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Im Kult

„Architektur muss immer eine Geschichte erzählen“ – damit definiert der Architekt sein Werk zur Wahrung geschichtsträchtiger Bauten als Zeitzeugen.

Das seit 1920 bestehende Bauwerk einer klein­industriellen Manufaktur für die Herstellung von Seifen und Wachskerzen ist von historischer Bedeutung.
Es stellte Südtirols einzige Produktionsstätte dar für alltägliche Gebrauchsprodukte dieser Art. Die Familientradition der aus Niederbayern zugewanderten Familie Kikinger/Ortner reicht zurück bis um die Mitte des 19. Jh. Am Mühlgraben in der Meraner Altstadt wurden Seifen gesiedet und Kerzen gezogen. Das Geschäft florierte über Generationen – trotz Kriegswirren.
Am Stadtrand in Marling wurde ein Zweckbau mit hoch aufragendem Siedeschlot errichtet für die handwerklich-industrielle Fertigung von Waschseifen, Kerzen, Bodenwachs, Soda, Glyzerin, Schuhcremes. An die 15 Facharbeitskräfte waren in Herstellung, Verpackung, Vertrieb damit 50 Jahre lang bis Anfang 1970 beschäftigt. Dann allerdings hatten sich Kundenbedürfnisse und das großindustrielle Angebot derart verändert, dass eine Kleinmanufaktur wirtschaftlich nicht mehr rentabel erschien. 1971 wurde in der Seifenfabrik Ki­kin­ger/Ortner in Marling letztmalig Schmierseife hergestellt – die Fabrik schloss ihre Tore. Das seit über 90 Jahren bestehende inhabergeführte Detailfachgeschäft der Familie unter den Meraner Wasserlauben erfüllt bis heute seine angedachte praktische Funktion.

Rettung der Fabrik-Bauruine
Die stillgelegte alte Seifenfabrik samt Areal verwahrloste über die nachfolgenden Jahrzehnte. Sie war als architektonisch bedeutsamer Industriebau mehrfach vom Abriss bedroht. Die Verkehrslage unmittelbar am geplanten Kreisverkehr mit Auf- und Abfahrt zur MeBo-Schnellstraße erschwerte erheblich das Kalkül der Bauspekulanten. Ein nostalgisches Stück Vergangenheit bewahren und damit neue Geschichten schreiben – dieser rettende Gedanke für das brachliegende Baudenkmal reifte als Denkkonzept im Herzen und im Kopf von Lichtunternehmer Andreas Eisenkeil, der als direkt angrenzender Nachbar mit seinem Lichtstudio um 2011 Areal und Bauruine erwarb. Das Gespür in seinen Genen als Unternehmer in Unruhezustand stammt vom Vater Artur, Merans legendärem Impresario der 1960er bis 1990er Jahre. Mit der Wahl des mehrfach prämierten Vinschger Architeken Werner Tscholl für den federführenden Umbau des Bauobjektes gewann er als Auftraggeber einen ebenso kreativen wie innovativen Meister seines Fachs. In beiderseitigem befruchtendem Ideenaustausch konnte nun Einzigartiges entstehen: aus der kultigen Seifensiederfabrik des letzten Jahrhunderts wird Im Kult – ein zeitaktueller Ort der kultivierten gesellschaftlichen Begegnung.

Architekturakzente IM KULT
Durch die neue Zweckbestimmung und durch reizvolle ergänzende Zubauten wird die ursprüngliche historische Bausubstanz zu gänzlich neuem Leben erweckt. Sie zeigt sich dabei als gelungenes Beispiel dafür, wie der Einsatz von kreativen architektonischen Details als nachvollziehbare Brücke zwischen dem Gewesenen, Vergangenen und der aktualisierten Gegenwart erlebt werden kann. Über mehrere Jahre zogen sich die notwendigen Anpassungsarbeiten am ehemaligen Industrieobjekt hin bis zur Neueröffnung im Oktober 2018. Das gesamte Areal, die weitläufigen Produktionshallen mussten entrümpelt werden, Restaurierungen wurden mit Respekt auf den historischen Bestand behutsam vorgenommen. Im Projekt festgeschrieben war die Erhaltung von Gemäuern und Raumkubaturen sowie des symbolhaft aufkragenden Fabrikschlotes. Als kontrastreiche Architekturdetails fallen als Zubauten sofort die konischen Dachpyramiden über den erweiterten Eingangsbereich Im Kult ins Auge des Besuchers. Aller Blicke gehen unwillkürlich nach oben – sie zeigen ihre Funktionalität als eigenwilliges Lichtkuppeldach – mit Ausblick auf den Taghimmel oder die Sternlichter bei Nacht. Fensteröffnungen und das Eisengerüst am Dachboden Im Kult stammen aus dem Erstbestand und sind nach Renovierung im Ori­gi­nalzustand belassen. Ein offener Atelierraum ohne Barrieren unter dem sichtbaren Dach­gebälk bietet sich an als wechselnde Aus­stellungsgalerie, als abgeschiedener Raum für Film und Workshops, Autorenlesungen oder organisierte Veranstaltungen. Dieses Atelier sollte als vielseitige Plattform zur Förderung junger Künstler genutzt werden – wo sich Kreativität frei entfalten kann.

Erlebniskultur IM KULT
Im Erdgeschoss ist die nördliche Hälfte für den Concept-Store ausgestattet, wo wechselnde Designstücke sowie praktische Nutz- und Gebrauchsobjekte für Geschenke, Heim oder Wohnung locker verkäuflich präsentiert werden. Die Südhälfte IM KULT ist mit einer langen Begegnungstheke dem leiblichen Genuss, auch zum Mitnehmen, gewidmet. Vom Frühstück bis später am Abend werden IM KULT Bistro bei durchgehend warmer Küche feine, kleine, besonders liebevoll zubereitete Gaumenfreuden gereicht, wobei frische und regionale Zutaten bester Qualität und Vielfalt im Vordergrund stehen. Architektur, Beleuchtung und Design IM KULT setzen sich fort bis ins Untergeschoss, wo Mann/Frau auf schwebenden Metallrosten über Wasser den Sanitärbereich finden. Auf Parkplätzen und im Bistro-Freibereich geht man über knirschend feinem schwarzem Schotter zum Eingang. Erfreulich zukunftsweisend ist der direkte Zugang vom neu angelegten Etschtal-Radweg. IM KULT als kultische Namensbezeichnung trifft punktgenau die mutige unternehmerische Initiative für die sinnige Verwirklichung dieses in sich stimmigen Erlebniskonzeptes: IM KULT will als Kommunikationstreff für aufgeschlossene Menschen mit Freude an Kultur, Genuss und Designverständnis ein stylisches zeitaktuelles Angebot sein – und trifft damit ins Schwarze. Soviel zeigt der noch ausbaufähige Anfangserfolg vor und hinter der neubelebten historischen Fassade eines Baudenkmals. Komplimente und beste Wünsche ergehen an alle Akteure der gelungenen, originellen Wiedergeburt dieses besonderen Objektes, welches Tradition mit moderner Lebensart spielend in Verbindung setzt und dadurch gewachsene Werte für die Nachwelt bewahrt.

von Jörg Bauer