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In der Dauerkrise

Warum tun sich die Verantwortlichen so schwer zuzugeben, dass nicht alles so gut ist, wie es eigentlich sein sollte? Eine gesamtstaatliche Studie stellte unserem Gesundheitswesen keine gute Note aus. Hauptgrund für das schlechte Abschneiden sei die Datenvermittlung, heißt es nun von Seiten des Sanitätsbetriebs.
von Josef Prantl

Es gelte daher, die Südtiroler Datenqualität zu verbessern, um auch im staatlichen Vergleich künftig besser dazustehen und missverständliche Diskussionen möglichst zu vermeiden, so die Verteidigung der Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb zum schlechten Abschneiden bei der GIMBE-Studie. „Ich bin überzeugt, dass die Menschen in Südtirol gut versorgt werden“, erklärt Landeshauptmann und seit einem Jahr notgedrungener Gesundheitslandesrat Arno Kompatscher. Er mag schon recht haben. Alles in allem sind wir nicht schlecht aufgestellt. So bestätigte das deutsche Unternehmen „Statista“ kürzlich, dass Bozen auf Platz 19 von 140 Krankenhäusern in Italien liegt. Trotzdem sind die Klagen vieler Menschen, die um ihre Gesundheit besorgt sind, nicht zu überhören. Die meisten von uns erleben Krankheit als eine schwierige und belastende Situation. Sie wünschen sich deshalb eine fachlich kompetente Vertrauensperson, die sie und ihr Anliegen ernst nimmt.  Wer aber am Wochenende in die Erste Hilfe muss, kann mit mehrstündigen Wartezeiten rechnen und trifft auf Ärzte, die kaum der deutschen Sprache mächtig und oft heillos überfordert sind. Facharzttermine, aber auch operative Eingriffe, sofern es sich nicht um einen Notfall handelt, sind mit monatelangen Wartezeiten verbunden. Wer es sich leisten kann, wendet sich an die vielen privaten Anbieter, die in den vergangenen Jahren geöffnet haben. Nicht einfach gestaltet sich der Weg von der Anamnese bis zur Diagnose, vor allem wenn mehrere Abteilungen miteingebunden sind. Als Patient ist man zuerst einmal auf sich gestellt. Gar nicht so einfach ist es zu erfahren, wer der behandelnde Arzt ist, was in der Infusion enthalten ist, was mit einem geschieht.

Die Sanitätsführung: Landeshauptmann und Gesundheitslandesrat Arno Kompatscher mit Ressortdirektor Günther Burger (r.) und dem Generaldirektor des Sanitätsbetriebes, Florian Zerzer.

Von der Schwierigkeit zusammenzuarbeiten
Die Ansprüche sind gestiegen und die Medizin von heute ist nicht zu vergleichen mit der vor Jahren. „Der Fortschritt in der Medizin ist rasant“, bestätigt Univ. Prof. Lukas Prantl. Der gebürtige Algunder weiß, wovon er spricht, leitet er doch das von ihm aufgebaute Hochschulzentrum für Wiederherstellungschirurgie mit über 100 Ärzten und Pflegepersonal in Regensburg. Um Patienten bestmöglich zu versorgen und das volle Leistungsspektrum der Plastischen, Hand- und Wiederherstellungschirurgie anbieten zu können, kooperieren die Universitätsklinik und das von der Diözese geführte Caritas-Krankenhaus St. Josef in einem Netzwerk. Durch Spezialisierung der beteiligten Ärzte an den zwei Standorten und durch die Bündelung der Ressourcen ist so bestmögliche medizinische Versorgung rund um die Uhr gewähreistet. Eine solche Versorgung wünschten sich viele bei uns auch.

