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21. April 2017
In Nals
21. April 2017
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Die Gesundheits-Reform

Südtirols Krankenhäuser sind bestens ausgestattet. Allerdings fehlt das Fachpersonal.

Wir alle wünschen uns, wenn wir krank sind, die beste Versorgung. Wer die Mittel hat, kann sich die besten Ärzte und die neuesten Therapien leisten. Die meisten von uns sind aber auf die öffentliche Gesundheitsversorgung angewiesen. Wie gut und wie zukunftsweisend ist aber unser Gesundheitssystem?

Für eine Sonografie der Schilddrüse sind Monate Wartezeit in Kauf zu nehmen

Kostenexplosion, strapazierte Notaufnahmen, Fachkräftemangel, monatelange Wartezeiten, überforderte Hausärzte: das ist die eine Seite. Hochspezialisierte Medizin, sieben Krankenhäuser in bestem Zustand, ein gut aufgebauten Netz an Vorsorge- und Versorgungseinrichtungen vor Ort ist die andere Seite. Trotzdem, der Ruf um Südtirols Gesundheitswesen war wohl noch nie so angegriffen wie zurzeit. Rund 10.000 Mitarbeiter beschäftigt Südtirols Gesundheitswesen. „Sicher, gut und versorgt“, verspricht der Landesgesundheitsplan „Gesundheit 2020“. Mit der Reform des Gesundheitssystems soll qualitativ hochwertige medizinische Versorgung für die Zukunft sichergestellt werden.

Die Herausforderungen sind gewaltig: Bereits heute ist jeder fünfte Südtiroler über 65 Jahre alt, drei Viertel von ihnen leiden an chronischen Krankheiten. Tendenz steigend. Die zentrale Frage lautet: Wie können wir vor diesem Hintergrund die hohe Qualität unserer Gesundheitsleistungen sicherstellen?
Der Landtag boxte kürzlich zwei Gesetzesentwürfe durch: der eine sieht die Reform der Organisationsstruktur des Landesgesundheitsdienstes vor, der andere eine Reihe von Änderungen von Landesgesetzen im Gesundheitsbereich. Vereinheitlicht, verschlankt, vernetzt sei der Sanitätsbetrieb nun geworden, prophezeit Martha Stocker. „Wir setzten auf einen landesweit vernetzten Betrieb mit einheitlichen Abläufen zur medizinischen Betreuung der Menschen, ein Miteinander in der kollegialen Führung und die verstärkte Beteiligung und Mitsprache aller Interessenvertretungen“, unterstreicht die Gesundheitslandesrätin. Das klingt vielversprechend. Dagegen spricht, dass die Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem zunimmt. Patienten fühlen sich wie Nummern behandelt, Ärzte und Pfleger überfordert, das System bietet kaum Entwicklungsmöglichkeiten und die Zentralisierungstendenzen mit dem Abbau von oft gut gehenden Abteilungen in der Peripherie verunsichern viele. Vor allem aber lässt ein Generaldirektor aufhorchen, der sich manchmal wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt.

 

DIE GROSSE REFORM BLIEB AUF DER STRASSE

Die Notaufnahme ist völlig überfordert

Kritik hagelt es von der Opposition. „Aufgeblähte Verwaltung, Abbau der Krankenhäuser, mehr Kosten sind die Schlagworte, mit denen die Sanitätsreform charakterisiert werden kann. Dreiviertel davon betreffen den Generaldirektor, die Manager, das Führungsgremium, die

Bezirksdirektoren, die Gehälter und die Machtfülle des Verwaltungsapparates im Sanitätsbetrieb“, heißt es von den Opposi­tions­bänken. „Der die Patienten und Gesundheitsversorgung betreffende Teil der Sanitätsreform ist jener, in dem aus sieben Krankenhäusern vier gemacht und die kleinen Krankenhäuser von den großen verschluckt werden“, meint Andreas Pöder von der Union für Südtirol. Gar aus den eigenen Reihen musste die Gesundheitslandesrätin Kritik einstecken. Die Reform sei insgesamt unausgewogen zu­gunsten des Generaldirektors, meinte Maria Hochgruber Kuenzer. Es werde Zeit brauchen, bis die Menschen wieder Vertrauen in den Gesundheitsdienst schöpfen. „Geht die­se Reform wirklich die großen Fragen der Sa­ni­tät an und berücksichtigt sie die Sorgen der Menschen?“, fragt Brigitte Foppa von den Grünen kritisch.
Was die Menschen beschäftigt, sind nicht die Kompetenzen des Generaldirektors oder die Gehälter der Manager als vielmehr die Sicherstellung einer guten, ganzheitlichen und mög­lichst wohnortnahen medizinischen Versorgung. Immer mehr Bürger können sich nicht des Eindrucks erwehren, dass es bei der Reform eigentlich nur um Einsparungen geht und einer Zweiklassenmedizin Vorschub geleistet wird

