Panem et circenses

Unsere Titelgeschichte anlässlich der 80 Jahre Kriegsende und warten auf die US – Besatzung beinhaltet eine interessante Passage, passend zu der kürzlichen Polemik um die „Italianità“ des gebürtigen Sextner Tennis-Profisportlers Jannik Sinner.

Auf Seite 5 lesen Sie unter anderem: Am 10. Mai 1945 veröffentlichte der damalige Befehlshaber der US-Truppen in Bozen, Offizier und Jurist William E. McBratney, eine Proklamation, die landesweit verteilt wurde: „Die Provinz Bozen steht unter der Verwaltung der Vereinigten Staaten von Amerika bis auf weiteres. Die bestehende zivile Verwaltung bleibt in Amt und Würden, soweit sie geeignet ist, Ruhe und Ordnung zu wahren. Die italie­nische Regierung bleibt oberster Souverän, doch die Vereinigten Staaten garantieren Schutz der deutschen und ladinischen Minderheiten sowie freie Ausübung ihrer Kultur und Sprache.“

Wenn der Journalist Corrado Augias in der Tageszeitung „La Repubblica“ schreibt, Jannik Sinner sei ein „Sohn der zwiespältigen Situation Südtirols“ und weiter „Italiener wider Willen“, so mag das seine persönliche Meinung sein. Was das mit dem Sport zu tun hat, sei dahingestellt. Was ich jedoch nicht verstehen kann, ist die Reaktion unseres Landeshauptmannes, der in einem Brief an die Zeitung nicht klar und deutlich sagt, dass Südtiroler eben keine Italiener sind, sondern die Südtiroler als Vorzeigeitaliener darstellt, die halt leider eine andere Sprache sprechen, aber sonst „italianissimi“ sind. Und nebenbei ist es schon verwunderlich, dass für einen Sportler dermaßen viel Aufsehens gemacht wird, der seinen Steuersitz nach Monaco verlegt hat. Gäbe es nicht viel wichtigere Dinge, um die sich ein neuer Pabst kümmern könnte, als Privataudienzen für Sportler als Priorität zu sehen? Sind wir wieder in das Rom des 1. Jahrhundert nach Christus gerutscht, wo mit „panem et circenses“ – Brot und Spiele, das Volk ruhiggestellt wurde?

Walter J. Werth