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9. Februar 2018
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Ein Rückblick

Peter Höllrigl geht. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile. Nach 15 Jahren an der Spitze von Südtirols Bildungswesen tritt der Kuenser Ende Februar ab. Die Gerüchteküche brodelte. Dass jemand seinen gut dotierten Führungsposten abgibt, ist ungewöhnlich und war für viele überraschend.  

Seit dem 1. März 2003 steht Peter Höllrigl an der Spitze des Deutschen Schulamts, seit 2010 leitet er auch das deutsche Bildungsressort. Den Posten als Ressortleiter wird Höllrigl gemeinsam mit dem des Schulamtsleiters Ende Februar niederlegen. Die Unter- und Oberstufenreform, der einheitliche Schulkalender, die neue Oberschullandschaft, aber auch die völlige Neuorganisation des Bildungswesens fallen in seine Zeit. die BAZ traf ihn in seinem Büro in Bozen zu einem Rück- und Ausblick.

BAZ: Herr Schulamtsleiter, wie fühlen Sie sich, wenn Sie nach 15 Jahren an der Spitze des Südtiroler Bildungswesens überraschend abtreten?
Peter Höllrigl: Ich habe diese Entscheidung wohlüberlegt und bewusst getroffen, da ich überzeugt bin, dass auch in Führungspositionen der Wechsel nach einer bestimmten Zeit guttut. Jetzt spüre ich in mir Zufriedenheit, Erleichterung und viel Gelassenheit. Allerdings haben mich die vielen Gerüchte überrascht, die aufgekommen sind, als ich meine Entscheidung öffentlich machte.

In Zukunft wird es eine Schulamtsleiterin  und einen Bildungsdirektor an der Spitze des Bildungsressorts geben. Sie haben beide Funktionen ausgeübt. Warum kam es zu dieser Trennung?

Die neue Schulamtsleiterin
Sigrun Falkensteiner

An der Spitze von Südtirols Bildungsressort steht Gustav Tschenett

Es war der politische Wille und eine bildungspolitische Entscheidung, alle Bildungseinrichtungen zusammenzuführen, also die Grund-, Mittel- und Oberschulen sowie die

Kindergärten, Berufs-, Fach-, Hauswirtschafts- und Musikschulen im sogenannten Bildungsressort zu bündeln. Lange Zeit haben die Menschen in den unterschiedlichen Bildungsstufen und Schultypen wenig voneinander gewusst, ja sie konkurrierten sogar und verbrauchten Ressourcen, die wir gebündelt doch viel besser nützen können. Unser Bildungswesen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten laufend weiterentwickelt. Denken wir nur an die Musikschulen oder an die Landesberufsschulen. Als in den 1970er Jahren das Deutsche Schulamt gegründet wurde, hatten wir eine ganz andere Ausgangssituation. Der vielseitigen Bildungslandschaft von heute wollten wir durch die Schaffung gleichgestellter Landesdirektionen und einer koordinierenden übergeordneten Bildungsdirektion Rechnung tragen. Wir haben nun Kindergärten und alle schulischen Institutionen unter einem gemeinsamen Dach zusammengeführt.

Was waren für Sie Höhepunkte als Schulamtsleiter?
Vorausgeschickt, dass im Bildungsbereich Erfolge nie das Ergebnis eines Einzelnen sind, erachte ich es als sehr positiv, dass es uns ge­lungen ist, für die Kindergärten und für alle Schularten und Schulstufen Rahmenbedingungen zu schaffen und zu sichern: Finanziel­le und personelle Ressourcen, gesetzliche Freiräume ebenso wie die Vernetzung unserer Bildungseinrichtungen gehören dazu. Sie ermöglichen einen guten Unterricht. Darum geht es ja im Grund. Mit dem neu organisierten Bildungsressort können wir Südtirols Bildungslandschaft als ein Gesamtprojekt sehen. Die Zukunft wird zeigen, wie gut dieses Projekt gelingt. Die Erstellung der Rahmenrichtlinien für alle Schulstufen, die Reform der Ausbildung der Lehrpersonen, die größere Sicherheit bei der Stellenvergabe, der einheitliche Schulkalender sind weitere Erfolge, die mich freuen.

Hat sich die Einführung der Fünf-Tage-Woche bewährt?
Ich denke, man sollte das Ganze sachlich sehen. Die Entscheidung, die Fünf-Tage-Woche einzuführen, hatte einen organisatorischen Hintergrund. Es wäre banal zu glauben, dass sich mit einer organisatorischen Entscheidung allein die Schule verbessert. Allerdings ist die Planbarkeit in den Direktionen und auf Landesebene jetzt einfacher geworden. Es muss auch nicht immer so bleiben. Vielleicht finden sich in Zukunft bessere Modelle.

