Kulturperspektiven: Abschlussveranstaltung in Bruneck
15. Dezember 2022
Vier Steine, ein Land
19. Dezember 2022
Alle anzeigen

Mit allen Sinnen

Langsam wird es Zeit, dass ich meine Weihnachtskrippe hervorhole. Ich freue mich, die wunderbaren Figuren, die meine Mutter vor langer Zeit bei einem Grödner Schnitzer gekauft hat, aus dem Schrank zu holen. Keine große Arbeit, die paar Figuren aufzustellen; Erbstücke, die mir ans Herz gewachsen sind, vor allem aber auch Erinnerungen.
von Josef Prantl

Für einige Menschen ist der Aufbau einer Krippe aber viel mehr, als nur ein paar Figuren um das Jesuskind aufzustellen. In den meisten christlichen Familien gehört die Krippe zur weihnachtlichen Tradition. Bei einigen ist sie bereits am 1. Dezember komplett fertig. Andere beginnen am Ersten Advent und lassen die Heilige Familie erst am 24. Dezember in den Stall einziehen. Die einen haben ein Dutzend Figuren, andere mehrere hundert, die sie mit viel Fantasie und Fleiß aufstellen. Jede Weihnachtskrippe ist so individuell wie ihre Besitzer. „Wer einmal mit dem Krippenbauen beginnt, wird in seinen Bann gezogen“, sagt Michael Horrer. Der Sekretär von Bischof Ivo Muser ist nicht nur leidenschaftlicher Krippenbauer, sondern auch der Vorsitzende der Südtiroler Krippenfreunde, ein Verein mit rund 1100 Mitgliedern im ganzen Land.

Die Krippe bringt uns zum Nachdenken
„Gott ist Mensch geworden“, so lautet die zentrale Botschaft des Weihnachtsfestes. Weihnachtskrippen setzen sie konkret ins Bild. „Krippendarstellungen sind nicht nur Spielereien, sondern vor allem Orte der Verkündigung: von der Geburt Jesu in einer Futterkrippe, von den Engeln, Hirten, den Heiligen Drei Königen, einem Stern, von Ochs, Esel und Schafen, welche die Botschaft von der Geburt des Messias verkünden. „Jede Figur hat ihren Sinn, eine Bedeutung“, erklärt Michael Horrer. Es gibt sie weltweit: Krippen aus Tansania, vom Titicacasee oder aus Tirol. Die Weihnachtsbotschaft wird in unzähligen Ländern in den unterschiedlichsten Darstellungen bildhaft dargestellt. Das Wort „Krippe“ ist uns als Futterkrippe oder Kinderkrippe geläufig. Vom Ursprung her bedeutet das althochdeutsche Wort  „Flechtwerk“, gemeint war der geflochtene Trog. Später wurde dann der erhöhte Futterplatz für Pferde und andere Tiere so bezeichnet. Weniger bekannt ist, dass es neben den Weihnachtskrippen auch Fasten- und Osterkrippen, sogar Jahreskrippen gibt. Sie erzählen die Evangelien nach, bildhaft, anschaulich, mit allen Sinnen erfahrbar.

Die Krippenfreunde Südtirols
1979 wurde im Kloster Muri Gries in Bozen der Verein der Südtiroler Krippenfreunde gegründet. Heute gehören ihm 28 Ortsgruppen und weit über 1000 Mitglieder an. Die Tradition des Krippenbaus zu erhalten und zu fördern, ist das Ziel der Krippenfreunde: Jeder Familie eine Krippe, lautet das Motto! Es gibt sogar einen weltweiten Verband, der 1957 in Barcelona gegründet wurde. Seit 6 Jahren leitet der Sekretär des Bischofs den Südtiroler Verein. Weihnachten bietet für religiöse Familien eine große Chance, weiß Horrer: „Wenn Eltern ihren Kindern an Weihnachten die Botschaft von der Geburt Jesu‘ erzählen, ist das wie Glaubensunterricht.“

Eine Geschichte der Hoffnung
Der Bau einer Krippe ist weit mehr als Figuren aufstellen. Es geht darum, die Evangelien nachzuerzählen. Weihnachtskrippen übersetzen die Botschaft der Engel in unsere Zeit: „Heute ist euch der Retter geboren!“ „Die Beschäftigung mit der Weihnachtsbotschaft ist die Beschäftigung mit Hoffnung. Diese Hoffnung und der Blick auf das Kind in der Krippe tun immer wieder aufs Neue gut“, ist Michael Horrer überzeugt. In der Weihnachtskrippe spiegelt sich für ihn die Weihnachtsbotschaft: „Gott ist Mensch geworden, ist verletzlich wie ein neugeborenes Kind, den Umständen ausgeliefert, ohnmächtig, wie auch wir es sind. In der Gestalt dieses Kindes möchte Gott unter den Menschen wohnen, ihnen nahe sein“.

