meraner Heimatkundeurgestein Georg Hörwarter.

Der Heimatschutzverein erfreut sich heute über rund 150 Mitglieder. Ein Zeichen dafür, dass Heimatschutz in Algund nach wie vor viel Zuspruch findet. Wie erklären Sie sich das?
Wir sind tatsächlich ein mitgliederstarker Verein, was uns natürlich sehr freut. Allerdings ist die Altersstufe recht hoch. Junge Leute gelingt es leider aktuell noch nur sehr schwer für unsere Themen zu begeistern. Das hängt aber auch damit zusammen, dass sich die Jugend bzw. jungen Erwachsenen heute generell immer weniger an einen Verein binden wollen. Wenn wir hingegen projektbezogen Leute suchen, ist das anders. Dahin gehend muss sich sicherlich noch einiges in unserem Verein tun. Immerhin hoffen wir alle, dass unser Verein noch lange bestehen bleibt.

Interessantes zu Algund
Der Name klingt schon einmal interessant. So ganz geklärt ist er nicht. In einer mittelalterlichen Urkunde um 1000 wird von „Alagumna“ gesprochen. Gesicherte Nennungen gehen auf das 12. Jahrhundert zurück (Agundis, Alegunde). Algund könnte vom Lateinischen „ad lacumina“ (‚an der Lacke‘) ableiten, womit sich der Flurname wohl auf ein Schwemmland aus der Zeit, als die Etsch noch nicht reguliert war, bezieht. Andere Hypothesen setzen den Namen als vorrömisch, also rätisch an.1932 und 1942 wurden vom Meraner Heimatforscher Matthias Ladurner-Parthanes vier Figurenmenhire aus der Kupferzeit gefunden, zwei davon befinden sich im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen, die anderen beiden im Palais Mamming Museum in Meran. Nachbildungen stehen heute vor dem Algunder Tourismusbüro. Besonders beeindruckend ist der 2,75 Meter hohe sogenannte männliche Menhir mit seinen vielen Symbolen, die in den Stein gemeißelt worden sind.

Die Via Claudia Augusta
Die römische „Via Claudia Augusta“ ist wohl auch über Algund verlaufen. In Mitterplars stieß man auf Überreste von römischen Häusern. Die Straße führte bekanntlich von Venedig bis nach Augsburg. Eine Etsch-Überquerung könnte beim heutigen Algunder Lido gewesen sein, auch wenn der sogenannte „römische Brückenkopf“ dort nicht aus dieser Zeit stammt. Dendro-chronologische Untersuchungen sowie Radiokarbonmessungen des Südtiroler Denkmalamts datierten eine Holzkonstruktion dort auf das 15. Jahrhundert. Gemäß diesen Befunden ist eine Einstufung des Bauwerks als römerzeitlich wohl falsch. Ein Kleinod ist das heute leider leerstehende Kloster Steinach. Gestiftet wurde es 1241 von Adelheid, die zweite Tochter des Grafen Albert von Tirol. Den Algundern läge viel daran, wenn das Kloster auch in Zukunft sinnvoll genutzt werden könnte. Vor allem dürfe der mittelalterliche Bau nicht Immobilienspekulationen zum Opfer fallen.

Andreas Hofers Frau stammte aus Algund
Aus Algund stammt übrigens auch die Frau von Andreas Hofer. Anna Ladurner wurde 1765 auf dem Plonerhof geboren. 1789 heiratet sie Andreas Hofer und zog nach Passeier. Wie die Beiden sich kennengelernt haben, ist nicht bekannt. Bemerkenswert ist, dass Algund seit Ende des Zweiten Weltkrieges erst drei Bürgermeister hatte. Es sind dies: Johann Gamper (1952 -1995), Anton Schrötter (1995 – 2010) und Ulrich Gamper (seit 2010). Heute bezeichnet sich Algund gerne mal als Gar­tendorf. Beliebter Wanderweg ist der Waalweg aus dem 13. Jahrhundert mit seinem beeindruckenden Panoramablick über das Burg­gra­fenamt. Zur Gemeinde gehört interessanterweise auch die Bergfraktion Aschbach, eigentlich weit abseits vom Gemeindegebiet. Die Fraktion Forst ist durch das Bier allen bekannt. Nach Vellau und weiter hinauf führen zwei historische Lifte. Der Gondellift in die Texelgruppe ist einer der wenigen dieser Art weltweit.

Neue Pfarrkirche, Sennerei und Musikkapelle
Zurecht stolz sind die Algunder auf ihre neue Pfarrkirche. Sie zählt zu den schönsten und modernsten Kirchen im Alpenraum und ist ein Beispiel zeitgemäßer Architektur. Die Kirche ist nach den Plänen des Meraner Architekten Willy Gutweniger in den Jahren 1966 – 1971 erbaut worden. Sie ist ein gelungener Versuch, Altes mit Neuem zu verbinden. Algund ist auch die einzige Gemeinde Südtirols mit der Weintraube im Wap­pen, als Emblem für die uralte Tra­dition als Obst- und Weinbaugebiet in den südlichen Alpen; eine Tradition, die schon vor den Römern begann. Die Qualität der bäuerlichen Erzeugnisse aus Algund hat sich auch herumgesprochen. Rund 50 Bauernhöfe der Bergfraktionen Vellau und Aschbach, aber auch der umliegenden Berge beliefern täglich die weitum bekannte Algunder Sennerei.
Nicht zu vergessen ist die Musikkapelle, die auf eine lange Geschichte zurückblickt. Im Jahr 1837 gründete der Lehrer Johann Eberhart eine aus neun Mitgliedern bestehende Blaskapelle, um die im Pestjahr 1836 als Gelöbnis versprochene Sebastianiprozession am 20. Jänner feierlicher gestalten zu können. An dieser Prozession bei der Alten Pfarrkirche im Dorf beteiligt sich die Kapelle auch heute noch jedes Jahr, wobei profane Märsche gespielt werden, was ein Kuriosum darstellt. Es gäbe noch viel Interessantes zu Algund zu berichten. Am besten, man besucht die Gemeinde selbst, denn los ist dort das ganze Jahr etwas.