Von der Schwierigkeit zu kommunizieren
Die Kommunikation, zwischen Krankenhaus und Peripherie, zwischen einzelnen Abteilungen im gleichen Krankenhaus, zwischen Patienten und Arzt, nicht zuletzt auch zwischen Sanitätsbetrieb und Öffentlichkeit, ist in Südtirol aber nach wie vor ein großes Problem. Warum stellt sich zum Beispiel ein behandelnder Arzt nicht dem Patienten, den er vor sich hat, zuerst einmal kurz vor? Warum weiß die eine Hand oft nicht, was die andere gemacht hat? Die immer noch unterschiedlichen digitalen Systeme im Sanitätsbetrieb mögen ein Grund sein, aber niemand verbietet es, bei einem Kollegen in der Nachbarabteilung nachzufragen. Die kommunikativen Schwächen in unserem Gesundheitssystem nur mit Zeitmangel zu rechtfertigen, ist keine befriedigende Antwort. Denn jeder Patient hat ein Recht, über seine Erkrankung und deren Behandlung alles zu erfahren und jederzeit Einsichtnahme in seine Patientenakte zu erhalten. Dazu kommt die Schwierigkeit mit der Zweisprachigkeit, vor allem unter den Ärzten. Notgedrungen durch Personalmangel werden beim Proporz im Gesundheitswesen die Augen zugedrückt. Mehr als Sprache zähle die Kompetenz. Das mag stimmen, aber von einem Arzt, der nach Südtirol kommt, sollte man verlangen können, dass er, eher früher als später, Deutsch oder Italienisch spricht. Einen ärztlichen Befund möchte jeder in der Sprache bekommen, die er auch versteht. Und dass ein Arzt seinen Patienten versteht, ist unerlässlich für eine richtige Behandlung und eine umfassende Information. Umgekehrt genauso.

Gesundheitspolitik in der Krise
Maria Elisabeth Rieder arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Gesundheitsbezirk Bruneck. Die Abgeordnete vom Team K prognostiziert, dass über 500 Krankenpflegerinnen und Pfleger in den nächsten fünf Jahren im Südtiroler Sanitätsbetrieb in den Ruhestand treten, dazu kommen jährlich Dutzende Ersatzanstellungen für Mutterschaft und die kontinuierlich steigenden Kündigungen. In diesen Zahlen ist der Bedarf an Pflegepersonal in den Senio­ren- und Pflegeeinrichtungen Südtirols nicht enthalten. Dem gegenüber stehen nur 85 Studierende, die im Studienjahr 2022/23 ihre Ausbildung in der Krankenpflege begonnen haben. 65 Studienplätze blieben leer. „Die Probleme bestehen seit Jahren, ohne dass die Landesregierung etwas unternimmt“, sagt die neue Freiheitlichen-Obfrau Sabine Zoderer. Ärztemangel, Pflegedefizit, lange Wartezeiten, Ärzte, die nicht Deutsch sprechen, Befunde nur auf Italienisch und die Schließung von Abteilungen: Vieles im Südtiroler Gesundheitswesen funktioniere nicht mehr so, wie es eigentlich sollte, meinen die Freiheitlichen. Der akute Fachkräftemangel hatte bereits konkrete Auswirkungen. So wurde beispielsweise im Krankenhaus Schlanders die Abteilung 3 der Medizin geschlossen. Immer wieder gibt es Gerüchte über weitere Schließungen oder Zusammenlegungen von Abteilungen.

Gleichbehandlung in der medizinischen Versorgung
„Ich brauche keine private Krankenversicherung, ich gehe ja ins Krankenhaus“: Bis vor wenigen Jahren hätte niemand gegen diesen Satz Einwände erhoben. „Es ist eine klare Tendenz zu vermerken, dass eine private Gesundheitsvorsorge immer mehr nachgefragt wird“, bestätigt Thomas Gruber vom Raiffeisen-Versicherungsdienst. Wer es sich leisten kann, versichert sich privat ab. Denn das Gefühl, dass man sich auf unser öffentliches Gesundheitswesen nicht verlassen kann, wird man nicht los. Da helfen auch alle Beteuerungen der Verantwortlichen nichts, dass es nie zu einer Zwei-Klassen-Medizin kommen werde. „Wenn Anreize im System fehlen und alle gleich behandelt werden, dann gehen die Besten“, sagt Prof. Lukas Prantl. Die „Gleichschaltung“, wie sie in Italien z. B. auch im Bildungswesen besteht, führt dazu, dass all jene, die Herzblut in die Arbeit stecken, sich irgendwann von diesem System enttäuscht abwenden. Das führe unweigerlich zu einer Zwei-Klassen-Medizin, denn die guten Ärzte wandern in den privaten Bereich ab. Wer aber erkrankt, möchte die beste Behandlung erhalten und sich sicher sein, dass er in guten Händen ist. Ärzte sind verpflichtet, über eine Erkrankung und über alle in Frage kommenden Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten umfassend und rechtzeitig zu informieren und aufzuklären. Besonders bei chronischen oder schwerwiegenden Krankheiten ist es für den Betroffenen ein großes Anliegen, genau informiert zu werden. Manche Erkrankungen werfen auch Fragen zur Rehabilitation oder zu Sozialleistungen auf. All das macht die Qualität der Gesundheitsversorgung aus: Das geht nur mit motivierten, kompetenten Ärzten und Pflegekräften, die ausreichend Zeit dafür finden.

