Nach St. Johann in Wanns
26. Februar 2019
MARIMBA
13. März 2019
Alle anzeigen

Paul Christanell

Er ist der Fachmann für Speck, Schinken, Fleisch- und Wurstwaren. Sein Rat war und ist gefragt, weit über die Landesgrenzen hinaus. Dabei wollte Paul Christanell nicht Metzger werden. In die weite Welt zu ziehen, war sein Traum.

Im Alter hat er ihn verwirklicht. Der Naturnser pendelt heute zwischen Südtirol und Viet­nam, „meine zweite Heimat“, wie er das fernöstliche Land nennt.
Als Mitarbeiter von SES bringt er in Hai Duong sein Fachwissen den Menschen bei. SES ist die Abkürzung für „Senior Experten Services“, eine deutsche Organisation mit fast 13.000 eingeschriebenen „Rentnern“, alle Experten auf ihrem Gebiet, die ehrenamtlich ihr Wissen und ihre Fachkompetenz an Menschen in den ärmeren Ländern unserer Welt weitergeben.

Seit 10 Jahren ist Paul Christanell für SES tätig. Über die deutsche Hilfsorganisation kam er nach Hai Duong im Norden Vietnams, eine Stadt mit rund einer halben Million Einwohner. Eigentlich sollte es ein dreiwöchiger Einsatz werden mit dem Ziel, das Know-how der Wurst- und Schinkenherstellung den Menschen dort beizubringen. Aus den drei Wochen wurden mehrere Monate. Seitdem zieht es Paul Christanell jedes Jahr nach Viet­nam. Sein Fachwissen ist gefragt, dazu kamen Unterricht und vor allem soziales Engagement.

Soziales Engagement

Der Naturnser Paul Christanell lehrt in Vietnam die Herstellung von Wurstwaren

In Hai Duong leben rund 50.000 Menschen mit Beeinträchtigung, darunter etwa 12.500 Kinder. Viele dieser Kinder sind Waisen oder wurden von ihren Eltern verlassen. Der Grund, warum es dort so viele Menschen mit Beeinträchtigung gibt: Agent Orange. Dieses hoch giftige Pflanzen-Entlaubungsmittel wurde während des Vietnamkrieges von den US-Amerikanern eingesetzt. Es beeinträchtigt bis heute nachhaltig das Leben ganzer Regio­nen in Vietnam. Dabei leiden nicht nur Men­schen, die unmittelbar während des Krieges mit dem Gift in Berührung gekommen sind. Auch heutige und wohl auch zukünftige Generationen sind mit Gendefekten, Missbildungen und Erblindung gestraft. 1982 baute die Regierung in Hai Duong ein Waisenhaus für blinde Menschen. Und nun beginnt die eigentliche Geschichte von Paul Christanell. Als er vor rund 10 Jahren nach Vietnam kam („Durch den Vietnamkrieg interessierte mich das Land immer schon“), war er vom Leid und der Not der Menschen dort erschüttert. Das Kinderheim, das er kennenlernte, war damals in einem er­bärmlichen Zustand. „Es herrschten unbeschreibliche Zustände“, erzählt er. „Das Haus, in dem rund 100 Kinder leben, war voller Schimmel, baufällig, lebensgefährlich, es fehlte an allem.“ Für Paul war klar: Es musste geholfen werden. Viel Zeit und Energie steckte er fortan in die Sanierung dieses Waisenhauses. Er schloss sich der Gruppe „Stars of Vietnam“ an, eine Hilfsorganisation, die der ehemalige Motorradrennfahrer Jürgen Eichhorn – auch er lebt seit 10 Jahren in Vietnam – gegründet hatte. Und so gelang es, das Wai­sen­haus herzurichten, auch mit großzügiger Unterstützung aus Südtirol. „Dem Missionsamt, der Landesregierung und den Sternsingern ist es zu verdanken, dass in letzter Minute das Blindenheim vor dem Einsturz bewahrt wurde“, sagt Paul Christanell, der zum Südtiroler Botschafter von „Stars of Vietnam“ geworden ist. Rund 200.000 Euro hat er für Vietnam in den vergangenen zehn Jahren ge­sammelt, aus eigener Tasche dazugegeben und vor allem Kindern und notleidenden Menschen in ganz Nordvietnam helfen können.