Krippentradition
Neapel gilt als das Mekka der Weihnachtskrippen. „Il presepe“ ist hier wichtiger als der Weihnachtsbaum und wird bereits am 8. Dezember aufgestellt. Das Jesuskind legen die Neapolitaner traditionell erst am Abend des 24. Dezembers dazu. Die Via San Gregorio Armeno, die im Volksmund auch „Via dei pastori“ genannt wird, ist weltweit als die „Straße der Krippenbauer“ bekannt. Dort gibt es neben Krippenfiguren auch alltägliche Nachbildungen wie Pizzabäcker oder Fischhändler, dazu alle möglichen Tierarten und sogar karikierte Politiker und Fußballspieler. Spannend sind die Entwicklungen und Varianten der europäischen Krippengeschichte, deren Blütezeit zwischen 1650 und 1850 lag. Italien und der südliche deutsche Sprachraum bilden einen besonderen Schwerpunkt. Eine europaweite Verbreitung fand die Weihnachtskrippe ab dem 16. Jahrhundert durch die Jesuiten. Im 19. Jahrhundert begannen die Grödner Bergbauern damit, während der Winterzeit Krippen aus Holz zu schnitzen. Sie fertigten die Heilige Familie und ergänzten ihre Holzfiguren mit unzähligen Holztieren und Krippenställen. Auf diese Weise gelangten die Weihnachtskrippen nach und nach in viele Familien.

Krippenmuseen und Krippensammlungen
Von einer lebendigen Krippentradition in unserem Land erzählen das Krippenmuseum im Kloster Muri Gries in Bozen, das die Südtiroler Krippenfreunde aufgebaut und lange geleitet haben. Die Lofferer Krippe vom ehemaligen Loffererhof in Gries (um 1750 – Pfarrer P. Hilarius Imfeld erwarb die Krippe um das Jahr 1924) und die Prälatenkrippe von Augustin Alois Probst (1758 – 1807) sind Schmuckstücke der Krippenbaukunst. Ein Herzstück der Sarnser Krippenschule befindet sich im Vinzentinum bei Brixen. Es handelt sich um eine orientalische Krippe des Südtiroler Krippenpioniers Ferdinand Plattner. Eine riesige handgeschnitzte Krippe befindet sich in St. Christina. Bei dieser Weihnachtskrippe handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem insgesamt 18 einheimische Bildhauer mitgewirkt haben. Das Krippenmuseum „Maranatha“ in Luttach rühmt sich, die fantasievollste Krippenwelt Europas zu zeigen. Weitere Krippensammlungen gibt es im Ursulinenkloster in Bruneck, im Hotel Mondschein in Sexten, im Museum „Heide“ in Pontives-Gröden und in St. Lorenzen in „Renatos Krippenhaus“.

Die Nißl-Krippe
Die Krippensammlung in der Brixner Hofburg ist aber die bedeutendste überhaupt. Die ausgestellten Krippen aus zwei Jahrhunderten haben einen hohen künstlerischen Wert. Bis zu 5000 Figuren hat zum Beispiel die Krippe von Franz Xaver Nißl. Berühmt ist auch die sogenannte Lodron-Krippe. Zu sehen gibt es in Brixen Krippen aus Neapel, Sizilien, Papierkrippen, Guckkastenkrippen, Krippen aus Terrakotta, Wachs- und Elfenbeinkrippen, Fasten- und Osterkrippen und sogar Jahreskrippen.