Die Sorge um die gute Behandlung
Für Aufsehen sorgte die Mediaset-Sendung „Le Iene“, die aufdeckte, dass es italienweit private Gesellschaften gibt, die an die Krankenhäuser Ärzte verleihen – auch an den Südtiroler Sanitätsbetrieb. Nur so könne der Personalmangel abgebaut werden, sagen die Verantwortlichen. Eine Gesellschaft bei uns heißt „Medical Service Südtirol“ und verfügt laut medizinischem Direktor, Jamil Abbas, über ein Netz von 80 Freiberuflern. In Südtirol sollen so in den Gesundheitsbezirken Meran und Brixen 25 Ärzte vermittelt worden sein, auch für die Notaufnahme. Diese Ärzte verrichten nur kurzfristig Dienst und wechseln laufend Dienststelle. Dass in einer gut funktionierenden Gesundheitsversorgung, der die Menschen vertrauen, eine Notaufnahme aber mit kompetenten Leuten besetzt sein muss und das rund um die Uhr, versteht sich von selbst! „Man wird von einem Arzt zum anderen geschoben, wir sind weit weg von einer Patientenbindung geschweige denn von einem Vertrauensarzt, der über seinen Patienten gut Bescheid weiß“, bestätigen immer mehr Betroffene. Unverständlich ist auch, dass nach einer Facharztvisite nicht sofort auch ein Therapieplan erstellt wird, sondern dass man wieder zum Hausarzt zurückgeschickt wird.

Bürgermeister und Landeshauptmann beraten über Verbesserungen im Gesundheitswesen

Fehlende Partizipations- und Informationskultur
Großen Nachholbedarf im Umgang mit den Angestellten, stellt Maria Elisabeth Rieder fest. „Ich denke, da geht es nicht nur um die fehlenden Gehaltserhöhungen. Am Betriebsklima und am Umgang mit den Angestellten müsste wohl dringend gearbeitet werden. Es braucht nicht nur Aktionen, um Personal anzuwerben. Ganz wichtig wäre es, sich um das Personal, das sich seit Jahren bemüht, besser zu kümmern“, fordert die Abgeordnete des Team K. Das bestätigt auch eine Umfrage am Krankenhaus Schlanders. „Es wird immer mehr von uns verlangt“, sagt Dorothea Kurz, welche die Befragung unter dem Pflegepersonal am Krankenhaus Schlanders gestartet hat. Dazu kommt die schlechte Bezahlung. „Die Schere zwischen dem, was Ärzte und diplomiertes Pflegepersonal verdient, ist viel zu weit auseinander“, so die Krankenschwester. So verdiene ein sogenannter „Springerarzt“ an einem Wochenende gleich viel wie eine Pflegekraft in einem Monat.

Wir wissen es schon lange
Aufgrund der demografischen Entwicklung – sprich: immer mehr ältere Menschen und chronisch Kranke – kommen auf das Gesundheitssystem große Herausforderungen zu. Das wissen wir seit langem. Man braucht sich nur die Geburtsdaten der Hausärzte anzusehen, und kann sich schnell ausmalen, was auf uns zukommen wird. Das gilt in gleicher Weise für die Altenpflege, für den Bildungsbereich. Woran liegt es aber, dass die Verantwortlichen bisher keine adäquaten Lösungen finden?

