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Meraner Geschichte

Quellenstudium im Archiv war das Motto eines schulübergreifenden Projektes: Oberschüler übersetzten das Tagebuch von Lorenz Paumbgartner

Was würden Sie aufschreiben, wenn Sie eine Chronik Ihres Lebens hinterlassen möchten? Persönliche Erlebnisse, geschichtsträchtige Ereignisse, wohl alles, was Ihnen wichtig und der Nachwelt erhaltenswert erscheint.
Der Meraner Priester Lorenz Paumbgartner hat es vor rund 350 Jahren getan.

Seine Chronik liegt heute gut behütet mit der Inventarnummer 8589 in Merans Stadtarchiv „Palais Mamming“. Die 152-Seiten-dicke Handschrift in lateinischer Sprache berichtet vom Leben eines Priesters um 1700, des Benefiziars zur St.-Leonhard-Kirche in Meran. Die Handschrift gilt als wertvolles Zeitzeugnis, das nun in einem beachtenswerten schulübergreifenden Projekt von Oberschülern des deutschsprachigen Sprachengymnasiums und des italienischsprachigen Liceo Classico und Liceo delle Scienze Umane „Gandhi“ mit ihren Lehrpersonen übersetzt und in eine gefällige Buchform gebracht wurde. „Es ist unser Beitrag zum 700-Jahr-Jubiläum der Stadt“, freuen sich Laura Mautone und Stefano Usmari über das Werk, das mit Unterstützung der Stadtgemeinde zu Jahresende vorgestellt worden ist.

Meran im 18. Jahrhundert

Die Aufzeichnungen von Lorenz Paumbgartner ermöglichen nun auch dem Latein-Unkundigen einen Blick in die Meraner Welt um 1700. Die Eintragungen des Priesters beginnen am 30. Jänner 1668 und reichen bis zum 29. Oktober 1708.
Er schreibt einleitend: „Im Monat Dezember (1664, Anm. d. R.), nachdem ich, Laurentius Paumbgartner, im letzten vergangenen September nach meinem vollendeten Studium aus Graz hierher in die Heimat zurückgekehrt war, begab ich mich nach Chur, um die heiligen Weihen zu erhalten (…)“
Meran gehörte damals wie der ganze Vinschgau bis 1816 zum Bistum Chur, und so war Paumbgartner dem Bischof von Chur und nicht von Trient unterstellt. Am 10. August 1639 in Meran geboren, der Vater war Schmied, hat Paumbgartner wahrscheinlich das Benediktinergymnasium in Meran besucht und dann in Graz Theologie studiert. Nach Meran heimgekehrt war er von 1665 bis 1706 Kooperator und Benefiziat in der St.-Leonhard-Kirche, was so viel bedeutet, dass er hier auch wohnte und aus den kirchlichen Einkünften seinen Lebensunterhalt bezog.Diese alte Spitalskirche, die zum ehemaligen Sondersiechenhaus von Meran gehörte und 1424 erstmals urkundlich erwähnt wird, gehört heute zum modernen Komplex des Seraphischen Liebeswerkes, präsentiert sich aber noch in ihrem gotischen Kleid mit Spitzbogenfenstern. Südseitig wurde das Kirchenschiff 1652 um eine Seitenkapelle erweitert. 1878 kam es zu einem größeren Umbau, bei dem das Kirchlein vergrößert und neu eingewölbt wurde. 2002 wurde rechts vom Eingang eine Kapelle zu den 14 Nothelfern angebaut, in der jetzt das berühmte 14-Nothelfer-Bild mit einer Ansicht von Meran hängt.
Mehr als drei Jahrzehnte wird Paumbgartner Kurat, also ein nicht ganz vollwertiger Pfarrer, von St. Leonhard bleiben. In seinen Aufzeichnungen ist nachzulesen: 1665 (Anm. d. R.) „…wurde ich in den Kuratsdienst dieser Pfarrei aufgenommen, und in diesem diente ich fortwährend unter demselben Pfarrer von Tyrol und Meran (…) insgesamt 37 Jahre; und innerhalb dieser Zeit taufte ich 2168 legitime Kinder und 47 illegitime. In der Ehe verband ich 457 Brautleute. Ich beerdigte 987 Tote.“