Lehrjahre
In die Welt hinaus hat es Paul Christanell immer schon gezogen, und gradlinig war sein Leben nie. 1945 in Naturns geboren, wächst er in einer Großfamilie auf. Der Vater Franz Christanell ist Bürgermeister, Kreuzwirt, Bau­er und Metzger. Es gibt viel zu tun zu Hause, und Paul, der eigentlich Lokführer werden will, wird bald schon der „Schurz“ zum Anpacken umgehängt. Er besucht die 7-jährige Volksschule, dann schickt ihn der Vater mit seinem Bruder Willi nach Rovereto auf eine kaufmännische Schule. Bei den Salesianern geht es ihm gut, aber nach einem Jahr reicht es. In Meran steigt er in die 2. Klasse ein und schließt das 3. Jahr mit dem Diplom ab. „Meine Zukunft war beschlossen“, erinnert sich der heute 74-Jährige. Zu Hause wartete genug Arbeit in der Metzgerei. Die Fleischerlehre an der Berufsschule in Bozen wurde nachgeholt, in Landshut 1969 der Meisterhut erworben. „Ich war mit 24 Jahren der jüngste Metzgermeister Italiens“, schmunzelt Paul. In dieser Zeit „freundete“ er sich mit einem Adler an, erinnert er sich, „das Tier hielt ich in einer Voliere bei uns zu Hause“. Fachkräfte waren in den 1970er Jahren im Land gefragt. Paul Christanell bildet in den kommenden Jahrzehnten an den Berufsschulen in Schlanders, Meran, Bozen und Brixen den Metzger-Nachwuchs aus: Jeder, der heute bei uns in der Speck-, Fleisch- oder Wurstwaren-Herstellung tätig ist, kennt seinen Na­men. Seinen Schülern lehrte er Respekt vor Natur und allen Lebewesen sowie schonende und feinere Methoden bei Schlachtung und Zerlegung. Immer wieder sprach er sich gegen grausame Schlachtmethoden aus und verurteilte nach einem Marokkoaufenthalt aufs schärfste die Praxis der grausamen Schächtung von Tieren.

Paul Christanell mit dem italienischen Botschafter bei der Übergabe einer großzügigen Südtiroler Spende

Der Experte
Bald schon übte Paul Christanell gleich drei Berufe aus: Er war Metzgermeister, Berufsschullehrer und dazu Produktionsleiter des Speckbetriebs „Gebrüder Christanell GmbH“. Stillstand gehört nicht zu seinem Vokabular. Er qualifiziert sich 1992 als Qualitätsprüfer der „Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft“ (DLG) und wird in die Südtiroler Speckkommission berufen. Es folgten Erfahrungen als Betriebsleiter bei Firmen in Südtirol und im Trentino, als Bewerter von Fleischerzeugnissen in Deutschland, als gefragter Berater im In- und Ausland und als Firmengründer von „Dry-Delikatesse“, des ersten Südtiroler Trockenspecks. Reinhold Messner und Hans Kammerlander werden seine Werbeträger. Er wird Mitglied im Komitee „Südtiroler Speck geschützte geographische Angabe“. Sein Wissen über die Salamiherstellung, welches er bei „Marsilli“ und „Baldo“ in Rovereto vertieft, bringt er in verschiedenen wurst- und schinkenherstellenden Betrieben in Südtirol ein. In den BSE-Jahren 2000 – 2001 kontrolliert und beurteilt er Rindfleisch in den Schlachthöfen von Bamberg und in Bozen. Auch für den Südtiroler Verbraucherschutz ist er tätig, und so kommt es nicht von ungefähr, dass er 2002 vom Staat die höchste Auszeichnung im Berufsleben, den Titel des „Maestro del Lavoro/Meister der Arbeit“ verliehen bekommt.

Qualität vor Quantität
Dem erfahrenen Fleischexperten war nicht entgangen, dass Speck in Südtirol zum Massenprodukt wurde. Mit seiner Kritik an zu lascher Produktion und der Forderung nach mehr Qualität eckte er immer wieder an, brachte die Specklobby öfters mehr als nur in Verlegenheit. Paul Christanell weiß, was guten Speck ausmacht, und er kennt die Praxis in den Betrieben. Niemand kann ihm etwas vor­machen: „Um gute Qualität zu gewährleisten, ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren aus­schlaggebend. Das Rohprodukt muss gut sein, die Pökelung und Räucherung fachkundig durchgeführt werden, die Lagerung ausreichend lange in Frischluft erfolgen“, sagt er. „Die Kriterien für Markenspeck sind zu lasch“, kritisiert Christanell. Bei einer Wochenproduktion von 10.000 bis 20.000 Stück könne keine gute Qualitätsprüfung stattfinden. Mit seinen 74 Jahren ist Paul Christanell ruhiger geworden, sein Fernweh aber noch lange nicht gestillt. Wenn es die Gesundheit zulässt, bricht er im Herbst wieder nach Fernost auf. Nun kommen ihm auch die Sprachkurse in Englisch, Spanisch und sogar Chinesisch zugute, die er in jungen Jahren belegt hat.