Die ökonomische Bedeutung
Die größten Ausgaben im Landeshaushalt fallen seit langem schon auf das Gesundheitswesen, heuer sind es 1464 Millionen Euro. Gesundheitsversorgung ist teuer – und wird in Zukunft noch teurer werden. Aber: Im Sanitätsbetrieb sind rund 11.000 Mitarbeiter beschäftigt. Wir haben es hier also mit einem bedeutenden Wirtschaftssektor zu tun. Warum sehen wir immer nur das produzierende Gewerbe oder den Tourismus als Wirtschaftsmotor an? Warum spricht man im Sozial- und Gesundheitsbereich immer nur von Kosten und nicht auch davon, dass viele Menschen hier Leistung erbringen und zum Wirtschaftskreislauf gleich beitragen wie in der Industrie, im Handel oder Tourismus? Oder zählen die Zehntausenden im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssektor nicht zu Arbeitskräften, die ihre Steuern zahlen, die den Konsum ankurbeln und so die Wirtschaft am Leben erhalten?

Ein einheitliches Kommunikationsystem würde schon längst gebraucht werden.

Komplexes Sanitätssystem
Seit 2007 gibt es den einheitlichen Südtiroler Sanitätsbetrieb (SABES) mit vier Gesundheitsbezirken (Bozen, Meran, Brixen, Bruneck), 2 Departements und 10 weiteren Diensten. Dazu kommen noch 25 sogenannte „territoriale“ Dienste (Gesundheitsversorgung vor Ort), 153 Abteilungen und Dienste in den 7 Krankenhäusern, 20 Gesundheitssprengel mit 24 Sprengelsitzen sowie 14 Sprengelstützpunkten. Die 281 Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinmedizin (Hausärzte) sowie die 63 Kinderärzte freier Wahl sind hingegen Freiberufler, die an den Südtiroler Sanitätsbetrieb vertraglich gebunden sind.   Seit 1. Juni 2022 sind alle sieben Krankenhäuser des Südtiroler Sanitätsbetriebes Lehrkrankenhäuser der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU).Medizinstudierende dürfen seitdem an allen Südtiroler Krankenhäusern Teile ihres Studiums absolvieren. Am NOI-Techpark wird der „Dienst für Innovation, Forschung und Lehre“ des SABES eingerichtet, also eine Art Forschungsmöglichkeit für Südtirols Ärzteschaft. Und an der „Claudiana“ sollen demnächst auch Mediziner ausgebildet werden (Lehrsprache ist Englisch). Ob das nicht Geldverschwendung ist, fragen sich so manche, in Anbetracht dessen, dass es reichlich gute Medizin-Universitäten im In- und Ausland gibt. Kritisiert wird auch die Sonderausbildung in Allgemeinmedizin am sogenannten Universitären Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe „Claudiana“ in Bozen: Zu wenig Praxis!
Das System „Südtiroler Gesundheitswesen“ ist damit noch lange nicht vorgestellt. Es gibt z. B. auch ein Institut für Allgemeinmedizin, die Landesabteilung Gesundheit, die Beobachtungsstelle für Gesundheit, das Ressort Gesundheit, Breitband und Genossenschaften…

Wieviel darf Gesundheit kosten?
Finanziert wird unser Gesundheitswesen über die Steuereinnahmen durch den Landeshaushalt. Bei einer Summe von fast 1,5 Milliarden Euro, die dem Gesundheitswesen zur Verfügung stehen, müssten wir zu den Besten gehören, sagt der ehemalige Primar am Krankenhaus Sterzing, Franz Ploner. Tirol hat eine gute funktionierende Universitätsklinik, während wir weit davon entfernt sind. „Unsere reiche autonome Provinz investiert lieber in Sportanlagen, Bauern und in den Tourismus. Das Land setzt Prioritäten und investiert in Bereiche, die eh schon mit viel Geld gesegnet sind“, kritisiert der Gewerkschafter der Krankenhausärzte Ivano Simioni.  Während Tirol an die 4500 Krankenhausbetten hat, sind es bei uns an die 1700. Und was die Prävention und Gesundheitsvorsorge betrifft: Warum werden nicht viel mehr der Breitensport und Programme zur Gesundheitsvorsorge gefördert? Alle wissen, dass es in wenigen Jahren zu einem starken Anstieg bei den über 65-Jährigen kommen wird. Die notwendigen Infrastrukturen fehlen jetzt schon. Müssten wir nicht rasch Maßnahmen einleiten, damit wir nicht bald schon dastehen wie bei der Corona-Pandemie, als es geheißen hat: Unser Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps!