Wettersegen

Die Schüler übersetzten die Notizen von Paumbgartner

Ein Thema, das in der Chronik immer wieder vorkommt, ist die Bitte um gutes Wetter, um ausreichend Regen und eine reiche Ernte. In zahlreichen Einträgen berichtet Paumbgartner von Unwettern, Trockenzeiten und der Sorge um den Verlust der überlebensnotwendigen Ernte. Wie abhängig die Menschen damals von der Natur waren, wird in seinen Aufzeichnungen mehr als deutlich. Am 23. Mai 1668 schreibt er: „Nachdem der Reif hier in einigen von den umliegenden Orten großen Schaden an den Reben verursacht hatte, veranstalteten wir eine Prozession in die Spitalskirche, damit die göttliche Barmherzigkeit diesen für die Zukunft und alles schädliche Wetter von den Früchten der Erde fernhielt (…).“ Und am 3. Juli 1669 ist in der Chronik nachzulesen: „Es wurde eine Prozession zum Nonnenkloster Maria Steinach unternommen, wo zur Danksagung, weil nämlich die göttliche Güte gutes Wetter über die Früchte der Erde gesandt hatte, (…) eine Messe für die Jungfrau Maria und alle gläubigen Verstorbenen gefeiert wurde.“
Die Verbindungen zu Algund waren sehr stark, mehrmals wird auch der Algunder Pfarrer in der Chronik erwähnt. Am 28. Juli 1670 berichtet Paumbgarnter von einem schrecklichen Erdbeben mit Epizentrum um Innsbruck, das aber im ganzen Lande zu verspüren war. Im August erwähnt er kurz den neu gewählten Papst Clemens X. 1671 weilte Fürstbischof Ulrich von Chur für mehrere Tage in Meran und wohnte laut unserem Chronisten auf Schloss Knillenberg neben dem Brunnenplatz, das die wenigsten Meraner noch kennen. Mitte des 17. Jahrhunderts hatte Fürstbischof Freiherr Flugi zu Aspermont von Chur das Schloss in Obermais erworben. Etwas über 100 Jahre verblieb es in dieser Familie und wurde auch wegen des glanzvollen Lebens der Hausherren zum gesellschaftlichen Mittelpunkt Merans. 1776 schließlich kaufte Sebastian Knillenberg das Schloss für seine Familie zurück. Es ist heute in Privatbesitz und kann nicht besichtigt werden.
Einiges erfahren wir aus der Chronik auch über das lokale politische Geschehen. So ist im Eintrag vom 28. Januar 1669 nachzulesen:
„Für die jährliche Neuwahl der Stadtverwaltung in Gegenwart des edelsten Herrn Landeshauptmanns wurde, wie es Brauch ist, vom hochwürdigsten Herrn Pfarrer ein Hochamt gesungen, wobei ich und der Herr Frühmesser ministrierten. Gewählt wurden Herr Johannes Gaudenz Kager zum Richter, Herr Peter Pranter zum Bürgermeister, und neu als Ratsbürger aufgenommen wurden der Advokat Herr Georg Meitinger, der Gastwirt Herr Christian Laugges, der Gerber Herr Johannes Holzmann; vorher genannter Herr Christian Laugges gab ein Gastmahl.“

