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934 Minuten unbezwungen

Nicht nur hinter Straßennamen stecken interessante Geschichten. Auch Gebäude, auf die man an diesen Straßen stößt, können aus der Historie plaudern. So zum Beispiel der Combi-Sportplatz in der Meraner Schießstandstraße.

Sprache kann manchmal schon verwirrend sein. Der Friedhof hat nichts mit Frieden zu tun, die Kanarischen Inseln nichts mit Kanarienvögel und wer zum Jahresende Freunden einen guten Rutsch wünscht, der bezieht sich damit keineswegs auf eine mitternächtliche Rutschpartie auf der Rodel – zumindest nicht sprachlich. Auch benutzen wir oft Wörter, bei denen uns gar nicht bewusst ist, dass sie ursprünglich von einem Personennamen stammen. Wer seine Suppe mit Maggi würzt, sich ein Sandwich belegt oder in der Zeitung von einem Boykott liest, der denkt wohl kaum daran, dass die sprachlichen Wurzeln bei Julius Maggi, dem Earl of Sandwich und Charles Boycott liegen. Und nun muss ich zugeben, dass ich als Kind oft vor und im Combi-Stadion in Meran war und immer davon ausgegangen bin, dass dieses so heißt, weil man darin alle möglichen Kombinationen von Sportarten betreiben kann. Hätte ja sein können. Dass Combi ein Nachname ist, kam mir damals nicht in den Sinn. Das „G.“ vor dem Namen hätte immerhin ein Wink mit dem Zaunpfahl sein können … Tatsächlich ist das Meraner Sportstadion in der Schießstandstraße dem italienischen Sportler Gianpiero Combi gewidmet, auch bekannt als „prestigiatore in porta“, der Zauberer im Tor.

Ein Meister im Tor
Turin, 20. November 1902. Gianpiero Combi erblickte das Licht der Welt und in seiner Kindheit deutete noch nichts daraufhin, dass er einmal ein Ausnahmefußballer werden wird. Als Torwart hatte er sich dann in den 20er Jahren einen Namen gemacht. Er gilt heute als herausragendster Torhüter der Vorkriegszeit und als einer der besten des 20. Jahrhunderts. Sein Name ist untrennbar mit Juventus verbunden, in deren Jugendabteilung er ausgebildet wurde. Insgesamt zwölf Jahre spielte er für den Verein, gewann fünf Meisterschaften in der Serie A, davon vier in Folge. Zusammen mit den Außenverteidigern Virginio Rosetta und Umberto Caligaris bildete er eine der effizientesten Abwehrketten im italienischen Fußball. Sein Rekord von 934 Minuten ohne Tor hielt in der obersten italienischen Liga ganze 90 Jahre lang. Erst 2016 schaffte es ein anderer brillanter Juventus-­Torhüter, Gianluigi Buffon, vierzig weitere Minuten kein Tor zu kassieren. Den Höhepunkt in seiner Karriere erlebte Combi 1934. Als Kapitän wurde er mit der italienischen Nationalmannschaft Weltmeister. Noch im selben Jahr beendete der „uomo di gomma“, wie er wegen seiner Beweglichkeit genannt wurde, seine aktive Karriere. Er übernahm die väterliche Likör-Fabrik und eröffnete die „Gran Bar Combi“. Am 12. August 1956 erlag er im Alter von 53 Jahren einem Herzinfarkt. Bereits im Jahr darauf wurde in Meran der faschistische „Campo sportivo Littorio“ ihm zu Ehren umbenannt. Hier hatte sich die italienische Nationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft vorbereitet.
Eine törichte Meisterschaft?
Das wohl umstrittenste Ereignis in Combis Laufbahn war gerade die Fußball-Weltmeisterschaft 1934. Nachdem dieser Wettbewerb vier Jahre zuvor das erste Mal in Uruguay ausgetragen worden war, setzte Italiens Diktator Benito Mussolini alles daran, ihn nach Italien zu holen. Er versprach die nötigen Gelder zur Verfügung zu stellen und die Meisterschaft in gleich acht Orten austragen zu lassen. Dafür wurden Stadien modernisiert und neue gebaut. Der Verlauf war dann allerdings mehr als fragwürdig. Es hatte schon damit begonnen, dass in der italienischen Mannschaft vier argentinische Spieler waren, die laut Reglement gar nicht hätten antreten dürfen. Ab dem Viertelfinale folgte dann eine subtile Einflussnahme auf die Schiedsrichter. Tore, denen unfaire Aktionen vor­ausgegangen waren, wurden gegeben, reguläre Tore der gegnerischen Mannschaften aberkannt. Am Ende errang Italien seinen ersten Fußballweltmeisterschaftstitel – mit fahlem Nachgeschmack bis heute.

Christian Zelger