 

Mehr Wertschätzung für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen

Der ASGB-Gesundheitsdienst ist die mitgliederstärkste Gewerkschaft im Südtiroler Gesundheitswesen und zählt somit zu den wichtigsten Verhandlungspartnern des öffentlichen Arbeitgebers bei der Aushandlung von Kollektivverträgen. Die BAZ sprach mit Andreas Dorigoni, dem Landessekretär der Fachgewerkschaft ASGB-Gesundheitsdienst.

Andreas Dorigoni, Landessekretär der ASGB-Fachgewerkschaft Gesundheit

Viele Menschen beklagen sich über die Leistungen im Gesundheitswesen. So funktioniere zum Beispiel die Notfallversorgung mehr schlecht als recht. Zurecht?
Andreas Dorigoni: Das größte Problem in der Notfallversorgung sind die überlasteten Notaufnahmen. Es handelt sich um ein sehr komplexes Problem, da verschiedene Faktoren zur Überlastung beitragen. Viele Patienten kommen beispielsweise direkt in die Notaufnahme, obwohl sie eigentlich von ihrem Hausarzt behandelt werden sollten. Dies liegt oft daran, dass die Patienten nicht wissen, wo sie hinsollen, weil ihre regulären Ärzte keine Termine frei haben oder weil die Versorgung dort oft nicht optimal funktioniert. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Druck auf die Notaufnahmen, die schon unter einer hohen Arbeitsbelastung stehen. Es ist klar, dass es notwendig ist, Maßnahmen zu ergreifen, um die Notfallversorgung zu verbessern. Es wurden auch bereits verschiedene Ansätze verfolgt. Leider hat sich das Problem bislang jedoch nicht wirklich verbessert und es bedarf weiterer Anstrengungen, um eine langfristige und zufriedenstellende Lösung zu finden.

Ärztemangel, Pflegedefizit, lange Wartezeiten, Ärzte, die nicht Deutsch sprechen: Die Mängelliste im Sanitätsbereich ist groß. Haben die Verantwortlichen geschlafen?
Es wäre falsch zu sagen, dass alle Verantwortlichen im Sanitätsbereich geschlafen haben. Es wurden bereits viele Versuche unternommen, um die Probleme wie Ärztemangel, Pflegedefizit und lange Wartezeiten zu lösen. Allerdings müssen noch viel mehr Anstrengungen unternommen werden, um eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen. Es ist wichtig, dass der Sanitätsbetrieb die Bedeutung der angemessenen Behandlung des bestehenden Personals erkennt, um die Attraktivität des Berufs zu steigern und die Personalfluktuation zu verringern. Neueinstellungen allein werden nicht ausreichen, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Eine bessere Behandlung und Wertschätzung des bestehenden Personals sind genauso wichtig, um das vorhandene Personal zu motivieren und zu halten. Wir dürfen uns auch nicht scheuen, die Frage der Sprachbarrieren bei Ärzten ansprechen. Es muss nämlich sichergestellt sein, dass Pa­tienten die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten – dazu gehört auch eine verständliche Diagnose und Behandlung in der Muttersprache.

War die Schaffung des einheitlichen Sanitätsbetriebs 2007 rückblickend ein Fehler?
Es ist schwierig, rückblickend zu beurteilen, ob die Schaffung des einheitlichen Sanitätsbetriebs 2007 ein Fehler war. In den letzten Jahren hat es viele Veränderungen in diesem Bereich gegeben und es wäre nicht seriös zu sagen, dass eine andere Entscheidung zu besseren Ergebnissen geführt hätte. Allerdings ist klar, dass wir uns jetzt in einer Situation befinden, in der die Gesundheitsversorgung in vielen Bereichen deutlich schlech­ter ist als vor Jahren. Es ist wichtig, dass wir uns auf die aktuellen Probleme konzentrieren und nach Lösungen suchen, um die Qualität der Gesundheitsversorgung in der Region zu verbessern.