 

 

EINE REFORM MUSS ZUM WOHL DER MENSCHEN SEIN
Andreas Fabi kennt Südtirols Ge­sund­heits­betrieb in- und auswendig. Als Leiter der Personalabteilung und stellvertretender Ver­wal­tungsdirektor im Krankenhaus Bozen, später als Generaldirektor der Sanitätseinheit Meran und schließlich als Generaldirektor des gesamten Südtiroler Sanitätsbetriebs stand er fast sein ganzes Berufsleben im Dienste von Südtirols Gesundheitswesen. Beruf war Andreas Fabi Be­ru­fung, und im Mittelpunkt stand der Mensch. Der derzeitigen Ge­sundheitsreform kann er durchaus etwas abgewinnen, versteht aber auch die Sor­gen der Men­schen. Ein Gespräch mit dem ehe­­maligen Generaldirektor.

Andreas Fabi

Herr Dr. Fabi, die Reform des Ge­sundheitswesens sorgt für Auf­­regung und verängstigt die Menschen. Zu Recht?
Andreas Fabi: Ich sehe die Re­form­be­mü­h­ungen in den Grund­zügen durchaus berechtigt und notwendig. Die Materie ist aber derart komplex, dass es sogar für Ex­per­ten oft schwie­rig ist, den Durch- und Überblick zu bewahren. Die Verwaltungsabläufe, das In­for­mationssystem und auch Speziali­sie­run­gen zu vereinheitlichen, ist nicht nur aus Kos­ten­gründen notwendig. Al­ler­dings sollte man nichts mit der Brech­stan­ge durchsetzen. Wenn Dinge gut laufen, sollte man sie belassen, wie sie sind. Zentralisierung birgt die Gefahr in sich, dass die Schwächeren bzw. Klei­ne­ren auf der Strecke bleiben. Das macht den Men­schen Angst. Geduld und sanfte Ein­schnit­­te sind oft die bes­seren Rat­ge­ber.

Geduld braucht es auch bei den Facharztvi­si­ten, die Wartezei­ten sind oft monatelang. Muss das sein?
Die langen Wartezeiten sind ein großes Prob­lem. Sie sind nicht mutwillig gemacht und sie zu lösen hängt oft mit vielen Dingen zusammen. Da spielen Fach­arzt­man­gel und Arbeitszeitgesetze eine Rolle, organisatorische Rah­menbedingungen oder Über­las­tung vor allem in den Ballungs­zentren. Mit einer einheitlichen Vor­merk­stel­le könnte man auf die Peripherie ausweichen, allerdings nur für Fachbereiche, die auch dort angeboten werden. Es stand auch im Raum, dem Bür­ger es freizustellen, einen privaten Facharzt aufzusuchen. Da­raus wurde aber leider nichts.

Warum kosten die Untersuchungen oft sehr viel?
Für Facharztvisiten, Röntgen- und Labor­leis­tungen ist eine Kos­­tenbeteiligung vorgesehen. Dass  z. B. ein großes Blutbild dem Pa­tien­ten teuer kommt, hängt von der staatlichen Ge­setz­ge­bung ab. Die Ticketpreise sind uns vorgeschrieben. Da kann das Land wenig machen.

Der einfache Bürger sorgt sich, dass wir einer Zweiklassenmedizin zusteuern. Stimmt das?
Gerade in letzter Zeit sind viele private Struk­turen im Gesund­heits­bereich entstanden. Lange Wartezeiten muss man dort nicht in Kauf nehmen, Ärzte haben mehr Zeit für ihre Patienten, die allerdings die erbrachten Leis­tun­gen aus der eigenen Tasche bezahlen. Viele haben mittlerweile dafür eine Privat­ver­si­che­rung. Grundsätzlich finde ich diese Entwicklung nicht falsch, wenn die Er­brin­gung von Ge­sund­heitsleistungen für Selbst­zahler bzw. über Privat­ver­si­che­rungen in Pri­vatstrukturen das öf­fentliche System etwas ent­lasten. Das muss nicht heißen, dass die pri­vaten Dienste besser sind. Unser Gesund­heits­system kann sich durchaus sehen lassen und das wissen die Menschen auch. Es darf aber in keinem Fall sein, dass man eine gute Ge­sund­heitsleistung in einem zeitlich angemessenen Rahmen nur bekommt, wenn man zahlt.

