Den Nachnamen des Tiroler Barockmalers gibt es in Südtirol heute nicht mehr. Dafür hat er andere Spuren hinterlassen. Neben seinen künstlerischen Arbeiten zeugen eine Schule und eine Straße in Naturns, die nach ihm benannt wurden, von seiner Präsenz: Simon Ybertracher.
Jede Zeit hat ihre Moden. Wer die heutige Vielfalt der Vornamen mit jener vergangener Jahrhunderte vergleicht, dem fällt auf, wie sehr sich die Namengebung verändert hat. Während sich heute viele Eltern am Wohlklang der Buchstaben L und M oder an der Kürze des Namens orientieren, waren früher ganz andere Motive ausschlaggebend. So waren im frühen Mittelalter noch germanische Namen wie Eppo, Toldo oder Chlodwig üblich, im Hochmittelalter begannen die Menschen dann, ihre Kinder nach christlichen Heiligen zu benennen. Da man sich in der Wahl der Namen sehr häufig auf Verwandte oder Paten bezog, verbreiteten sich diese über ganz Europa. Selbst in protestantisch geprägten Regionen, in denen die Heiligenverehrung deutlich zurückging, blieb so das Namensgut erhalten. In katholischen Gebieten wurden Kindern häufig Namen von Heiligen gegeben, deren kirchlicher Festtag mit dem Tauftag zusammenfiel oder zumindest nahe beieinander lag. Allerdings sollte dieser Tag noch nicht vergangen sein. Eine sogenannte Rücktaufe wollte man vermeiden, um die segenspendende Kraft des Heiligen nicht zu beeinträchtigen. Das Fest des Apostels Simon Zelotes beispielsweise wird am 28. Oktober begangen. Das ganze Jahr 1694 hindurch wurde der Name in Naturns nie gewählt. Vom 9. bis zum 28. Oktober hingegen erhielten gleich fünf der sieben Täuflinge den Namen des Apostels. Der erste von ihnen ist der eingangs erwähnte Simon Ybertracher.
Ein lange vergessener Künstler
Die ältesten Spuren der Familie führen uns in das Jahr 1633, in dem ein Johannes Ybertrager urkundlich in Naturns erwähnt wird. 1694 wurde Simon als drittes von sechs Kindern des Schmieds Gallus Ybertracher und seiner zweiten Frau Eva Latschrauner geboren. Die Schreibweise des Familiennamens ist ungewöhnlich, es finden sich neben anderen auch die Varianten Übertrager und Ibertracher. Über die Bedeutung können wir nur spekulieren. Sein Geburtshaus war der Stegerschmied in Kompatsch. 1984 wurde dort eine Gedenktafel aus Laaser Marmor enthüllt, die vom Bildhauer Friedrich Gurschler gestaltet worden war. Im Alter von 23 Jahren heiratete Simon die fünf Jahre ältere Maria Hueber. Zwischen 1719 und 1730 wurden dem Paar sechs Kinder geboren. Der Erstgeborene Johannes taucht als Organist und Mesner in den Quellen auf. Über Simons beruflichen Ausbildungsweg ist wenig bekannt. Neben Naturns und Meran hat er auch in Gries und in Bozen gearbeitet. Als sein ältestes Werk gelten die Wandmalereien auf der Burg Hochnaturns aus dem Jahr 1720. Außer in seinem Heimatort erhielt er Aufträge in Latsch, Tarsch, Jenesien, Plaus, St. Pankraz und im Schnalstal. Neben Darstellungen aus dem Alten und dem Neuen Testament sind zahlreiche Porträts höhergestellter Personen erhalten, darunter Richter, Gerichtsschreiber und deren Gattinnen. Seine Bilder zeichnen sich durch viele sauber gemalte Details aus. Die Tatsache, dass er in den Kirchenbüchern schon bald als „Dominus”, also „Herr”, bezeichnet wurde, deutet darauf hin, dass er besondere Achtung genoss, denn dieser Titel wurde sonst nur bei Geistlichen, Adligen und Amtspersonen verwendet. Mit Mitte 70 bat er die Stadt Bozen, seinen Enkel Simon Veit zu sich nehmen zu dürfen, da er alt und sein Augenlicht geschwächt sei. Finanziell sah es schlecht aus; er musste seinen Lebensunterhalt als Maler von Wappenschildern verdienen. Als sein Enkel noch vor ihm starb, stellte er einen Gesellen ein. Lange hat er danach nicht mehr gelebt. Am 30. August 1772 starb der verwitwete Maler verarmt in Meran. Zu Lebzeiten wurde er von anderen Malern als Pfuscher verachtet, dann lange vergessen und erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt und geschätzt.
Christian Zelger