„Ich brauche keine private Krankenversicherung, ich gehe ja ins Krankenhaus“, hieß es noch vor 15 Jahren. Heute trifft das nicht mehr zur. Kann die Zusammenarbeit mit der privaten Gesundheitsversorgung aber zu einem effizienteren und besseren öffentlichen Gesundheitsversorgung führen oder entwickeln wir uns immer mehr in Richtung Zwei-Klassen-Medizin?
Ich persönlich denke, dass wir uns bereits in einer Zwei-Klassen-Medizin befinden. Menschen, die das nötige Geld oder eine Zusatz-­Krankenversicherung haben, können sich nicht nur Leistungen von privaten Anbietern holen, sondern auch im öffentlichen Gesundheitswesen den gewünschten Arzt aussuchen, indem sie ihn im öffentlichen Krankenhaus privat bezahlen. Das führt dazu, dass Patienten mit höherem Einkommen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung haben als Menschen mit geringerem Einkommen. Konkret birgt diese Situation die Gefahr, dass die Privatversicherungen bevorzugt behandelt werden könn­ten und die öffentliche Gesundheitsversorgung vernachlässigt wird. In Bereichen, in denen lange Wartezeiten bestehen, sollten Privatleistungen der Ärzte im öffentlichen Krankenhaus nicht möglich sein, um eine Chancengleichheit für alle Patienten zu gewährleisten. Es ist wichtig, dass wir uns auf eine bessere Regulierung und Überwachung des Gesundheitswesens konzentrieren, um sicherzustellen, dass alle Patienten unabhängig von ihrem Einkommen Zugang zu qualitativ hochwertiger medizinischer Versorgung haben.

Der Pflege am Patienten ist eine Akademisierung in der Pflegeausbildung gefolgt, lautet eine Kritik. Stimmen Sie dem zu?
Die Frage der Akademisierung in der Pflegeausbildung ist sehr umstritten. Es gibt Argumente auf beiden Seiten. Einerseits kann eine bessere Ausbildung für Krankenpfleger und ein höherer Stellenwert der Ausbildung für alle von Vorteil sein. Andererseits schreckt die längere Ausbildung viele junge Menschen ab und es gibt kaum Möglichkeiten, die Ausbildung zu ändern. Die ex­trem hohe Arbeitsbelastung in der Pflege im Vergleich zu anderen gleichwertigen Berufen ist ein weiterer Grund, warum viele Jugendliche diesen Beruf nicht wählen.
Insgesamt ist es wichtig, dass wir uns auf bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Entlohnung für Pflegekräfte konzentrieren, um sicherzustellen, dass der Beruf attraktiv bleibt und wir genug qualifiziertes Personal haben, um die Bedürfnisse unserer Gesellschaft in Bezug auf die Gesundheitsversorgung zu erfüllen.

Was ist zu tun, damit unser öffentliches Gesundheitswesen nicht ganz Schiffbruch erleidet?
Um zu verhindern, dass unser öffentliches Gesundheitswesen Schiffbruch erleidet, braucht es wahrscheinlich eine ganze Reihe von Maßnahmen.
Eine der wichtigsten ist eine massive finanzielle Aufwertung aller Berufe im Gesundheitswesen, welche keine Führungs- und Leitungsfunktionen innehaben. Es ist wichtig, dass diese Berufe angemessen entlohnt werden, um sicherzustellen, dass wir genug qualifiziertes Personal haben und dass diejenigen, die bereits in diesen Berufen arbeiten, ihre Arbeit schätzen und nicht demotiviert werden. Zusätzlich müssen Führungskräfte und Vorgesetzte lernen, wie man angemessen mit Mitarbeitern umgeht. Eine bessere Arbeitsatmos­phäre und positive Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten können dazu beitragen, dass das Betriebsklima verbessert wird und sich dies positiv nach außen hin, auswirkt. Wir müssen auch effektiver werden bei der Personalanwerbung und uns an den Methoden anderer Länder orientieren, die bereits erfolgreiche Strategien entwickelt haben.

Wofür brauchen wir eine Abteilung Gesundheit beim Land, wenn wir den Sanitätsbetrieb haben?
Diese Frage haben wir dem damaligen Landesrat schon 2007 gestellt und es ist immer noch eine relevante Frage. Außer dem Umstand, dass sich die Namen der Ämter geändert haben, ist mehr oder weniger alles beim Alten geblieben.