Warum herrscht dann so viel Missmut in der Öffentlichkeit?
Ich denke, dass die Kom­mu­ni­ka­tion nach außen nicht immer die beste war. Unter­schied­liche Aus­sa­gen zwischen Politik und Be­triebs­führung haben immer wieder für Un­si­cherheit gesorgt. Es wurde angekündigt, widerrufen, anders angekündigt usw. Viele Bürger fürchten um ihre Dienste und eine angemessene öffentliche Gesundheits­be­treu­ung für die Zukunft. Mitarbeiter in den Kran­kenhäusern und Diens­­ten fühlen sich oft zu wenig wertgeschätzt. Sie spüren die Hierarchie und sehen für sich kaum Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten. Warum verlassen immer mehr gute Fach­ärzte den öffentlichen Be­trieb? Es ist nicht das Geld. Per­­so­­nal­füh­rung ist mehr als nur Per­so­nalv­er­wal­tung. Ein­spa­run­gen dürfen nicht auf dem Rücken der mittleren bzw. unteren Mit­ar­beiterebene er­folgen. Das kommt uns auf Dau­er teuer zu stehen.

Was wünschen Sie dem Südtiroler Gesundheitsbetrieb für die Zukunft?
Die Gesundheitsversorgung steht in Südtirol auf guten Beinen. Wir haben schöne Struk­tu­ren, beste medizinische Geräte und noch mo­tiviertes und fachlich gutes Per­sonal. Ich würde mir wünschen, dass Mitsprache, kollegiale Entscheidungsfindung und ein Mit­einander zum Wohle der Menschen wichtiger sind als reine Zahlen- und Indi­ka­to­ren­ver­waltung und ein Qualitäts­mana­ge­ment nach Lehrbuch. Vor allem aber darf die Wert­schätzung gegenüber dem Personal und dem Patienten nicht fehlen.

 

EIN BLICK VON AUSSEN
Der gebürtige Algunder Univ.-Prof. Lukas Prantl leitet das 2012 von ihm aufgebaute Hochschulzentrum für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie“ in Regensburg.
Die Universitätsklinik und Caritas-Krankenhaus St. Josef arbeiten eng zusammen, was für ganz Ostbayern (25.000 Patienten/Jahr) ambulante Vor- und Nachsorge neben stationärer Versorgung auf universitärem Niveau garantiert. Die „BAZ“ sprach mit dem Südtiroler Chefarzt.

Univ.Prof.Dr.med. Lukas Prantl

Herr Professor Prantl, was sind wesentliche Merkmale eines gut funktionierenden regionalen öffentlichen Gesundheitswesens?
Lukas Prantl: Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es eine Rangordnung für die Beurteilung der öffentlichen Gesundheitssysteme in den europäischen Ländern. Italien schneidet dabei gar nicht so schlecht ab, allerdings sagt diese Bewertung schlussendlich über die Versorgungsqualität des einzelnen Patienten sehr wenig aus. Hohe Versorgungsqualität im Gesundheitswesen beinhaltet unter anderem eine gute Vernetzung der Krankenhäuser mit den Haus- und Fachärzten, den präventiven und rehabilitativen Einrichtungen in der Region. Gute Zusammenarbeit kann die Patientenversorgung effizienter (kürzere Wartezeiten) und kostengünstiger (Vermeidung von Doppeluntersuchungen) gestalten. Schlussendlich profitiert der Patient am meisten, je besser alle Beteiligten im Gesundheitssystem zusammenarbeiten.

Was muss getan werden, damit das öffentliche Gesundheitssystem und eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau auch in Zukunft sichergestellt ist?
Entscheidend für gut funktionierende Gesundheitssysteme ist eine hohe Motivation der Mitarbeiter. Die wichtigste Frage lautet also, wie Motivation und Identifikation mit dem Betrieb langfristig gefördert werden können. Wertschätzung und Leistungsanreize sind meiner Ansicht nach der Schlüssel dazu. Das italienische System berücksichtigt dies zu wenig, indem es kaum Entwicklungsmöglichkeiten bietet.

Südtirol leidet unter akutem Fachkräftemangel. Haben Sie eine Idee, wie man das Problem lösen könnte?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man bietet in Südtirol eine Facharztausbildung selbst an oder man findet Kooperationen mit Kliniken, die eine solche Ausbildung garantieren können. Allerdings muss den Ärzten, die sich im Ausland spezialisieren, dann auch eine adäquate Betätigung im Land ermöglicht werden. Mehrere hoch spezialisierte Südtiroler Ärzte derzeit im Ausland finden in Südtirol keine angemessene Anstellung.

Lässt sich eine Zweiklassenmedizin überhaupt verhindern?
Wenn man sich die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen europaweit ansieht, so wird bald jedem klar, dass eine Maximalversorgung jedes Patienten ohne Kostenexplosion nicht mehr möglich sein wird. Aufgabe des öffentlichen Systems ist es, die bestmögliche Notfall- und eine gute Basisversorgung zu garantieren. Alles was darüber hinausgeht, kann sich in Zukunft das öffentliche System nicht leisten. In Deutschland haben viele Patienten daher eine private Krankenversicherung.

von Josef Prantl