Von den italienischen Irredentisten ist er wohl derjenige, dessen Name bei uns am wenigsten im allgemeinen Gedächtnis verankert ist. Nach Cesare Battisti, Damiano Chiesa und Fabio Filzi sind in Sinich Straßen benannt. Ebenso für den vierten im Bunde: Nazario Sauro.
„Der in Capodistria geborene […] Kapitän der langen Küstenfahrt Nazario Sauro [wurde] wegen Verbrechens des Hochverrates, da er als österreichischer Staatsbürger in die feindliche italienische Kriegsmarine als Kämpfer eintrat und in dieser Eigenschaft an einer gegen die heimische Küste angesetzten feindseligen Unternehmung teilnahm, zum Tode durch den Strang verurteilt.“ So berichtet die „Meraner Zeitung“ im August 1916. Der Irredentismus war eine nationalistische Ideologie, deren Ziel es war, nach der italienischen Einigung 1861 die noch unter österreichischer Herrschaft verbliebenen italienisch besiedelten Gebiete an Italien anzuschließen – die sogenannten „terre irredente“, die „unerlösten Gebiete“. Dazu gehörten das Trentino und Triest. Wer im 1. Weltkrieg als österreichischer Staatsbürger, wie die vier eingangs Genannten, die Seiten wechselte und für Italien kämpfte, wurde als Hochverräter hingerichtet.
Leben eines Irredentisten
Nazario Sauro wurde 1880 in Capodistria, dem heutigen Koper geboren. Sein Vater Giacomo war Seemann und seine Mutter Anna Depangher stammte aus einer der ältesten Familien der Stadt. Sie erzog ihren Sohn zu einem italienischen Patrioten. Nach der Grundschule schrieb er sich auf Wunsch seines Vaters in ein Gymnasium ein, doch seine wahre Leidenschaft galt dem Meer und den Schiffen. Da seine Leistungen nicht den Erwartungen entsprachen, nahm der Vater ihn von der Schule. Nazario arbeitete zunächst als Matrose und bereits im Alter von 20 Jahren kommandierte er ein Handelsschiff. Vier Jahre später schrieb er sich an der Scuola Nautica in Triest ein und erwarb sein Kapitänsdiplom für die Küstenschifffahrt. Politisch stand er dem Sozialismus nahe und unterstützte ganz im Geiste Mazzinis, der von der Unabhängigkeit aller Völker überzeugt war, albanische Rebellen, indem er sie heimlich mit Waffen und Munition belieferte. Von den Albanern wurde er als aufrichtiger Freund geschätzt. Er war ihnen so verbunden, dass er einer seiner Töchter den Namen Albania gab. Das Verhalten der Österreicher gegenüber den Italienern nährte seinen Widerstand gegen das Kaiserreich. Nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges reiste er nach Venedig, um den Kriegseintritt der Italiener gegen Österreich zu unterstützen. Sogar seinen Sohn Nino, der erst elf Jahre alt war, setzte er ein, um gefälschte Pässe nach Triest zu schmuggeln. Nach dem Kriegseintritt Italiens 1915 meldete er sich als Freiwilliger und war in über 60 Einsätzen an Gewalt- und Sabotageakten beteiligt. Zudem entwickelte er ein Bojen-Tauchboot für den Kriegseinsatz. Am 30. Juli 1916 befand er sich als Kursoffizier unter dem Tarnnamen Nicolò Sambo an Bord eines U-Boots, das auf Grund lief. Nach seiner Gefangennahme folgte der Prozess wegen Hochverrats vor einem österreichischen Marinegericht. Auch dass seine eigene Mutter vor Gericht leugnete, ihn zu kennen, rettete ihn nicht vor dem Galgen. Er wurde am 10. August 1916 in Pula hingerichtet.
Straßen eines Nationalhelden
Schon wenige Jahre nach seinem Tod wurde er als Nationalheld verehrt. Nicht nur in Sinich trifft man auf seinen Namen. Mit dem Vertrag von Saint-Germain wurde Triest, das als österreichische Stadt im 19. Jahrhundert aufblühte, im September 1919 Italien zugesprochen. Bereits fünf Monate vorher war man in der Stadt damit beschäftigt, „unangenehme Erinnerungen“ auszutilgen, wie es italienische Zeitungen formulierten, die durch einige Straßennamen erweckt wurden. Dazu gehörten beispielsweise die Maria-Theresia- und die Erzherzog-Josef-Straße. Sie erhielten nun italienische Namen. Eine von ihnen wurde Nazario Sauro gewidmet.
Christian Zelger