Was hat Ihnen Kraft gegeben, Widerstände und den täglichen Druck auszuhalten?
Es gab viele Situationen, die mir sehr nahegegangen sind. Die täglichen Herausforderungen waren kein Zuckerschlecken. Ich denke da etwa an die Lehrerproteste gegen die Umsetzung der Unterstufenreform. Konsens zu finden, damit Weiterentwicklung gelingt, kostet Kraft, und da waren sicher auch so manche Enttäuschungen darunter. Viel Kraft und Ruhe habe ich aus den tragfähigen Beziehungen in meiner Familie gewonnen. Beim Sport habe ich aufgetankt; hin und wieder ein Ortswechsel tut mir gut. Die größte Kraft bezog ich aber aus meiner Überzeugung, einer zentralen gesellschaftlichen Einrichtung zu dienen, die für den Zusammenhalt gerade dieser Gesellschaft wichtiger denn je ist.

Haben Sie ein pädagogisches Credo, an dem Sie sich orientieren?
Kindern und Jugendlichen ist ein natürlicher Trieb inne: Sie wollen lernen. Alle. Sie sind neugierig und saugen auf wie Schwämme. Ob als ehemaliger Grundschullehrer, später als Direktor, Inspektor, Schulamtsleiter oder als Direktor des Bildungsressorts –  sah ich meine Aufgabe darin, Bedingungen zu schaffen, dass Kinder und Jugendliche gut lernen können. Das setzt einen pädagogischen Optimismus voraus, den alle haben sollten, die im Bildungsbereich arbeiten. Wie wollen wir junge Menschen bestärken, wenn wir nicht selbst von Freude an der Arbeit erfüllt sind?

Lehrer werden immer länger arbeiten und immer älter. Wie wirkt sich der demografische Wandel auf das Bildungssystem aus?
Die pädagogische Arbeit ist kräftezehrend. Lehrer mit 50, 60 Jahren können nicht dasselbe Arbeitspensum leisten wie ihre jüngeren Kollegen. Dies ist eine große Herausforderung für die Zukunft. Wir werden uns alternative Arbeitszeitmodelle überlegen müssen, die den Anforderungen dieser Entwicklung gerecht werden. Wir werden Karrieremöglichkeiten und alternative Tätigkeitsfelder für Lehrpersonen und das pädagogische Fachpersonal finden müssen.

Individualisierung und Personalisierung sind Schlagwörter. Bei einer größeren Zahl von Schülern mit Migrationshintergrund, aus sozial benachteiligtem Umfeld oder mit psychosozialen Störungen ist das schwierig?
Ich weiß, dass das sehr schwierig ist, aber das heißt nicht, dass wir den Anspruch aufgeben sollten, Kinder und Jugendliche dort abzuholen, wo sie stehen und sie in ihren Stärken zu fördern. Autonome Schulen haben die Möglichkeiten, auch neue Wege zu wagen.  Ich wünsche mir, dass in den Schulgemeinschaften mehr Mut heranwächst, um Neues zu wagen.

Hat die Oberstufenreform zu einer besseren Schullandschaft geführt?
Leider ist es nicht gelungen, eine noch klarere Profilbildung der unterschiedlichen Schularten zu erreichen. Allerdings haben wir heute mit den drei Säulen – Gymnasien, Technologische Fachoberschulen und Schulen der Berufsbildung – eine klare Übersicht. Noch zu entwickeln ist das gesellschaftliche Bewusstsein, dass die drei Ausbildungswege gleichwertig sind. Alle drei Säulen haben den gleichen Wert. Mit unserer Haltung müssen wir alle dazu beitragen, dass sich dieses Bewusstsein in unserer Gesellschaft durchsetzt.

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche schreitet voran. Was bedeutet das für die Schule?
Die Digitalisierung wird die Gesellschaft und damit auch unser Bildungswesen in ähnlicher Weise verändern, wie es der Buchdruck getan hat. Ich spreche deshalb von einer kopernikanischen Wende auch im Bildungsbereich. Eine große Herausforderung kommt auf uns zu. In den Bildungseinrichtungen bereiten wir die Kinder und die Schüler darauf vor. Allerdings bin ich überzeugt, dass die Lehrerpersönlichkeit trotz der Digitalisierung nicht an Bedeutung verlieren wird. Die Pä­dagogen wird es immer brauchen. Ihre Beziehung zum heranwachsenden Menschen bleibt  das wichtigste Bindeglied in der Bildungsarbeit.

Warum gelingt es uns nicht, die Kompetenzen der Schüler in der Zweitsprache zu festigen?
Es stimmt, dass die Zweisprachigkeit in der Ausbildung nicht so gefestigt wird, wie wir es uns wünschen. Das liegt nur zum Teil an der Didaktik und auch nicht an unseren getrennten Schulsystemen. Vielmehr muss sich in unserer Gesellschaft das Verständnis für Mehrsprachigkeit ändern. Wir alle müssen der zweiten Landessprache offener gegenüberstehen und in unserem Alltag Mehrsprachigkeit leben.

Wie geht es mit Peter Höllrigl weiter?
Ich werde mir eine Auszeit nehmen, um dann eine neue Herausforderung anzunehmen.

 

von Josef Prantl