Meraner Prozesse gegen Hexen und Zauberer

Die Schüler übersetzten die Notizen von Paumbgartner

In diesem Zusammenhang sind auch die Hexenprozesse zu nennen, von denen es in Meran zu dieser Zeit gleich mehrere gab. Unwetter und Ernteausfälle wurden gern jungen Buben, meist ohne Eltern, in die Schuhe geschoben, da sie anscheinend einen Pakt mit dem Teufel hätten. Paumbgartner schreibt in seiner Chronik, dass er zwischen 1664 und 1681 bis zu „13 Zauberbuben“ zur Hinrichtungsstätte begleitet habe. 1679 berichtet er, dass ein gewisser Caspar Pliem des Wetterzaubers beschuldigt und zum Tode verurteilt wurde. Er sollte mit glühenden Zangen gepeinigt, dann enthauptet und verbrannt werden, bei ehrlicher Reue aber würde auf die Peinigung mit den Zangen verzichtet werden, was dann auch zutraf. Überhaupt war man damals Bestrafungen gegenüber wenig zimperlich. Für uns ist es heute kaum nachvollziehbar, wie die Menschen vor noch nicht allzu langer Zeit Brutalität und Grausamkeiten als selbstverständlich ansahen. So hält Paumbgartner am 17. August 1696 in seiner Chronik fest: „Wegen Diebstahl, Meineid und anderes wurden einer Frau namens Maria N. zur üblichen Zeit auf dem öffentlichen Platz (…) vom Henker die drei Hauptfinger der rechten Hand abgetrennt. Auf Nachfrage des Herrn Richters (…) war ich an diesem Vorfall zugegen aus Sorge, dass besagte Verbrecherin nicht in Ohnmacht fiele und damit sofort irgendeinen Beichtvater ihr beistehen könne. Aber nichts dergleichen geschah.“ Am 11. August 1679 schreibt unser Chronist von der Enthauptung und Verbrennung von drei „Hexern“. Namentlich handelt es sich um den 24-jährigen Schweizer Melchior Waltesbier, den 30-jährigen Zillertaler Karl Pfisterer und den 50-jährigen Caspar Pliem.  Wenige Tage später berichtet Paumbgartner von weiteren Enthauptungen und Verbrennungen, darunter waren auch der 15-jährige Georg Hofer aus Kematen bei Innsbruck und der 20-jährige Joseph Sailer aus Marling.

Bayerneinfall und Türkenabwehr

Persönliche Schicksalsschläge, darunter eine beinahe tödliche Krankheit, eine Pilgerreise zum Heiligen Antonius nach Padua oder ein gemeinsames Mittagessen mit dem Algunder Pfarrer Franz Agreiter auf der Einsiedelei Josefsberg oberhalb von Forst finden ebenso Einschlag in die Chronik wie Ereignisse von weltpolitischer Dimension. Ausführlich schildert Paumbgartner die Tiroler Eroberungen durch Kurfürst Maximilian II. Emanuel von Bayern im Jahr 1702 vor dem Hintergrund des Spanischen Erbfolgekriegs. Max Emanuel ging es darum, unterstützt von französischen Truppen, Tirol zu erobern und bis nach Italien vorzudringen, um eine Vereinigung mit den dort stationierten Truppen des französischen Königs herzustellen. Dieses Ziel sollte der Kurfürst jedoch nie erreichen. Zwar gelang es ihm, 1702 ganz Nordtirol einzunehmen, der Widerstand der Tiroler gegen die bayrische Herrschaft war jedoch enorm und wurde von ihm zunächst unterschätzt. Gleich mehrere Seiten widmet die Chronik diesem ehrwürdigen Ereignis und würdigt den Verteidigungswillen der Bevölkerung. Mehrere Einträge Paumbgartners berichten auch vom 2. Türkenkrieg (1683-1699), dem Abwehrkampf Europas gegen das Osmanische Reich, wobei es Papst Innozenz XI. mit der Gründung der Heiligen Liga gelungen war, mehrere Herrscher Europas dafür zu einen. Vorangegangen war die osmanische Niederlage bei der Belagerung Wiens im Jahre 1683, die einen Wendepunkt in der Geschichte des Osmanischen Reiches darstellt. Zwischen 1685 und 1689 eroberten die Verbündeten Gebiete, die für Jahrhunderte zum Osmanischen Reich gehört hatten: Ungarn, Transsilvanien, Serbien, zeitweise sogar der griechische Peloponnes.

Der letzte Eintrag Paumbgartners stammt vom 29. Oktober 1708. Am 13. Dezember stirbt dann auch unser Chronist im Alter von 70 Jahren. Seine Erinnerungen liegen nun in Buchform vor. Am schulübergreifenden Projekt waren folgende Lehrpersonen beteiligt: Laura Mautone, Stefano Usmari, Laura Speranza, Marta Minnoni, Melitta Delmonego und Waltraud Thuile.

 

von Josef Prantl