Krippen bauen lernen
„Der Startschuss fürs Krippenbauen ist bei vielen bereits in der Kindheit angelegt oder rund um die Familiengründung angesiedelt“, erzählt Horrer. Anliegen der Südtiroler Krippenfreunde ist es, den Krippenbau bei Kindern und Jugendlichen zu fördern. Helga Prünster, die Obfrau der Ortsgruppe Passeier-Riffian-Tirol, ist leidenschaftliche Krippenbauerin. In Riffian steht in der Passionszeit sogar eine Osterkrippe, die sie gebaut hat, im orientalischen Stil, nicht im heimatlichen. Wie der Name schon besagt, ist damit der Stil der Darstellung gemeint, vor allem des Hintergrunds und der Figuren. Heimatliche Krippen sind in die Tiroler Landschaft eingebettet und zeigen die Ereignisse um Christi Geburt in szenisch aufgebauten Krippenlandschaften und passenden Figuren im heimatlichen Stil. Der Krippenbauer stellt die Geburt Jesu in seiner eigenen Lebenswelt dar, während bei der orientalischen Krippe die szenische Inszenierung nach Betlehem in den Orient versetzt wird. „Wir freuen uns, wenn Schulen das Krippenbauen fördern, und wir unterstützen sie dabei sehr gerne“, sagt Michael Horrer. Der Verein organisiert Krippenbaukurse, geplant ist auch die Eröffnung einer Schule für Krippenbaumeister.

Über Ochs und Esel
Eine Krippe mit Ochs und Esel, mit Hirten und Schafen, mit Engeln und einem Stern, mit einem Stall, mit Josef und Maria und dem Jesuskind in der Mitte, diese Tradition geht auf den heiligen Franziskus zurück, der sie mit lebendigen Menschen und Tieren begründet hat. In der Christnacht des Jahres 1223 soll Franz von Assisi in einer Höhle bei Greccio eine Krippenfeier mit lebenden Tieren abgehalten haben. Für die Krippenfreunde weltweit wird das kommende Jahr daher zu einem besonderen Jubiläum: 800 Jahre Weihnachtskrippe! Ein halbes Jahrhundert später gab es die erste Krippe in den Kirchen Roms. Ochs und Esel kommen in der biblischen Weihnachtsgeschichte aber gar nicht vor. Dass sie dennoch zur Krippe gehören, hat damit zu tun, dass sie in den apokryphen Weihnachtsschriften sehr wohl genannt werden. Gemeint sind jene Texte, die nicht ins Neue Testament aufgenommen worden sind, aber recht folkloristisch das Leben Jesu erzählen. Und so heißt es dort, dass „am dritten Tage nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus“ ihr Kind in eine Krippe gelegt, „und Ochs und Esel beteten ihn an“ – also noch vor den „Heiligen Drei Königen“. Diese Über­lieferung ist nicht nur folkloristisch; sie hat einen biblischen Hintergrund. Denn beim Propheten Jesaja heißt es: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“ (Jes 1,3). Der Prophet will damit wohl zeigen, wie schwer es für viele ist, zu verstehen, was in Bethlehem geschehen ist – und wie leicht für einen sturen Ochsen und einen dummen Esel, die einfach nur wissen, wohin sie gehören und wo sie etwas zum Fressen finden.

Das Kind in der Futterkrippe
Nach Ostern ist Weihnachten das zweitgrößte Kirchenfest und das Kind in der Krippe spielt dabei die Hauptrolle. So heißt es in einer Predigt des Heiligen Hieronymus aus dem Jahr 385: „(…) Ich sehe mit Staunen, dass der Herr und Schöpfer der Welt nicht in Gold und Silber, sondern in Staub geboren wurde“. Auch für Michael Horrer ist das die Botschaft der Krippe. Die Hauptfigur ist das Jesuskind, ein Säugling, der in einem ärmlichen Stall in einer Futterkrippe liegt. Als „das Christuskind“ sym­bolisiert er Gott, der ohne weltliche Besitztümer, in großer Armut zum Menschen geworden ist.

Pflegen wir die Krippenkultur
Franziskus wollte vor rund 800 Jahren die Frohe Botschaft den Menschen, die nicht lesen konnten, erfahrbar machen. Der Bau einer Krippe bedeutet, sich mit der Botschaft Jesu auseinanderzusetzen. Die Krippe erklärt Kindern, aber auch Erwachsenen, auf sinnlich-erfahrbar Weise diese Botschaft. Nutzen wir deshalb Weihnachten, um den größten Schatz Europas lebendig zu halten: das Wissen um Jesus Christus, den Erlöser, dessen Geburt an Weihnachten gefeiert wird. Vielleicht haben auch Sie eine Krippe irgendwo verstaut und ganz vergessen? Es ist jetzt Zeit, sie herauszuholen…