 

Nach den Ursachen suchen und nicht alles schönreden

An unzumutbaren langen Wartezeiten für Visiten beim Facharzt krankt unser Gesundheitssystem schon lange. Da hat auch die Einführung des landesweiten Vormerksystems nichts geändert. Im privaten Bereich sind fachärztliche Visiten in wenigen Tagen zu haben. Die BAZ sprach mit einer Mutter, die für ihren Sohn um eine Facharztvisite angefragt hat:

Ihr Kinderarzt hat eine fachärztliche Visite für Ihren Sohn verschrieben. Was wurde Ihnen von Seiten des Sanitätsbetriebs mitgeteilt?
P. H.: Ich habe zuerst online versucht, eine Vormerkung vorzunehmen, das war aber nicht möglich, es wurde mir kein Termin angezeigt. Also habe ich die einheitliche Vormerkzentrale angerufen. Die freundliche Dame sagte mir, dass es leider keinen Termin gäbe. Ich erklärte ihr nochmal, dass ich flexibel sei und in jedes Krankenhaus Südtirols fahren würde. Sie betonte, wie leid es ihr täte, aber es gäbe nirgendwo einen Termin für eine allergologisch pädiatrische Visite. Sie meinte, ich solle es in einer Woche nochmal versuchen. Brav folgte ich ihrem Rat und bekam aber leider in einer Woche dieselbe Auskunft. Diesmal meinte die Frau am Telefon, ich könne es auf der Ambulanz in Brixen versuchen. Auch diesen Rat befolgte ich. In Brixen hieß es, es gäbe keine Visiten für Kinder von auswärts, ich solle doch bei der zentralen Vormerkstelle anrufen. Eine Woche später startete ich nochmal einen Versuch, vergebens: Es gab und gibt in ganz Südtirol keine allergologisch pädiatrische Visite für meinen Sohn. Dies hat man mir auch schriftlich per E-Mail zugesandt.

Wie geht es einer Mutter, wenn sie eine solche Auskunft erhält?
Ich war verärgert und auch verzweifelt, mein Sohn hatte zum zweiten Mal eine Urtikaria und der Kinderarzt hat geraten, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich bezahle in ein System ein und bekomme dann keine Leistung, das kann es doch nicht sein.

Was haben Sie dann getan, um doch noch zu einem Facharzttermin für Ihren Sohn zu kommen?
Ich habe mich an die Privatklinik „Martinsbrunn“ gewandt, dort bekam ich am nächsten Tag einen Termin, musste die Visite aber bezahlen, 152 Euro. Für einen Pric-Test hätte ich noch einmal extra bezahlen müssen, also haben wir diesen Test erstmals aufgeschoben. Ich habe dem Sanitätsbetrieb diese Angelegenheit geschildert und werde das Geld zurückverlangen. Bisher habe ich keine Antwort erhalten.

Die Einbindung der Privatmedizin in den Landesgesundheitsdienst lautet ein Vorschlag, der unser öffentliches Gesundheitssystem entlasten soll. Wie denken Sie darüber?
Wenn die Sanitätseinheit überfordert ist, wäre das keine schlechte Idee. Etwas muss auf alle Fälle passieren, es ist wohl klar, dass das Gesundheitssystem nicht mehr funktioniert und etwas verändert werden muss.

Ärztemangel, Pflegedefizit, lange Wartezeiten, Ärzte, die nicht Deutsch sprechen: Die Mängelliste im Sanitätsbereich ist groß. Was läuft da schief in unserem Gesundheitssystem?
Keine Ahnung, ich bin Lehrerin. Allerdings wäre es dringend nötig, das System zu hinterfragen. Warum haben wir denn einen so großen Ärztemangel, frage ich mich. Ich unterrichte an einer Oberschule und viele unserer besten Schüler studieren im Ausland Medizin, zurück nach Südtirol kommen aber die wenigsten. Auf meine Frage, wieso das so ist, antworten sie unisono: Die Zustände sind nicht tragbar! Die meisten von ihnen haben eine Famulatur (Schnupperpraktikum) in Südtiroler Spitälern gemacht und deshalb beschlossen, sich ein Leben fern der Heimat aufzubauen, weil die Zustände einfach katastrophal sind, so die Absolventen.  Meiner Meinung nach sollte man dieser Sache nachgehen, nachfragen, warum unsere klugen Köpfe lieber im Ausland bleiben. Wenn meine Schüler bei der Matura schlecht abschneiden, frage ich mich auch, was ich falsch gemacht habe und wie ich in meinen Unterricht op­ti­mieren könnte, dass die Ergebnisse stimmen. Das wäre im Sanitätssystem wohl auch dringend notwendig, sich nicht alles schönzureden, sondern sich selbst zu hinterfragen.