 

 

Unser Speck, Botschafter des Landes

Christanell forderte Qualität vor Quantität

Geräuchert und mindestens 22 Wochen gereifter Rohschinken, der in Südtirol hergestellt wird: Das ist Südtiroler Speck. Seit 1996 gibt es das Gütesiegel „Südtiroler Speck g.g.A.“. Neuerdings ist sogar das Fastfood-Gewerbe in Italien ganz scharf auf Südtiroler Speck. Bei McDonalds werden gleich zwei Burger mit Südtiroler Speck lanciert. Während man nördlich der Alpen den Schinken durch Räuchern haltbar macht und im südlichen Italien an der Luft trocknet, haben die Südtiroler beide Herstellungsverfahren kombiniert. Die Schlegel werden zuerst geräuchert und dann mindestens 22 Wochen gereift. „Speck“ ist ein altes deutsches Wort und bedeutet „Dickes, Fettes“. Bereits um 1200 erscheint der Begriff in mittelalterlichen Metz­ger-Ord­nungen. Um Fleisch für das ganze Jahr haltbar zu machen, räucherten und trockneten unsere Vorfahren es. Zu Weihnachten wurden die Schweine traditionell auf den Höfen geschlachtet.

Wenig Salz, wenig Rauch und viel Luft
Die Speck-Herstellung in Südtirol vereint zwei Methoden: die mediterrane und die mittel- bzw. nordeuropäische. Bei der mediterranen Me­thode entzieht man der Schweinekeule durch Salz und Lufttrocknung das Wasser, ein luftgetrockneter Schinken entsteht, wie es der Parmaschinken ist. Bei der nordischen Methode wird der Schinken durch Salzen, Würzen und Räuchern hergestellt. Südtirol hat sein eigenes typisches Herstellungsverfahren entwickelt. Für den Speck werden magere Schweinekeulen verwendet. Im Unterschied zum Parmaschinken wird der Schinken vom Schenkelknochen getrennt.
Danach wird das Fleisch mit Kräutern gewürzt. Noch heute hat jeder Hersteller seine eigene Gewürzmischung. Die Schlegel werden vor dem Räuchern bis zu drei Wochen lang in kühlen Räumen gepökelt. Während dieser Zeit werden sie mehrere Male gewendet, um das Eindringen der Pökelmasse zu ermöglichen. Der Salzgehalt darf im Endprodukt nicht mehr als 5 % betragen. „Viel zu viel“, kritisiert Paul Christanell, „denn bereits mit 3,5 % Salzgehalt schmeckt ein Produkt recht salzig auf der Zunge.“ Es folgt der Räuchervorgang. Die Temperatur des Rauchs sollte 20 °C nicht übersteigen, in der Realität aber meist nicht möglich. Die Schinken werden abwechselnd mithilfe von ausgewähltem harzarmen Holz geräuchert und luftgetrocknet. So erhält der Südtiroler Speck g.g.A. seinen milden Geschmack. Noch heute wird vor allem Laubholz für das Räuchern eingesetzt. In den folgenden Wochen reift der Speck bei max. 15 °C, 60 – 90 % Luftfeuchte und gutem Luftaustausch. Erst nach der Qualitätskontrolle wird die Schutzmarke „Südtiroler Speck g.g.A.“ in die Schwarte eingebrannt.

Woher kommt das Fleisch?
Paul Christanell empfiehlt auf Südtiroler Bauernspeck zu setzen, nur da hat man die Gewissheit, dass das Fleisch aus Südtirol stammt. Denn die rund sechs Millionen Kilogramm Speck, die zwischen dem Brenner und Salurn alljährlich geräuchert werden, stammen nur zum verschwindenden Teil von echten Südtiroler Schweinen: Die meisten Tiere werden aus Holland, Deutschland und Österreich importiert. „Wer einmal gesehen hat, unter welchen Bedingungen die Schweine großgezogen und geschlachtet werden, kann nicht von einem ausgezeichneten Ausgangsprodukt sprechen“, bedauert Christanell.

Speck-Konsortium und Speckakademie
Die Schutzvereinigung „Südtiroler Speck- Konsortium“ wurde 1992 von 17 Herstellern gegründet. 1996 erhielt der Südtiroler Speck von der EU die geschützte geografische Angabe „g.g.A.“ zugesprochen. 2003 wurde das Südtiroler Speck-Konsortium vom italienischen Ministerium für Forst- und Landwirtschaft offiziell als Schutzkonsortium anerkannt. Heute vertritt die Schutzvereinigung die Interessen von 29 Speckherstellern in Südtirol. Zu seinen Aufgaben gehören die Qualitätspolitik, der Schutz der Marke und die Durchführung von Werbemaßnahmen. 2004 wurde die Vermarktung des Südtiroler Specks in den USA genehmigt, und 2016 erhielt der Südtiroler Speck g.g.A. als einer der ersten Fleisch- und Wurstwaren Italiens eine eigene Briefmarke. Nach Franz Senfter ist seit 2013 der Plauser Andreas Moser Präsident des Konsortiums. Es gibt sogar eine Südtiroler Speckakademie, an der man sich zum Diplom-Speck-Experten ausbilden kann. Und das Speckfest im Oktober in Villnöss ist auch eine schöne Südtiroler Tradition geworden.

 

von Josef Prantl